Die unmenschliche Eile hatte handfeste Gründe. Die Regierung hatte beiden Baugesellschaften immense finanzielle Vorteile und Landschenkungen für jede fertiggestellte Meile Schienenstrang als Prämien zugesagt. Je nach Schwierigkeitsgrad des Gebiets, durch das die Schienen gelegt wurden, winkten zinslose Regierungskredite von 16.000 bis 48.000 Dollar pro Meile. Das summierte sich schließlich auf 60 Millionen Dollar. (Gerechterweise muß angefügt werden, dass die Kredite im Laufe der Jahre zurückgezahlt wurden.)
Für die Finanzierung wurden auch Staatsanleihen aufgelegt, die eine Laufzeit von 30 Jahren hatten und mit 6% verzinst wurden.
Die Landprämien sollten letztlich über 8 Millionen Hektar umfassen, deren Wert sich auf fast 100 Millionen Dollar belief. Auch die Bundesstaaten förderten den Eisenbahnbau mit zusätzlichen Landschenkungen.
Je schneller die Schienen vorangetrieben wurden, desto schneller vermehrte sich also der Landreichtum der Central und der Union Pacific. Das in Besitz genommene Land wurde sofort an Siedler verpachtet, für die in Zeitungsanzeigen, mit Plakaten und Broschüren im Osten der USA, aber auch in Europa geworben wurde. Den künftigen Kolonisten wurden goldene Berge versprochen, blühende Felder, üppige Ernten – und natürlich die direkte Anbindung an die Eisenbahn zum Verkauf ihrer Produkte.
Tausende vertrauten darauf. Ihre Träume zerbrachen in den wasserarmen Plainszonen und an den gnadenlos eingetriebenen Pachtraten und Kreditzinsen. Die Bahngesellschaften gründeten Städte auf ihrem eigenen Land, die von und für die Eisenbahn lebten.
Was dem Bahnbau die Bezeichnung „Hölle auf Rädern“ eintrug – eine bis heute populäre Bezeichnung – war der Schwarm von Parasiten, der den Camps der Bauarbeiter folgte: Glücksspieler, Abenteurer, Schnapsverkäufer, leichte Mädchen. Sie knöpften den Männern, die oft 16 Stunden täglich knochenbrechende Arbeit leisteten, ihren sauer verdienten Lohn wieder ab. Im Zeitalter der elektronischen Unterhaltung, Fernsehen, Kino und Internet ist kaum nachzuvollziehen, dass diese Männer ein so großes Bedürfnis nach irgendeiner Form der Unterhaltung und Entspannung hatten, dass sie dafür faktisch alles aufgaben, was sie täglich verdienten. Und das Angebot war auf die erwähnten Möglichkeiten beschränkt.
Überall entlang der Bahnstrecken entstanden Zeltstädte, in denen das Leben förmlich explodierte. Central und Union Pacific richteten rollende Saloons ein und rüsteten Bordell-Waggons aus. In den kurzlebigen Camps waren Mord und Totschlag an der Tagesordnung.
Über 3.000 Prostituierte tummelten sich entlang des Schienenstrangs. Der berühmte Journalist Henry M. Stanley schrieb 1867:
„Man fühlt sich an den babylonischen Sittenniedergang erinnert. Die Frauen sind halbnackt und führen Reden, dass einem die Zigarre zwischen den Lippen ausgeht. … Ich habe einen Geistlichen gesehen, der auf einen Tisch stieg, mit einem Revolver in die Decke schoß, die Bildnisse nackter Frauen an den Wänden mit Decken verhängte und eine Predigt hielt, die ich nie wieder vergessen werde. Es war der betrunkenste Priester, den ich je gesehen habe.“
In der Stadt Julesburg (heute Colorado) mitten in der Prärie – nur Zelte und Bretterbuden – reihte sich Saloon an Saloon, Spielhölle an Spielhölle. Es wurde betrogen, gemordet und gestohlen. Bis Jack Casement mit seinen irischen Schienenbauern in das Nest marschierte und eine Treibjagd auf Falschspieler und andere Banditen veranstalten ließ.
Der Bau der großen Eisenbahn war mit einem Aufbruch im ganzen Land verbunden: Das weite, einsame Land im Westen verlor seinen Schrecken. Die Aussicht, bald überall regelmäßige Schienenverbindungen anzutreffen, die zu Lebensadern wurden, ermutigte Zigtausende, eine neue Heimat im Westen zu suchen. Und die vielen kleinen regionalen Bahngesellschaften sammelten erneut Geld von ihren Aktionären, um ihre Strecken an die nationale Linie anzuschließen.
Was die Eisenbahn zu leisten vermochte, war besonders in Kansas eindrucksvoll zu sehen. Der Bahnanschluss ließ gottverlassene Nester wie Abilene, Wichita, Dodge City zu Anlaufstationen der großen Rindertrecks aus Texas werden, was zu einer ungeahnten wirtschaftlichen Blüte sowohl der Viehzüchter als auch der Kansas-Viehhändler führte. Die Bahnlinien transportierten die Rinder dann direkt zu den Schlachthöfen in Chicago.
Nach und nach zog sich ein Spinnennetz von Gleiswegen durch das Land. Technische Kinderkrankheiten, die die Bahnfahrten in der frühen Zeit zur Strapaze gemacht hatten, schwanden. Längst waren die Waggons nicht mehr mit Ketten verbunden, so dass sie bei jedem Stopp aufeinander rasselten, sondern mit Kupplungen. Seit 1865 gab es sogar schon die von Ashbel Welch konstruierte Zentral-Notbremse, und George Westinghouse entwickelte 1869 die Luftdruckbremse und gründete die „Westinghouse Air Brake Company“. In den 1870er Jahren gab es bereits automatische Blocksignale, die zu einer rascheren und zuverlässigen Umstellung von Weichen beitrugen, eine Erhöhung der Geschwindigkeiten und dadurch eine bessere Auslastung des Schienennetzes ermöglichten.
Statt der unbequemen Holzbänke gab es ab den 1860er Jahren gepolsterte Sitze.
Als der Bau der transkontinentalen Eisenbahn in die Endphase ging, rollten längst luxuriöse Pullman Waggons mit Plüsch und Samt und goldenen Türklinken.
Die Eisenbahn sorgte nicht nur dafür, dass der stationäre Handel durch schnellere Lieferungen und eine Verbreiterung des Sortiments einen erheblichen Aufschwung erlebte, sie beförderte auch ein erst in seinen Anfängen steckendes Geschäft – den Mail-Order-Handel. Katalogbestellungen – von Mode, Küchenmaschinen, Ackergeräten bis hin zu ganzen Fertighäusern – wurden in den entferntesten Ecken des Landes möglich. Damit begann die „Amazon-Ära“ des 19. Jahrhunderts.
Die Direktoren dieses gewaltigen Unternehmens ließen sich damals in den Medien des Landes als Heroen feiern. Heute sieht die Geschichtsschreibung in ihnen abgrundtief skrupellose Schurken. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.
Wie bei allen großen Pionierunternehmungen in den USA im 19. Jahrhundert – nehmen wir als Beispiele die Erkundung der westlichen Trails durch den Pelzhandel, den Pony Express, den Bau der Telegrafenlinien, die Gründung von Städten an der Wildnisgrenze – basierte die kollektive Leistung zunächst einmal auf unersättlicher Gier Einzelner, die mit Ideenreichtum, aber auch Rücksichtslosigkeit, Egoismus in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgten und die Gesellschaft um sich herum als Verfügungsmasse ansahen, die sie mit bemerkenswerter Energie und großem Geschick zu steuern vermochten. Reichtum, Einfluss, Macht waren die Säulen, auf denen die meisten Pioniertaten ruhten. Und es waren in der Tat Pioniertaten, aber sie waren nicht aus Menschenliebe, sozialer Verantwortung oder Altruismus entstanden. Das Gesamtwerk verdient zwar Anerkennung, das Resultat war meistens tatsächlich allgemeiner Fortschritt, die Methoden bis dahin waren häufig aber völlig charakterlos und frei von jeder Moral.
Der erste Manager der Union Pacific Railroad war John Adams Dix, der mit seiner Person die enge Verknüpfung von Politik und Eisenbahnindustrie repräsentierte. Dix hatte schon ab 1853 Bahnbauerfahrungen bei der Gründung der „Mississippi & Missouri Railroad“ gesammelt. Als Postmaster von New York City stieg er in die Politik ein und baute von da an ein Netzwerk in Regierung und Verwaltungen auf. Noch kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges 1861 wurde er für einige Monate Schatzminister der Bundesregierung. Danach wurde er zum General der neuformierten Unionsarmee ernannt und wurde berühmt, weil er das Parlament des Staates Maryland unter Militärarrest stellen ließ, um zu verhindern, dass dieser Staat sich der Südstaatenkonföderation anschloss. 1863 wurde er von der Regierung Lincoln zum Präsidenten der Union Pacific berufen. Er blieb bis 1868 auf diesem Posten und amtierte nebenbei als Gouverneur von New York und zwischen 1866 und 1869 als amerikanischer Botschafter in Frankreich.
Mit seinen umfangreichen Beziehungen verschaffte er dem Bau der transkontinentalen Eisenbahn alle administrativen Unterstützungen, die nötig waren.
Der eigentliche Motor des Unternehmens aber war sein stellvertretender Direktor, Dr. Thomas Durant, der zwar persönlich die Aktienmehrheit der Union Pacific hielt, aber klug genug war, John Dix mit seinen mächtigen Beziehungen formal den Führungsposten zu überlassen. Aber auch Durant erlangte im Laufe der Zeit exzellente Kontakte in den amerikanischen Kongress. Die Geschichtsschreibung sieht in ihm den typischen „Eisenbahnbaron“, wie man diese Männer bezeichnete.
Thomas Clark Durant, geboren 1820, schuf die finanziellen Strukturen des großen Bahnbauprojekts. Er hatte vorher bereits Eisenbahnlinien im Mittleren Westen gebaut und erwies sich als Genie der Geldbeschaffung für die Union Pacific. Das gewaltige Subventionsgesetz, mit dem den Eisenbahnlinien per Parlamentsbeschluss 1864 Privilegien zuteil wurden, die sie von fast allen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Begrenzungen freistellten und die enormen Prämien in Form öffentlicher Ländereien ermöglichten, ging auf seine Initiative zurück. Er wurde mit seiner geschickten Lobby-Arbeit Auslöser eines Skandals, der das Vertrauen in Parlament, Regierung und Eisenbahnindustrie nachhaltig erschütterte.
Das Union-Pacific-Gesetz sah zwar vor, dass niemand mehr als 10% der Aktien halten durfte – aber Durant verschaffte sich über Strohmänner problemlos fast die Hälfte aller Anteile. Er hatte sich immer schon nach dem Prinzip verhalten, dass Gesetze dazu da waren, umgangen zu werden. Während des Bürgerkrieges, als eine Seeblockade und ein Ausfuhrverbot die Südstaaten daran hinderte, Waren zu exportieren, organisierte Durant – obwohl er die Nordstaatenunion unterstützte – den Schmuggel von Baumwolle aus den konföderierten Staaten nach Europa – dabei war ihm ein General der Unionsarmee, Grenville Dodge, behilflich – den er nach dem Ende des Bürgerkrieges als Chefingenieur der „Union Pacific“ anheuerte.
Die Planung der Gleisstrecke erfolgte anfangs durch die Gebiete, in denen Durant große Landstriche billig aufgekauft hatte, so dass die Regierung sie für den Bau der Bahn von ihm erwerben musste. Mehr noch: Er kaufte Anteile an kleineren Bahngesellschaften und streute danach Gerüchte, dass diese mit der Hauptlinie der „Union Pacific“ verbunden werden würden – was den Wert der Aktien sprunghaft in die Höhe trieb. Auf diese Weise machten er und seine Anteilspartner ebenfalls mindestens 5 Millionen Dollar Gewinne.
Neben den bereits erwähnten Kreditzusagen und Landschenkungen, hatte die Regierung die Union Pacific Company mit 100 Millionen Dollar kapitalisiert. Durant schuf ein Geflecht von Baufirmen, die tatsächlich im Besitz der Shareholder der Union Pacific waren, aber formal getrennt operierten und der Bahngesellschaft jede Meile Gleis in Rechnung stellten.
Um das alles zu verschleiern und die Regierungsgelder in „reinigende“ Kanäle zu schleusen, gründete er die „Credit Mobilier of America“.
Die diversen Baufirmen berechneten der Union Pacific massiv überhöhte Leistungen, die über die „Credit Mobilier“ beglichen wurden. Um danach für diese überhöhten Forderungen die entsprechenden Subventionen der Regierung abrufen zu können, wurden mindestens 15 einflussreiche Kongressabgeordnete, Senatoren, der Schatzminister und der Vize-Präsident der USA mit wenigstens 9 Millionen Dollar in bar und Aktien bestochen.
Die durch gefälschte Rechnungen und Bilanzen erzielten Gewinne landeten in den Taschen der Direktoren und der großen Anteilseigner. Das System funktionierte, weil die Direktoren der Union Pacific de facto dieselben waren wie der „Credit Mobilliere“, die überhöhten Rechnungen also von denselben Personen gestellt wurden, die sie am Ende genehmigten und die Zahlung veranlassten. Die Beteiligten empfanden den Betrug als gerechtfertigt, weil sie während der Konstruktionszeit kaum Gewinne aus dem Bahnprojekt ziehen konnten, da ein regelmäßiger Transport von Passagieren und Fracht erst nach Fertigstellung möglich war.
Das verschachtelte Geflecht von Firmen und die Hin- und Hertransferierung von Geld, das von der Regierung gezahlt und vom Parlament genehmigt wurde, war für die damalige Zeit mit außerordentlichem Geschick erdacht und organisiert worden, wie wir es eigentlich erst heute im Computerzeitalter gewöhnt sind. Daher dauerte es bis 1872, bis der Betrug aufflog. Den Beteiligten gelang es, weitgehend straflos zu bleiben, da derartige Praktiken völlig neu waren und keine Gesetze existierten, die sie unter Strafe stellten – mit anderen Worten: Da niemand so etwas vorher getan hatte, war es nicht verboten und somit legal. Erst danach wurden entsprechende Gesetze geschaffen.
Die korrumpierten Politiker hatten sich natürlich strafbar gemacht, aber einige hatten die ihnen zugeschanzten Aktien ihren Ehefrauen übertragen und zahlten schließlich lediglich die erhaltenen Dividenden zurück. Der Vize-Präsident Colfax wurde nicht mehr als Kandidat nominiert.
Die erzielten Gewinne waren bemerkenswert. Der amerikanische Kongress transferierte fast 95 Millionen Dollar an die „Credit Mobiliere“, während die tatsächlich von der „Union Pacific“ benötigten Ausgaben bei weniger als 51 Millionen lagen. Damit wurde ein Gewinn von fast 44 Millionen Dollar erzielt. Um das in heutige Kaufkraft zu übertragen müssen diese Summen mit ca. 30 multipliziert werden, was allein beim Gewinn eine Summe von über 1,3 Milliarden Dollar ergibt.
Auch Durant, der das alles initiiert hatte, blieb straflos. Er verlor lediglich seine Direktorenposten. Er starb 1885.
Sein engster Mitarbeiter war der schon erwähnte Ex-General Grenville Dodge, ein militärischer Ingenieur, der während des Bürgerkrieges als Geheimdienstoffizier des Oberkommandierenden und späteren Präsidenten, U. S. Grant in der Unionsarmee diente. Bei einem der kriegsentscheidenden Feldzüge kommandierte er als Generalmajor das 16. Armeekorps. 1866 wurde er von Thomas Durant als Chefingenieur der Union Pacific angeheuert und war entscheidend für die zügige Fertigstellung der Bahnstrecke bis nach Utah. Dodge war nur indirekt in den von Durant ausgelösten Skandal um die „Credit Mobilliere“ verwickelt – er hatte ein großes Aktienpaket der Bank gekauft und es rechtzeitig vor deren Zusammenbruch abgestoßen. Er entzog sich geschickt der Ermittlung durch den Congress und starb im Januar 1916.
Durants Gegenüber beim Bau der Transkontinentalbahn, der Präsident der „Central Pacific Railroad“, war Leland Stanford, der heutigen Historikern genauso als „Raubritter“ des Eisenbahnzeitalters gilt. Er war – nebenbei – Gründer der bekannten Stanford University in Kalifornien.
Leland Stanford, 1824 geboren, stammte aus New York, studierte Jura und wurde 1848 als Anwalt zugelassen. Er ließ sich zunächst in Wisconsin nieder, wo er in der Republikanischen Partei politisch aktiv wurde. Als die Nachrichten von enormen Goldfunden an der Westküste den amerikanischen Osten erreichten, entschied er sich, nach Kalifornien zu ziehen, wo er mit seinen Brüdern zunächst einen Generalstore eröffnete, den er schließlich zum Großhandel ausweitete. Auch hier engagierte er sich sofort politisch, amtierte zunächst als Friedensrichter, dann als Abgeordneter im Staatsparlament, und 1861 wurde er zum Gouverneur von Kalifornien gewählt. Er behielt dieses Amt für zwei Jahre und wurde dann für 8 Jahre Senator in Washington.
Gleichzeitig trat er 1861 das Amt als Präsident der „Central Pacific Railroad“ an. Stanford war zu dieser Zeit einer der mächtigsten Männer in Kalifornien. Sein Einfluss reichte bis in die entferntesten Ecken des Staates. Er bildete mit mehreren Geschäftspartnern ein Netzwerk, das im Allgemeinen nur als „Die großen Vier“ (The big four) bekannt war. Dieses Kollektiv nannte sich selbst nur „The Associates“ – man kann hier ohne weiteres von mafiaähnlichen Strukturen sprechen. Dieses Quartett, zu dem Charles Crocker, Mark Hopkins und Collis P. Huntington gehörten – gehörte nicht nur zu den wortmächtigsten Befürwortern einer transkontinentalen Eisenlinie und einer verkehrsmäßigen Anbindung Kaliforniens an den amerikanischen Osten. Diese Männer erkannten auch sofort die geschäftlichen Chancen der Gründung einer eigenen kalifornischen Eisenbahngesellschaft, der „Central Pacific“. Der Plan dazu stammte von dem Ingenieur Theodore Judah. Dem allerdings das Geld für das Unternehmen fehlte. Die „großen Vier“ übernahmen seine Pläne und machten Judah zum Chefingenieur. Stanford übernahm die Leitung der Firma. Judah entwickelte einen Plan für den Bau der Eisenbahn Richtung Osten.
Als das „Union Pacific-Gesetz“ verabschiedet wurde, wurde die „Central Pacific“ beauftragt, von Kalifornien aus die Sierra Madre zu durchqueren und sich mit der Union Pacific an einem noch zu vereinbarenden Punkt zu treffen. Judah führte die Vermessungen durch, legte die Route fest und leitete die Bauarbeiten, die sich weitaus schwieriger gestalteten als im Osten für die „Union Pacific, die von Omaha (Nebraska) aus die Schienen zunächst einmal weit durch flache Prärie und Plains trieb und daher sehr schnell vorankam und daher sofort von den Subventionen der Regierung partizipierte.
Von Januar bis Juli 1861 führte Judah eine Vermessungsexpedition durch die Sierra Nevada und legte eine Route fest, die zwar erhebliche Bearbeitung benötigte, aber tauglich für die Verlegung von Gleisen war.
Judah, der zunächst froh war, dass seine Pläne realisiert wurden, fühlte sich bald abgestoßen von den Geschäftsmethoden der „Großen Vier“. Er reiste an die Ostküste, um hier nach Investoren zu suchen, die es ihm ermöglichen sollten, Stanford und dessen Partner abzufinden und aus der „Central Pacific“ zu verdrängen. Auf dem Weg nach New York infizierte er sich bei der Durchquerung von Panama mit dem Gelben Fieber und starb kurz nach seiner Ankunft am 2. November 1863, bevor er mit der Suche nach möglichen Geldgebern beginnen konnte. Er sollte nicht mehr erleben, wie seine Pläne zu einem Jahrhunderterfolg werden und die Finanziers, von denen er sich getäuscht fühlte, steinreich machen sollten.
Die „Union Pacific“ konnte auf ein großes Reservoir von Arbeitskräften zurückgreifen, als der Bürgerkrieg zu Ende ging und Zigtausende von Soldaten in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Vor allem eingewanderte Iren stellten ein gewaltiges Potential an Schienen- und Schwellenlegern. Die führenden Ingenieure der „Union Pacific“ waren ehemalige Offiziere und kannten die Leistungskraft der Iren, die durch den Kriegsdienst Disziplin gewöhnt waren.
An der Westküste gab es kein vergleichbares Angebot an Arbeitskräften. Benötigt wurden Männer, die keine hohen Ansprüche stellten, bereit waren, 12 Stunden und länger pro Tag körperlich zu arbeiten, die es gewöhnt waren, Anweisungen zu folgen und sich unterzuordnen.
Die „Central Pacific“ verfiel darauf, Chinesen anzuheuern, die seit dem Goldrausch in großer Zahl in Kalifornien lebten und so ziemlich den niedrigsten sozialen Status hatten.
In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Leland Stanford sowohl in seinem Wahlkampf für das Gouverneursamt als auch bei der Bewerbung für andere politische Ämter die Ressentiments gegen die chinesische Bevölkerung skrupellos nutzte und in populistischer Weise gegen die Asiaten hetzte. In einer seiner Reden als Gouverneur im Januar 1862 sagte er:
„Meiner Meinung nach ist es klar, dass die Ansiedlung einer inferioren Rasse unter uns mit allen legalen Mitteln verhindert werden sollte. Asien verfügt über ungezählte Millionen von Menschen, und schickt den Abfall seiner Bevölkerung an unsere Küsten. Viele davon sind bereits hier… Es gibt keinen Zweifel, das die Gegenwart dieser niedrigen, unterentwickelten Klasse zu einem gewissen Grad einen schädlichen Einfluss auf die überlegene Rasse hat.“
Stanford wurde für diese Äußerungen bejubelt – bis herauskam, dass er als Präsident der „Central Pacific“ seine Möglichkeiten als Gouverneur nutzte, selbst Tausende von Arbeitskräften aus China anzuwerben und nach Kalifornien zu holen.
Die chinesischen Schienen- und Schwellenleger wurden in den Büchern der „Central Pacific“ als „Material“ geführt. Wie viele von ihnen während der Bauarbeiten ums Leben kamen, insbesondere bei der Konstruktion von Tunneln durch die Berge, wurde nicht gezählt. Sie wurden meist mit 31 Dollar monatlich entlohnt und erhielten ihre Mahlzeiten. Das war ein vergleichsweise guter Lohn in jenen Tagen, aber die Arbeit, die sie zu leisten hatten, ging an die Grenzen der physischen Kraft und war – vor allem bei Sprengungen – lebensgefährlich.
Man kann sich heute im Rückblick moralisch empören – und es gab zweifellos eine ganze Menge Gründe, die Herren der Eisenbahnindustrie als Kriminelle zu bezeichnen. Das stellt aber meines Erachtens eine zu radikale Schwarz-Weiß-Darstellung dar. Vergessen wir nicht: Das 19. Jahrhundert in den USA war eine Zeit des Kolonialismus. Vieles war neu, unbekannt, mit hohen Risiken verbunden – und für sehr viele Vorgänge gab es daher keine Regeln. Menschliche Gesellschaften brauchen aber Regeln, um nicht in Anarchie zu versinken. Aber der Bau der großen Eisenbahnen war im Regelwerk der jungen Vereinigten Staaten nicht vorgesehen. Die Eisenbahnbarone betraten somit faktisch unbekanntes Territorium. Egoismus, hemmungsloses Erobern war Teil der amerikanischen Gesellschaft jener Tage. Es gab nur wenige Regeln, die das Verhalten der Eisenbahngesellschaften bremsten. Sie verfuhren nach dem Prinzip, dass erlaubt ist was nicht verboten ist. Die Finanzierungssysteme, nach denen sie Geld verdienten, waren zu dieser Zeit nicht illegal. Sie wurden von der breiten Bevölkerung als verwerflich empfunden – und dann entstanden entsprechende Gesetze. Aber vorher lagen sie im Bereich des Möglichen. Moral und Anstand mögen sehr erstrebenswerte Prinzipien sein, aber – man muß pragmatisch sagen – dass diese löblichen Eigenschaften nicht zu den Charakterzügen gehören, die bei den meisten Menschen besonders ausgeprägt sind, vor allem dann nicht, wenn sich ihnen die Möglichkeit einer Bereicherung bietet. Dazu bedarf es gesetzlicher Regeln – und die gab es schlichtweg nicht. Das soll das Verhalten der Eisenbahnbarone nicht entschuldigen, aber manches erklären. Hinterher ist man immer schlauer.
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- Bild 2: Von Unbekannter Fotograf – Übertragen aus en.wikipedia nach Commons durch Tam0031 mithilfe des CommonsHelper. Original source: http://www.chicagohs.org/history/pullman/pul1.html (CHS G1988.0426 Box 2, F.1), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5574831
- Bild 3: Von Autor/-in unbekannt – Dieses Bild ist unter der digitalen ID cwpb.05485 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar.Diese Markierung zeigt nicht den Urheberrechtsstatus des zugehörigen Werks an. Es ist in jedem Falle zusätzlich eine normale Lizenzvorlage erforderlich. Siehe Commons:Lizenzen für weitere Informationen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9558959
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