Top und Harry – Die Entstehung eines Buches

Die Geschichte der „Bärensöhne“ wurde, wie bereits beschrieben, ursprünglich in einem Band im Jahre 1951 im Altberliner Verlag Lucie Groszer herausgegeben. Elf Jahre später erschien im gleichen Verlag die Vorgeschichte mit dem Band Harka, der damit den Auftakt der damals dreibändigen Ausgabe bildete.


In seiner Stellungnahme bezeichnete der Verlag den Roman Harka als eine „wertvolle Bereicherung der Abenteuerliteratur“.

Auszug aus der Druckgenehmigung zu Harka 1

In der damaligen und weiteren Verlagswelt der DDR mussten die Verlage bei „der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium für Kultur, Abteilung Literatur und Buchwesen“ eine Druckgenehmigung beantragen. Das Dokument für den zweiten Teil der dreibändigen Ausgabe mit dem Titel Top und Harry bezeichnet den Roman als „Einzelobjekt 11 im Produktionsplan 1963“. Beantragt wurde eine Auflage von 10.000 Exemplaren, wobei der Exportanteil, der sich im Laufe der Jahre sowohl in das RGW-Wirtschaftsgebiet als auch in das „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ signifikant erhöhte, noch nicht eingeschätzt werden konnte.

Antrag Druckgenehmigung Top und Harry 2

Die Druckgenehmigung auf der Grundlage von Antrag und Gutachten hatte einerseits ökonomische Gründe, denn Druckkapazitäten und Papier waren knapp bemessen. Andererseits ging es um Kontrolle im Sinne der Überprüfung ideologischer „Korrektheit“. Laut Verfassung der DDR war Zensur nicht vorgesehen, tatsächlich fand diese aber über die Druckgenehmigungen statt. „Ein Druckgenehmigungsvorgang besteht in der Regel aus einem Titelbogen oder Druckgenehmigungsbogen mit formalen Angaben (Verlag, Einzelobjekt–Nummer, Jahr des Produktionsplanes, Sachgruppe, Autor/Herausgeber, Illustrator, Titel, Übersetzungen, Vertragsabschluss, Auflage, Exportanteil, Satz-, Druck- und Auslieferungsbeginn, Umfang, Format, Einband, Papierbedarf, Verkaufspreis), den Gutachten und Schriftwechsel. Im allgemeinen sind dem Antrag ein Verlags- und ein bis zwei Außengutachten beigefügt.“ 3

Stellungnahme des Verlages zum Antrag auf Druckgenehmigung 4

Der Begriff der „Gentilordnung oder Gentilgesellschaft5 geht auch auf Friedrich Engels zurück. Gemeint ist eine frühe Sozialstruktur einer einfachen Ranggesellschaft, in der die Macht an fähige Führungspersönlichkeiten verliehen wird. Es handelt sich um urgesellschaftliche Formen, die bei den indigenen Völkern des 19. Jahrhunderts teilweise noch vorhanden waren. Sowohl Mattotaupa wie auch Harka, waren solche Persönlichkeiten und haben das mehrfach unter Beweis gestellt. Gegen die Klassengesellschaft (Bourgeoisie in Form von Besitzern von Stahlwerken, Eisenbahnen, Plantagenbesitzern auf der einen, Arbeiter, Farmer, Bergleute auf der anderen Seite) hatten die indianischen Völker letztlich keinen Chance. Gentilordnung und Gentilgesellschaft sind Termini der marxistischen Geschichtswissenschaft. Engels hat in „Der Ursprung der Familie“ 6 die Stammesordnung sinngemäß als „urkommunistisch“ beschrieben. Laut Stellungnahme besteht damit das Wertvolle des Romans in der gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit der Klassenauseinandersetzungen. Ob Liselotte Welskopf-Henrich, Kommunistin und Wissenschaftlerin, dies vordergründig im Sinn hatte, lässt sich nicht mehr beantworten. Gleichwohl galt ihr Interesse auch auf Grund ihrer Weltanschauung den dem Untergang geweihten Stämmen der indianischen Völker.
Die mit Top und Harry nun vollständige Trilogie wird also mit dieser Begründung als „Bereicherung für die Jugend“, „literarisch kunstvoll“, als „wirklichkeitsgetreues Zeitbild“ und insgesamt als „hervorragendes Beispiel neuer Abenteuerliteratur“ bezeichnet.


Für den Roman wurde laut Antrag zwei Gutachten gefertigt, eines findet sich in den angegebenen Quellen des Bundesarchives. Das Gutachten zu Top und Harry besteht aus vier Teilen und einer Zusammenfassung. Im Teil 1 wird der Roman in die gesamte Geschichte eingeordnet und der Inhalt grob wiedergegeben.

Auszug aus Gutachten zu Top und Harry Seite 1 7

Einerseits zeigt diese auf Mattotaupa bezogene Formulierung ein zentrales Thema, welches sich durch die Indianerliteratur zieht und auf den Reservationen bis in die heutige Zeit ein Problem darstellt, den Alkoholkonsum. Zum Anderen ist zu sehen, dass vor sechzig Jahren diese allgemeine Unterscheidung in „Rote“ und „Weiße“ eine gängige Formulierung war, die allgemein verbreitete Klischees zur Beschreibung insbesondere von Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen bediente.

Teil 2 enthält eine ausführliche Inhaltsangabe und Teil 3 eine Art Charakteristik der beiden tragenden Figuren des Romans.

Auszug aus Gutachten zu Top und Harry, Charakteristik der Protagonisten 8

Der Vergleich Harkas mit Siegfried, dem Helden der Nibelungensage, stellt eine eigentümliche Formulierung dar, letztlich auch, weil Harka, völlig anders als Siegfried, als Anführer seines Stammes diesen in eine lebenswerte Zukunft führt, während Siegfried in seinem naiven Vertrauen durch seinen ärgsten Widersacher ermordet wird. Im Gegensatz dazu muss Harka / Stein mit Hörnern / Tokei-ihto seinen Feind besiegen, dass fordert ja auch die Ratsversammlung der Bärenbande. 9

Teil 4 des Gutachtens beurteilt den Roman in seiner Qualität, im Anschluss wird das Gutachten zusammengefasst.

Auszug aus Gutachten zu Top und Harry, Seite 83 10

Abgestellt wird auf die Vielseitigkeit der Geschichte, in der Flora und Fauna, das indianische Zusammenleben und ihre Riten anschaulich beschrieben werden. Im Weiteren wird, im Vergleich zur Darstellung von Handlung und Figuren nur äußerst knapp auf auf das „umfassende Bild der Lage nach dem Bürgerkrieg“ verwiesen. Dabei hat Welskopf-Henrich genau darauf eher verzichtet. Sie erzählt davon, ordnet die Ereignisse aber nicht in den umfassenden Zusammenhang ein. Sämtliche genannten Aspekte kommen zwar vor, sind aber immer episodenhaft an die Figuren Mattotaupa und Harka geknüpft. Dies war bei der Beschreibung des Zirkus-Aufenthaltes der beiden im Band 2 ebenso. 11 Es ist Harka, dessen Sehen und Lernen zu entsprechenden Einsichten führt, die sich von Beginn an bis zur Einführung als Krieger und Häuptling fortführen, sie dauern bis zum Ende der Trilogie an.

Auszug aus Gutachten zu Top und Harry, Seite 88 12

In der Zusammenfassung des hier zitierten Gutachtens ist die Aussage von Bedeutung, dass „jedes Abenteuerklischee“ fehle und „auf der Grundlage besten Wissens wirklich spannend“ erzählt wird. Die nun vollendete Trilogie wird als „realistische Abenteuerliteratur“ bezeichnet. Das ist es, was Liselotte Welskopf-Henrich wollte: Eine realistische Geschichte erzählen. Davon schreibt sie zum Beispiel in Die Indianer, meine Mutter und ich in Bezug auf das Lesen der insbesondere in Deutschland weit verbreiteten Bücher von Karl May.

Ich liebte Winnetou, wie ich Unkas geliebt hatte. Old Shatterhand war mir zu eitel und zu selbst­gefällig, ich konnte ihn nicht ausstehen. Auch glaubte ich, daß der Schriftsteller gelogen haben müsse, wenn er behauptete, daß ein Apatschenhäuptling Madonnenaugen gehabt und nur um seines Freundes Scharlieh willen eine Bahn für den Feind mitten durch das Stammesgebiet fertig gebaut habe.

Ich beschloß, selbst zu studieren, was in Wahrheit geschehen sei und was für Charaktere jene Indianer gewesen seien, die ihre Heimat und ihre Freiheit verteidigt hatten.

Ich beschloß, Historiker und Schriftsteller zu werden.

Auszug aus Die Indianer, meine Mutter und ich

Welskopf-Henrich hat die Trilogie / Hexalogie in den 50iger und 60iger Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben und damit zum Beispiel begrifflich in dieser Zeit. Formulierungen wie „Rote“ und „Weiße“ oder „roter Mann“ würde man heute nicht mehr verwenden, allenfalls als Schimpfwörter aus dem Mund der Gegenspieler und Feinde.

Auf einen bestimmten Aspekt ist die Autorin in den „Bärensöhnen“ gar nicht eingegangen: Die Religion. Zwar sind die Geheimnismänner (Medizinmänner, Schamanen) gegenwärtig, Hawandschita und der Geheimnismann der Siksikau als Gegner, Tatanka-Yotanka (Tȟatȟáŋka Íyotake / Sitting Bull)) als Freund und Unterstützer, deren Religion wird nicht näher beschrieben mit Ausnahme der „Beschwörung von Büffelherden“ als Nahrungsgrundlage. Später, in der Nachfolge-Pentalogie Das Blut des Adlers, geht sie näher darauf ein, aber dann hat sie nach mehreren Reisen in die USA und Kanada, weitere Erkenntnisse gesammelt. Vielleicht hat sie zu Beginn auf Grund ihrer atheistischen Weltanschauung auch bewusst davon Abstand genommen.

Der Erfolg der Trilogie / Hexalogie Die Söhne der Großen Bärin in vielen Ländern, die vielen Neuauflagen zeugen vom fortwährenden Erfolg des Romans, der durch die Fortsetzung in Form der Pentalogie Das Blut des Adlers noch verstärkt wurde. „Indianerromane“ werden heute anders geschrieben, aber in der Geschichte der deutschen Autorin und Historikerin wurden dafür Grundlagen gelegt, was so einige Aussagen von Autorinnen von Indianerliteratur zeigen.

Die hier zitierten Druckanträge, Stellungnahmen und Gutachten sollen zeigen, wie solch ein Werk unter Bedingungen des Verlagswesens in der DDR entstand. Dies soll helfen, Autorin und Roman in ihrer Zeit zu verstehen und das Werk zu rezipieren.


  • Druckgenehmigungen für Werke von Liselotte Welskopf-Henrich im Bundesarchiv
  • http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dr1_druck/mets/dr1_druck_5104/index.htm?target=midosaFraContent&backlink=/dr1_druck/index.htm-kid-5f9b7f19-e705-47b7-a5a4-005e6834e853&sign=DR%201/5104#70 10.03.2023, 23:00 Uhr
  • Der Bergführer: Einzelansicht ab Seite 20
  • Die Geschichte der Frau Lustigkeit und ihrer fünf Schelme: Einzelansicht ab Seite 27
  • Harka: Einzelansicht ab Seite 33
  • Jan und Jutta: Einzelansicht ab Seite 45
  • Kath in der Prärie: Einzelansicht ab Seite 52
  • Top und Harry: Einzelansicht ab Seite 57
  • Die Wege trennen sich: Einzelansicht ab Seite 69
  • Das Wiedersehen: Einzelansicht ab Seite 77
  • Zwei Freunde: Einzelansicht ab Seite 85

© UR (11.03.2023)

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