Kuegler, Dietmar: Der amerikanische Eisenbahnbau (4)

Die „Central Pacific“ hatte, wie erwähnt, gegenüber der „Union Pacific“ einen schwereren Stand, sich an den Regierungsgeldern zu bedienen. Die ersten Jahre waren zweifellos ein Verlustgeschäft für „die Großen Vier“. Das Material für den Bau musste auf Schiffen rings um Kap Horn, bzw. durch die sumpfige Wildnis von Panama zur Pacific-Küste transportiert werden. Stanford hielt sich an anderen Geschäften schadlos. Er gründete eine Lebensversicherung – die noch heute unter dem Namen „Pacific Life“ existiert – und übernahm die nur an der Westküste verkehrende „Southern Pacific Railroad“, die eine sehr profitable Bahnlinie war. Er wurde später auch Direktor der „Occidental and Oriental Steamship Company“, die den Frachtverkehr von San Francisco nach Japan und China bediente und mit der „Central Pacific Railroad“ verbunden war.

Stanford war der Mann, der am 10. Mai 1869 den letzten Schienennagel in Promontory Point einschlug. Er führte die verschiedenen Unternehmungen, die er gegründet hatte, bzw. an denen er beteiligt war bis zu seinem Tod im Juni 1893.

Als das Jahr 1869 anbrach, hatten sich beide Bahngesellschaften noch nicht auf einen Treffpunkt des Schienenweges geeinigt. Tatsächlich bauten sie ihre Gleise wie in einem Rausch aneinander vorbei. Längst hatte der Konkurrenzkampf um die meisten Regierungsprämien und Landschenkungen die Form eines Krieges angenommen. Sabotageakte gegen Materialtransporte, Angriffe auf die Arbeitercamps der jeweils anderen Gesellschaft waren nicht ungewöhnlich. Dann, im April 1869, sprach der neu gewählte Präsident U. S. Grant ein Machtwort, und die Führer der Union und der Central Pacific vereinbarten die Zusammenlegung der Schienen bei Promontory Point, einer kahlen Niederung in der Wüste von Utah. Hier trafen die chinesischen Schienenleger am 30. April ein. Erst eine Woche später rückten die irischen Teams der Union Pacific in Sicht.

Die letzten 800 m sollten bis zum 8. Mai geschlossen werden – aber dazu kam es nicht. Denn die Union Pacific hatte die letzten Lohnzahlungen an ihre Arbeiter nicht angewiesen. Als Thomas Durant, mit seinem Sonderzug Piedmont (Wyoming) passierte, wurde er von seinen Arbeiterkolonnen aufgehalten und auf ein Nebengleis umgeleitet. Er versuchte zwar telegraphisch die Armee zu Hilfe zu rufen – die Telegramme wurden abgefangen. Erst als er die sofortige Auszahlung der fälligen Löhne anwies, durfte er weiterfahren. Das war der Grund, dass die „Hochzeit der Schienen“ erst am 10. Mai 1869 stattfinden konnte.

Gemessen an den Folgen des Ereignisses, war die Zeremonie äußerst bescheiden; denn das abgelegene Promontory Point war für Zuschauer nur schwer zu erreichen. Ganze 600 bis 700 Menschen nahmen teil, die meisten wohl Arbeiter und Angestellte beider Gesellschaften.

Champagnerkorken knallten mit Gewehren und Revolvern um die Wette, als das letzte Stück Gleis gelegt war und die Vertreter beider Gesellschaften, Leland Stanford und Dr. Thomas C. Durant, mit einem versilberten Hammer die letzten Nägel einschlugen.

Es war 12.47 Uhr Ortszeit. Die beiden Loks „Jupiter“ der Central Pacific und „No. 119“ der Union Pacific rollten aufeinander zu und berührten sich. Stanford und Durant, die sich jahrelang bis aufs Messer bekämpft hatten, sanken sich betrunken in die Arme.

Vollendung der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie

Obwohl dieser Augenblick bis heute als die „Golden Spike Zeremonie“ bezeichnet wird, waren es tatsächlich 4 Nägel aus Edelmetall, die in die letzte Schwelle aus Lorbeerholz gesteckt wurden. Zwei goldene Nägel kamen aus Kalifornien, einer war von der Zeitung „San Francisco Newsletter“ gesponsort worden. Dann gab es einen Nagel aus purem Silber, den der Staat Nevada beigesteuert hatte. Der letzte Nagel war aus Eisen, aber versilbert und vergoldet. Er wurde vom Gouverneur des Arizona-Territoriums überreicht.

Von „Einschlagen“ konnte übrigens keine Rede sein. Kein Mensch dachte daran, einen massiv goldenen Nagel in eine Schwelle zu schlagen – er wäre total verformt worden. Also waren zuvor 4 Löcher in die Schwelle gebohrt worden. Die Nägel wurden dann mehr oder weniger eingesteckt und nur noch symbolisch mit einem silbernen Hammer berührt.

Einer der goldenen Schienennägel liegt heute im Museum der Stanford University in Kalifornien. Der zweite Goldnagel und die letzte Schwelle wurden in den Feuern, die dem Erdbeben von San Francisco 1906 folgten, zerstört.

In den Jahren des Baues der transkontinentalen Bahnlinie hatten die Iren und Chinesen um die 6,5 Millionen Schwellen und mehr als 900.000 Schienen gelegt. Nicht zu reden von den unzähligen Tonnen Erde, die bewegt, und von dem Gestein, das aus Felsmassiven gesprengt worden war. Nicht zu reden von den Wäldern, die abgeholzt worden waren, um Brückenkonstruktionen zu errichten, deren Haltbarkeit beim Anblick alter Fotos noch heute fassungslos macht.

Nach der Zeremonie entstanden die berühmten Fotos von der „Hochzeit der Schienen“ – und darauf sieht man nicht einen einzigen Chinesen, obwohl diese Arbeiter vermutlich die größten Opfer für den Bahnbau gebracht hatten. Tatsächlich hatten die verantwortlichen Bauleiter dafür gesorgt, daß die chinesischen Arbeiter nach der Golden-Spike-Zeremonie zur Einnahme ihrer Mahlzeit weggeschickt wurden, bevor der Fotograf seine Plattenkamera aufbaute. Besonders an der Westküste waren Chinesen eine diskriminierte Bevölkerungsminderheit, und sie sollten daher nicht auf dem Bild zu sehen sein, das die Vollendung des großen Bahnbauprojekts dokumentierte.

Erst anlässlich der 50-Jahr-Feier der Golden Spike-Zeremonie im Jahr 1919 wurden 3 der noch lebenden letzten 8 Chinesischen Gleisleger nach Ogden eingeladen, um teilzunehmen.

Der „Wilde Westen“ und das „zivilisierte“ Amerika waren zusammengewachsen. Als die telegraphische Nachricht in Kalifornien und in den Oststaaten eintraf, läuteten in allen großen Städten die Kirchenglocken. Menschen tanzten auf den Straßen. Nur wenige Tage später, am 15. Mai 1869, begann der reguläre Personenverkehr von „Coast to Coast“. Die Reise dauerte acht bis zehn Tage, je nachdem, wie exakt die Fahrpläne eingehalten wurden und wie schnell die Reisenden aus dem Osten in Omaha, dem Beginn der Union Pacific, eintrafen. Die Fahrt blieb für mehrere Jahre ein mehr oder weniger strapaziöses Abenteuer, aber nicht vergleichbar mit der fünfmonatigen Fahrt im Planwagen, die bis dahin Standard gewesen war.

Die eigentliche Bedeutung aber zeigte sich in der sprunghaften Besiedelung des Westens. Die „Hell on Wheels“-Städte, die nach dem Weiterziehen der Arbeitercamps Bestand hatten – wie etwa Cheyenne oder Laramie – wuchsen, wurden Dank der sicheren Transportverbindungen zu Wirtschaftsmetropolen und trieben die Erschließung des Westens voran.

Die Fertigstellung der großen Eisenbahnlinie eröffnete ein neues Zeitalter. Sie bedeutete den endgültigen Durchbruch bei der Eroberung und Beherrschung des Kontinents. Anfangs als utopisches Unternehmen angesehen, wurde die Strecke innerhalb kürzester Zeit zur Alltäglichkeit. In den folgenden 30 Jahren wurden vier weitere transkontinentale Bahnlinien durch den Westen getrieben. Dabei entstand beispielsweise die „Northern Pacific“ unter Leitung des gebürtigen Deutschen Heinrich Hilgard-Villard, der Anleihen des Deutschen Reiches für den Bau besorgte. Die dankbaren Eigentümer der Bahn tauften daraufhin die heutige Staatshauptstadt North-Dakotas „Bismarck“. Abgesichert wurden diese Anleihen mit Landsubventionen der amerikanischen Regierung von 160.000 Quadratkilometern. Diese Linie wurde 1883 fertiggestellt. Schon 1880 war die „Southern Pacific Railroad“ quer durch das Arizona-Territorium gebaut worden und bediente die Südroute durch den Kontinent.

Als 1893 die nordwestlichen Bahnlinien zur „Great Northern“ vereinigt wurde, nahm kaum ein Mensch in den USA davon noch Notiz. Die Eisenbahn war etwas Selbstverständliches geworden. Zu dieser Zeit war vom großen Abenteuer fast nichts mehr geblieben. Der „Far West“ in seiner wilden, gefahrvollen, unberührten Schönheit war untergegangen. Von den Indianern und Bisons, den Rinderherden und Pioniertrecks war nur noch eine Legende geblieben. Die Eigentümer der großen Bahngesellschaften wandelten sich in den Augen der Öffentlichkeit sehr bald zu absoluten Anti-Helden, je mehr ans Licht kam, wie skrupellos sie sich bereichert hatten, wie sie – im Verein mit korrupten Politikern – den Staat geschröpft hatten. Zu dieser Zeit waren längst Baukolonnen überall im Westen unterwegs, um die bereits unsicher gewordenen Schienenwege auszuwechseln: Während des hektischen Vorantreibens der Gleise, um in den Genuß der staatlichen Prämien zu gelangen, waren schwere Konstruktionsfehler gemacht worden, die vielen Reisenden Leben und Gesundheit gekostet hatten. Das Schienenbett war auf weiten Strecken mangelhaft vorbereitet gewesen und inzwischen abgesackt. Die Schwellen waren aus schlechtem, nicht abgelagertem Holz gefertigt worden.

In den 1870er Jahren begann in den westlichen Gebieten ein erbitterter Kampf der Farmer gegen die Ausbeutung durch die Bahngesellschaften. Populistengruppierungen forderten deren Verstaatlichung. So verkam eine zweifellos bedeutende Leistung, die der Eisenbahnbau darstellte und die einst als Segen gefeiert worden war, durch die Machenschaften von Aktienhaien und Spekulanten zu einem Fluch – derartige Extreme liegen in Amerika stets dicht nebeneinander.

Aber trotz der skandalösen Betrügereien, die in der Öffentlichkeit für Wut und Frustration sorgten, war der Siegeszug der Eisenbahn als Verkehrsmittel nicht aufzuhalten. Um 1880 waren in den USA fast 18.000 Frachtzüge und über 22.000 Passagierzüge unterwegs. Die Eisenbahnunternehmen waren neben der Farmwirtschaft die größten Arbeitgeber der USA. Beide Wirtschaftszweige ergänzten einander. Dank der Eisenbahnlinien wuchs die Besiedelung sprunghaft. Besonders im mittleren Westen waren ca. 80% aller Farmen jeweils kaum 5 Meilen von der nächsten Bahnlinie entfernt, die den Kolonisten den gesamten nationalen, aber auch den internationalen Markt für ihre Erzeugnisse öffneten.

Die Eisenbahn beeinflusste faktisch alle Elemente des täglichen Lebens. Ein weiteres Beispiel: Die Tatsache, dass es heute in Amerika mehrere Zeitzonen gibt – insgesamt 9 -, geht ebenfalls auf die Zeit des Eisenbahnbaus zurück. Es ist kaum noch vorstellbar – aber in der frühen Ära der Eisenbahnindustrie, arbeitete faktisch jede große Bahnlinie mit eigenen Uhrzeiten. Auf großen Bahnhöfen hingen mehrere Uhren, die sowohl die örtliche Standardzeit als auch die von den Bahnlinien vorgegebenen Zeiten anzeigten. Es war ein heilloses Chaos, das die Passagiere oft in völlige Verwirrung stürzte. Zu Zeiten der Postkutsche hatte man sich einfach jeweils nach dem Stand der Sonne gerichtet.

1872 hielten die großen Bahngesellschaften eine „General Time Convention“ ab, auf der zur Vereinheitlichung von Fahrplänen auf dem Kontinent die „Standard Railway Time“ eingeführt wurde.

Die Lösung brachte schließlich der kanadische Eisenbahningenieur Sandford Fleming. Er schlug vor, die ganze Welt in 24 gleich große Sektionen aufzuteilen, die von der Sonne in jeweils einer Stunde durchlaufen werden. Auf diese Weise entstanden 24 Zeitsektoren. Die Ortszeiten in jedem Sektor wurden einander angeglichen, so dass in jeder Zone die Uhren einheitlich gestellt waren.

Diese Überlegungen wurden am 18. November 1883 von den Eisenbahngesellschaften in den USA übernommen, so dass 4 hauptsächliche Zeitregionen entstanden – Eastern Time, Central Time, Mountain Time und Pacific Time.

Es gab zunächst erhebliche Kritik an dieser Entscheidung. In den 1880er Jahren wurde die Eisenbahnindustrie zunehmend feindselig gesehen. Zahlreiche Kommentatoren protestierten öffentlich, dass die Eisenbahn jetzt nicht nur die gesamte Wirtschaft und teilweise die Politik beherrschte, sondern sich auch noch zum Herren der Zeit aufschwang.

In der Tat erwies sich diese Regelung als so tiefgreifend, dass die von den Bahngesellschaften festgelegten Zeitzonen letztlich auch per Gesetz von der Regierung übernommen wurden. Sandford Flemings Zeitsystem fand schließlich Anerkennung im ganzen Rest der Welt, und er wurde für seine Überlegung von Queen Victoria in den Adelsstand erhoben. Aber der Grund für die Einteilung in Zeitzonen lag in der Notwendigkeit der Fahrplanangleichung der Eisenbahnen.

Eisenbahnräuberei

Und dann brachte das neue Verkehrsmittel eine neue Art von Kriminalität hervor – nicht die Korruption, die Unterschlagung und den Betrug der Eisenbahnbarone, obwohl man auch dabei eigentlich von „Eisenbahnräuberei“ sprechen kann. Sondern eine neue Variante des Straßenraubs, der in Amerika eine nie gekannte Dimension erreichte.

Die Hoffnung, dass Überfälle auf Züge – im Vergleich mit Postkutschen – wegen der größeren Geschwindigkeit der Bahnen nicht möglich sein würden, erfüllte sich nicht. Wie zu allen Zeiten und überall sind Kriminelle äußerst findig. Sie erkannten die Schwachstellen des neuen Transportwesens sehr schnell.

Schon in England hatte es 1849 und 1855 erste Überfälle auf fahrende Züge gegeben. In den USA allerdings sollte diese Form der Kriminalität auf die Spitze getrieben werden.

1866 eröffneten die Brüder John und Frank Reno und mehrere Kumpane mit einem Überfall auf einen Zug der „Ohio & Mississippi Railway“ ein neues Zeitalter der Straßenräuberei. Die Renos beraubten mindestens 4 Züge im amerikanischen Mittelwesten und erbeuteten bemerkenswerte Summen. Mehrfach gestellt, brachen sie immer wieder aus Gefängnissen aus. 1868 gingen sie den Fahndern im Staat Indiana in eine Falle. Im selben Jahr wurden alle Angehörigen der Reno-Bande von Vigilanten, einer Bürgerwehr, aus ihren Zellen geholt und gelyncht.

Das schreckte Nachahmer nicht ab. Binnen weniger Jahre wurde Eisenbahnräuberei fast alltäglich.

Die Bahngesellschaften setzten schließlich Sicherheitskräfte ein. Die Schaffner waren bewaffnet. Bei Geldtransporten wurden die entsprechenden Waggons speziell gesichert. Die Wells-Fargo Company, die bereits mit Postkutschen Erfahrungen hatte, später auch die bekannte Pinkerton-Detektiv-Agentur, die von den meisten Bahngesellschaften als Begleitschutz angeheuert wurde, ließ Waggons mit Pferden an die Züge hängen, in denen ihre Wachmänner mitfuhren und – falls ein Überfall nicht zu verhindern war – sofort die Verfolgung der Räuber aufnahmen.  Hunderte von Zügen wurden überfallen.

Zu den gefürchtetsten Eisenbahnräubern des 19. Jahrhunderts gehörten die ehemaligen Bürgerkriegsguerillas Jesse und Frank James und die Brüder Younger.

Die Banditen verfolgten mehrere Strategien. Einige von ihnen stiegen als Passagiere in die Züge, übernahmen während der Fahrt die Kontrolle, beraubten die Reisenden, zwangen das Wachpersonal die Tresore in den Frachtwagen zu öffnen und ließen die Züge auf freier Strecke anhalten, wo ihre Kumpane mit den Pferden warteten, um sich schnell zu entfernen.

Sie rissen die Schienen auf und ließen die Züge notfalls entgleisen – unter Inkaufnahme von Toten und Verletzten. Oder sie errichteten Hindernisse auf freier Strecke, zwangen die Lokführer zu Notbremsungen und stürmten die Waggons.

Zwischen 1870 und 1900 verging keine Woche, dass nicht irgendwo im amerikanischen Westen ein Zug ausgeraubt wurde. Die meisten Räuber wurden letztlich gestellt. Nach der James-Younger Gang versetzte die sogenannte „Wild Bunch“ unter Führung von Butch Cassidy und Sundance Kid – deren Geschichte mehrfach verfilmt wurde – die Bahngesellschaften in Angst und Schrecken. Allerdings war, im Gegensatz zur Legende, nichts Wild-Romantisches an diesen Männern. Sie waren gewalttätig, rücksichtslos und ohne Skrupel und trugen ihre Waffen nicht zur Dekoration. Sie töteten und verletzten unzählige Schaffner, Wachmänner und Passagiere.

Filmplakat

Der letzte Eisenbahnraub im Stil des 19. Jahrhunderts in den USA fand am 13. März 1912 in Texas statt. Zwei ehemalige Mitglieder der schon erwähnten Wild Bunch, versuchten den Zug Nr. 9 der „Southern Pacific“ zu übernehmen. Sie nahmen zwei Schaffner und den Geldboten als Geiseln, zwangen den Lokführer, den Zug anzuhalten und verlangten, den Frachtwaggon mit dem Tresor abzuhängen. Der Geldbote schaffte es, sich einen Eispickel zu greifen und erschlug damit einen der Banditen. Dann griff er sich dessen Gewehr und schoßssdem zweiten in den Kopf.

Damit endete die Zeit der Old West Train Robbers.

Mit der Annäherung ans 20. Jahrhundert stand eine Zeitenwende bevor. Die ersten Automobile tauchten auf den amerikanischen Straßen auf – aber noch war das nationale Straßennetz der USA unterentwickelt und sollte erst nach dem 2. Weltkrieg einen stürmischen Ausbau erleben.

1893 kam es in den USA zu einer extrem schweren Wirtschaftskrise, in der auch die Eisenbahngesellschaften hart getroffen wurden. Jetzt zeigte sich, dass manche Regionen viel zu viele Bahngesellschaften hatten, die äußerst fragil finanziert waren. Als die ersten Banken zusammenbrachen, folgten auch einige Bahngesellschaften – und Mitte 1894 lagen über 40.000 Meilen Schienenstrang brach. Zu den angeschlagenen Firmen gehörten nicht nur kleine Unternehmen, sondern auch die Giganten „Northern Pacific“ und „Union Pacific“. Das Resultat dieser Situation war eine mehrere Jahre dauernde Konsolidierung, die 1906 dazu führte, daß zwei Drittel der amerikanischen Eisenbahnen von nur noch 7 großen Investoren kontrolliert wurden, darunter die J. P. Morgan Bank.

Es bildete sich ein Eisenbahntrust, der fast eine Monopolstellung einnahm – sehr zum Ärger des amtierenden Präsidenten Theodore Roosevelt, der alles daransetzte, die Großunternehmen der USA zu zerschlagen und wieder auf Mittelstandsniveau zu bringen. Er konnte die Konzentration der Eisenbahnfirmen aber nicht verhindern. Immerhin wurde die Union Pacific 1904 und 1913 vor dem Obersten Bundesgericht verurteilt, einen Großteil ihrer Aktien von anderen Gesellschaften zu verkaufen, weil sie mit ihrer Dominanz gegen die Anti-Trust-Gesetze verstieß. Aber die Eigentümer der Anteilsmehrheiten fanden Wege, ihre Monopole zu verteidigen. 1916 kontrollierten sie um die 250.000 Meilen Schienenweg.

Auch bei den Zulieferbetrieben kam es zu Konzentrationen. 1901 verschmolzen allein 9 Lokomotivfabriken zur “American Locomotive Company“.

Das Machtkartell der Eisenbahnen wurde nachhaltig erst im Dezember 1917 mit Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg beendet. Präsident Woodrow Wilson ordnete die zeitweilige Verstaatlichung der Eisenbahnen an. Als die staatliche Kontrolle im März 1920 wieder endete und die Bahnen wieder privatisiert wurden, hatte diese Phase allerdings für bedeutende Fortschritte gesorgt – Lokomotiven, Waggons und Schienenwege waren vereinheitlicht worden, was die Unterhaltskosten maßgeblich senkte.

Diese Entwicklung zeigte, daß sich die Politik inzwischen Schritt für Schritt vom Lobbydruck der Eisenbahngesellschaften befreit hatte. Die Macht der Firmen verfiel. Eingesetzt hatte diese Tendenz – wenn auch sehr zögerlich und langsam – schon in den 1870er Jahren mit ersten großen Streiks der Bahnbeschäftigen. Im Juli 1877 gingen Bahnarbeiter in West-Virginia auf die Straße, nachdem ihnen zweimal im Jahr die Löhne gekürzt worden waren.

Es wurde versucht, die Streiks gewaltsam zu unterdrücken. Aber der Widerstand der Arbeiter wuchs. Er breitete sich über Maryland und Pennsylvania nach Illinois und schließlich in allen Mittelwest-Staaten aus. Er dauerte 45 Tage. Weitere Streiks folgten in den 1880er Jahren – etwa bei der „Great Southwestern Railroad“, wo über 200.000 Arbeiter in den Ausstand gingen.

Letztlich setzten die Arbeiter viele ihrer Forderungen durch – sowohl nach höheren Löhnen, als auch nach verschärften Sicherheitsvorschriften für Bahnbeschäftigte und Passagiere, die vom amerikanischen Kongress beschlossen wurden.

Schon 1887 wurden staatliche Inspektoren eingesetzt, die regelmäßig die Sicherheit der Züge und Bahnstrecken überprüften. Das war auch dringend nötig. Bis in die 1880er Jahre gehörten bestimmte Arbeitsplätze bei der Eisenbahn zu den gefährlichsten Jobs überhaupt, nur übertroffen von Minenarbeitern, die unter Tage beschäftigt waren. Vor allem die Bremser – es war damals üblich, das die Bremsen jedes Waggons von Hand bedient wurden – riskierten ständig Leben und Gesundheit.

Auch eine Standardisierung der Ticketpreise wurde vorgeschrieben

Ab etwa 1950 erhielten die noch bestehenden Eisenbahngesellschaften wieder politische Unterstützung, um sie gegen den wachsenden Frachtverkehr auf den Highways konkurrenzfähig zu halten. Auch der Passagierverkehr auf langen Strecken brach regelrecht zugunsten des individuellen Autoverkehrs und der wachsenden Passagierfliegerei ein. Auch in den letzten 30 Jahren verabschiedete der amerikanische Kongress immer wieder Gesetze, die die strikten Kontrollen des Bahnbetriebs lockerten und Deregulierungen im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn zum Ziel hatten.

1966 schuf der amerikanische Kongress die „Federal Railroad Administration“ (FRA), die Sicherheitsstandards und Bewirtschaftung der Eisenbahnen standardisieren sollte. Die Behörde wurde dem Verkehrsministerium zugeordnet. In jenen Jahren gab es weitere Verschmelzungen größerer regionaler Bahnlinien. Vorausgegangen waren die Bankrotte mehrerer Linien, die dann jeweils von größeren Gesellschaften übernommen wurden.

Diese Entwicklungen führten letztlich 1970 und 1971 zur Gründung der AMTRAK unter einem „Rail Passenger Service Act“, um den noch vorhandenen Passagierfernverkehr zu bündeln.

Es handelte sich dabei um eine von der Bundesregierung subventionierte Gesellschaft, deren Aktien sich im Besitz von etwa 20 großen Bahngesellschaften befinden. 53% der Aktien hält die „American Financial Group“. Alle Vorzugsaktien befinden sich als Garantie für die gewährten Subventionen im Besitz der amerikanischen Regierung. Der offizielle Name des Unternehmens lautet „National Railroad Passenger Corporation“. In der Öffentlichkeit heißt die Linie AMTRAK – ein Kunstwort aus „America“ und „Track“ (Schiene).

Eigentlich sollte die AMTRAK den Passagierverkehr „abwickeln“, weil in den 1970er Jahren die Überzeugung vorherrschte, dass der Reiseverkehr auf der Schiene ein sterbendes Modell war. Das hat sich als falsch erwiesen. Die Amtrak macht zur Zeit noch immer über 3 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. Es handelt sich hier also um eine halbstaatliche Gesellschaft. Die anderen Bahngesellschaften, vor allem die Union Pacific, die die Aktien halten, betreiben neben Frachtdiensten zum Teil ebenfalls noch Passagierdienste auf bestimmten Strecken.

Die Union Pacific, die um die Wende zum 20. Jahrhunderts mehrfach vor dem Bankrott stand, ist heute noch immer die größte Transportgesellschaft der USA, ja der Welt. Sie betreibt ca. 8.500 Lokomotiven und besitzt mehr als 42.000 Meilen Schienenstrang in 23 amerikanischen Bundesstaaten, vorwiegend im Westen der USA. Ihr Hauptquartier ist noch immer – seit 1862 – in Omaha, Nebraska. Ihr jährlicher Umsatz erreicht rund 3,4 Milliarden Dollar, und ihr Aktienwert liegt bei etwa 100 Milliarden Dollar. Damit ist das ehrwürdige Unternehmen einer der wertvollsten Transportdienstleiter weltweit. Möglich wurde das durch konsequente Aufkäufe kleinerer Bahnunternehmen. Als ebenbürtiger Konkurrent steht der Union Pacific nur die BNSF Railway (Burlington Northern Santa Fe Corporation) gegenüber, die sich im Besitz des weltberühmten Investors Warren Buffett befindet. Zusammen beherrschen diese beiden Bahngesellschaften fast das gesamte Frachtgeschäft auf der Schiene in den USA. Die Hauptfracht für amerikanische Züge ist Kohle. Es werden jährlich über 5 Millionen Waggons transportiert.

Andere, leichtere Frachten verlagern sich seit einigen Jahren wieder eher auf die Straße, seit die Benzinpreise in den USA gesunken sind. Gleichwohl versuchen die Bahngesellschaften als moderne und zukunftsweisende Transportmittel Schritt zu halten. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts wurden Pläne einer massiven Entwicklung von Containertransporten und dem entsprechenden Ausbau bestimmter Bahnstationen vorgelegt. Hier war von einem Investitionsvolumen von bis zu 100 Milliarden Dollar die Rede. Zumindest auf verschiedenen Strecken in Kalifornien sind derartige Ausbauten bereits im Gang.

Kommen wir zurück zum Golden Spike-Moment, als Amerika verkehrsmäßig vereinigt wurde.

Schon im Dezember 1869 war Promontory nur noch eine Geisterstadt. Brigham Young, der Führer der Mormonenkirche, übertrug den beiden Bahngesellschaften Land rings um die Stadt Ogden, und die „Central Pacific“ kaufte von der „Union Pacific“ weitere Ländereien und verlegte den Eisenbahnknotenpunkt nach Ogden. Hier entstand der Umsteigebahnhof und blieb es für Jahrzehnte. Da sowohl die „Union“ als auch die „Central“ mit unterschiedlichen Spurbreiten operierten, mußten Reisende durch den Kontinent hier die Züge wechseln. Promontory starb so schnell wie es entstanden war. Es dauerte bis in die 1950er Jahre, bis dieser Platz in der Wüste von Utah, an dem immerhin ein Schlüsselereignis der amerikanischen Geschichte stattgefunden hatte, unter Schutz gestellt wurde. Noch heute sieht man Reste des Original-Gleisbetts, und man kann mit seinem Auto einige Meilen auf dem alten Schienendamm fahren, auf dem die chinesischen Schienenleger ihren Rekord von 10 Meilen am Tag aufgestellt hatten.

Und damit erinnert man sich heute wieder der wahren Helden dieses „größten Unternehmens in der Geschichte der Vereinigten Staaten“, wie Präsident Grant es ausdrückte: der irischen und chinesischen Streckenarbeiter. Sie waren ebenso namenlos geblieben wie die Siedler, die im Schatten der Bahnlinie den Westen kolonisierten. Heute stehen in Promontory, am Golden Spike Monument, Gedenksteine für die Arbeiter.

Die Geschichtsschreibung sieht heute den Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinien als eine der größten technischen Leistungen der USA an und stellt sie neben die erste Landung von Menschen auf dem Mond.

Ein Großteil der Eisenbahngeschichte Nordamerikas, die unbestritten gewaltige Pionierleistung bei der Besiedelung des Kontinents ebenso, wie die wirtschaftliche Skrupellosigkeit, ist in der „Romance of the Rails“, in der nostalgisch-romantischen Erinnerung an die Zeit der Dampflokomotiven, versunken. Die heute zu beobachtende Vitalisierung der Frachtzüge ist aber nur noch ein schwacher Abglanz einer Zeit, als die Eisenbahnindustrie gewissermaßen die NASA des 19. Jahrhunderts war.

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Ende.

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