Rudolf August Welskopf, wurde am 26. August 1902 in Borstel, Kreis Stade, geboren. Er hatte sechs Geschwister. Seine Eltern Rudolf und Emilie stammten aus Ostpreußen und waren ins „Alte Land“ gezogen, um dort als Kleinpächter ihr Leben zu fristen. Später betrieben sie in Buxtehude einen Gemüsehandel.
Nach dem Abschluss der Volksschule arbeitete Rudolf als Knecht bei einem Bauern auf der Geest. Ab 1917 erlernte er den Beruf des Zimmermanns beim Meister Augustin Elstorf. Nach der Gesellenprüfung ging er von 1921 bis 1924 als Zimmerer auf Wanderschaft. Von 1924 bis 1928 arbeitete er als Geselle bei der Firma Prien & Hegemann und wurde 1929 arbeitslos.
Am 29.08.1925 schloss er in Buxtehude seine erste Ehe mit Frl. Alma Olga Bestehorn, geb. am 20.12.1902 in Löderborg, Kreis Calbe a. d. Saale. Mit ihr ließ er sich in Buxtehude nieder. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: Anni, geb. 5.12.1925, wohnhaft in Hamburg, und Rudolf, geb. 30.01.1928; gest. 7.04.1995 in Hamburg. Beide haben Nachkommen, die in Hamburg oder in der Nähe Hamburgs leben.
1925 trat er in die SPD ein, verließ diese aber 1930 wieder, um der KPD beizutreten.
1932 und 1933 wurde er mehrmals in „Schutzhaft“ genommen wegen Aktionen gegen SA und NSDAP. Eine von Welskopf geleitete Widerstandsgruppe der KPD in Buxtehude wurde zerschlagen, nachdem es der Gestapo gelungen war, einen Kurier abzufangen. Am 20.8.1934 erneute Verhaftung und 1935 Verurteilung durch das Berliner Kammergericht im „Buxtehuder Hochverratsprozeß“ zu 5 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Polizeiaufsicht. 1935 – 1939 Zuchthaus in Celle, 1939-1940 Gefängnis in Hannover. 1936 Fluchtversuch aus einem Arbeitskommando im Moor bei Zeven, Zusatzstrafe wegen „Meuterei“ bis 1940.
Nach Ablauf dieser Strafe 1940 wurde er als „unverbesserlich“ in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. In der Folgezeit arbeitete er im Außenlager Lichterfelde (Berlin). Er hatte dort in seiner Werkstatt ein Radio versteckt und verbreitete die Nachrichten unter den Häftlingen. Am 27.7.1944 gelang ihm die Flucht aus Lichterfelde. Fräulein Dr. Elisabeth Charlotte Henrich aus Berlin verhalf ihm zur Flucht und versteckt ihn 1944-1945 in ihrer Wohnung in Berlin mit Hilfe u.a. von Pfarrer Harald Poelchau.
Ab 5. Mai 1945 Tätigkeit beim Bezirksamt Charlottenburg als Polizei-Reviervorsteher und Amtsbezirksleiter Charlottenburg-Mitte.
Am 25.01.1946 wurde die Ehe mit Alma vom Landgericht Hamburg geschieden. Das Sorgerecht für die Kinder erhielt die Mutter.
Am 11.05.1946 ehelichte er in Berlin Frl. Dr. Elisabeth Charlotte Henrich, geb. 15.09.1901 in München. In dieser Ehe wurde am 24.04.1948 in Berlin ein Sohn geboren und auf den Namen Rudolf getauft.
In den Jahren 1946-1950 im Baustoffhandel tätig; u.a. Geschäftsführer bzw. Prokurist der Baustoff-Ost- GmbH. 1950-1951 beschäftigt im Ministerium für Schwerindustrie der DDR mit dem Aufbau eines Bergungsbetriebes für Schrott u.a. Wertstoffe.
Von 1951-1962 Tätigkeit bei der Reichsbahn-Bau-Union (Leiter der Allgemeinen Verwaltung). Ruhestand ab 1962.
August Rudolf Welskopf starb am 17.01.1979 in Berlin.
Seine Frau Liselotte Welskopf-Henrich hat in ihrem Roman „Jan und Jutta“ seine Lebensgeschichte bis 1945 dramatisch geschildert.
In seiner Heimatstadt Buxtehude wurde seit seinem 100. Geburtstag im Jahre 2002 darüber diskutiert, ob bzw. in welcher Form sein Andenken als Widerstandskämpfer geehrt werden sollte. Letztlich wurde im Jahre 2005 die abgebildetete Gedenktafel angebracht, und im Jahre 2022 wurde sogar eine Straße nach ihm benannt. Die Inschrift auf der Tafel lautet: „Im Haus Stavenort 5 wohnte 1934 Rudolf Welskopf (1902–1979), der mit seiner Gruppe 1933–1934 gegen das nationalsozialistische Regime Widerstand leistete und dafür 5 Jahre Zuchthaus und 4 Jahre Konzentrationslager ertragen musste.“
Eine Chronik dieser Auseinandersetzung findet sich auf der Website des Netzwerkes der VVN-BdA Kreisvereinigung Stade unter http://www.stade.vvn-bda.de/welskopf.htm : „Kein Gedenken an Rudolf Welskopf? – Der Streit in Buxtehude im Spiegel der Presse“.
In einer Ausstellung des Berliner Steglitz-Museums „Steglitz vor sechs Jahrzehnten – ein Bezirk erinnert sich“ waren u.a. Bilder, Fundstücke und Dokumente über das KZ-Außenlager Lichterfelde zu besichtigen (vom 23.05. bis 23.06.2005). Erinnert wurde auch an Rudolf Welskopf, dem 1944 von dort die Flucht gelang.
Jährlich am 26. August organisiert der Rosa Luxemburg Club Niederelbe ein Gedenken an Rudolf Welskopf. Es werden Blumen an der Gedenktafel (Stadtarchiv Stavenort, Buxtehude) für den Widerstandskämpfer und seine Gruppe niedergelegt. Mehrmals war dabei auch der Sohn Dr. Rudolf Welskopf in Buxtehude anwesend und berichtete auf Gesprächsabenden über den Roman „Jan und Jutta“ und das Leben seiner Eltern.
DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN – Für den weit bekannten sechsbändigen Roman von Liselotte Welskopf-Henrich suchen wir einen Illustrator / Zeichner, der die Geschichte in einer graphic novel erzählt. Unterstützung bietet hierbei der Palisander-Verlag, in dem die neueste Auflage des Werks erschienen ist. Wer hat Interesse? Bitte melden bei Dr. Rudolf Welskopf.
Die „Central Pacific“ hatte, wie erwähnt, gegenüber der „Union Pacific“ einen schwereren Stand, sich an den Regierungsgeldern zu bedienen. Die ersten Jahre waren zweifellos ein Verlustgeschäft für „die Großen Vier“. Das Material für den Bau musste auf Schiffen rings um Kap Horn, bzw. durch die sumpfige Wildnis von Panama zur Pacific-Küste transportiert werden. Stanford hielt sich an anderen Geschäften schadlos. Er gründete eine Lebensversicherung – die noch heute unter dem Namen „Pacific Life“ existiert – und übernahm die nur an der Westküste verkehrende „Southern Pacific Railroad“, die eine sehr profitable Bahnlinie war. Er wurde später auch Direktor der „Occidental and Oriental Steamship Company“, die den Frachtverkehr von San Francisco nach Japan und China bediente und mit der „Central Pacific Railroad“ verbunden war.
Stanford war der Mann, der am 10. Mai 1869 den letzten Schienennagel in Promontory Point einschlug. Er führte die verschiedenen Unternehmungen, die er gegründet hatte, bzw. an denen er beteiligt war bis zu seinem Tod im Juni 1893.
Als das Jahr 1869 anbrach, hatten sich beide Bahngesellschaften noch nicht auf einen Treffpunkt des Schienenweges geeinigt. Tatsächlich bauten sie ihre Gleise wie in einem Rausch aneinander vorbei. Längst hatte der Konkurrenzkampf um die meisten Regierungsprämien und Landschenkungen die Form eines Krieges angenommen. Sabotageakte gegen Materialtransporte, Angriffe auf die Arbeitercamps der jeweils anderen Gesellschaft waren nicht ungewöhnlich. Dann, im April 1869, sprach der neu gewählte Präsident U. S. Grant ein Machtwort, und die Führer der Union und der Central Pacific vereinbarten die Zusammenlegung der Schienen bei Promontory Point, einer kahlen Niederung in der Wüste von Utah. Hier trafen die chinesischen Schienenleger am 30. April ein. Erst eine Woche später rückten die irischen Teams der Union Pacific in Sicht.
Die letzten 800 m sollten bis zum 8. Mai geschlossen werden – aber dazu kam es nicht. Denn die Union Pacific hatte die letzten Lohnzahlungen an ihre Arbeiter nicht angewiesen. Als Thomas Durant, mit seinem Sonderzug Piedmont (Wyoming) passierte, wurde er von seinen Arbeiterkolonnen aufgehalten und auf ein Nebengleis umgeleitet. Er versuchte zwar telegraphisch die Armee zu Hilfe zu rufen – die Telegramme wurden abgefangen. Erst als er die sofortige Auszahlung der fälligen Löhne anwies, durfte er weiterfahren. Das war der Grund, dass die „Hochzeit der Schienen“ erst am 10. Mai 1869 stattfinden konnte.
Gemessen an den Folgen des Ereignisses, war die Zeremonie äußerst bescheiden; denn das abgelegene Promontory Point war für Zuschauer nur schwer zu erreichen. Ganze 600 bis 700 Menschen nahmen teil, die meisten wohl Arbeiter und Angestellte beider Gesellschaften.
Champagnerkorken knallten mit Gewehren und Revolvern um die Wette, als das letzte Stück Gleis gelegt war und die Vertreter beider Gesellschaften, Leland Stanford und Dr. Thomas C. Durant, mit einem versilberten Hammer die letzten Nägel einschlugen.
Es war 12.47 Uhr Ortszeit. Die beiden Loks „Jupiter“ der Central Pacific und „No. 119“ der Union Pacific rollten aufeinander zu und berührten sich. Stanford und Durant, die sich jahrelang bis aufs Messer bekämpft hatten, sanken sich betrunken in die Arme.
Obwohl dieser Augenblick bis heute als die „Golden Spike Zeremonie“ bezeichnet wird, waren es tatsächlich 4 Nägel aus Edelmetall, die in die letzte Schwelle aus Lorbeerholz gesteckt wurden. Zwei goldene Nägel kamen aus Kalifornien, einer war von der Zeitung „San Francisco Newsletter“ gesponsort worden. Dann gab es einen Nagel aus purem Silber, den der Staat Nevada beigesteuert hatte. Der letzte Nagel war aus Eisen, aber versilbert und vergoldet. Er wurde vom Gouverneur des Arizona-Territoriums überreicht.
Von „Einschlagen“ konnte übrigens keine Rede sein. Kein Mensch dachte daran, einen massiv goldenen Nagel in eine Schwelle zu schlagen – er wäre total verformt worden. Also waren zuvor 4 Löcher in die Schwelle gebohrt worden. Die Nägel wurden dann mehr oder weniger eingesteckt und nur noch symbolisch mit einem silbernen Hammer berührt.
Einer der goldenen Schienennägel liegt heute im Museum der Stanford University in Kalifornien. Der zweite Goldnagel und die letzte Schwelle wurden in den Feuern, die dem Erdbeben von San Francisco 1906 folgten, zerstört.
In den Jahren des Baues der transkontinentalen Bahnlinie hatten die Iren und Chinesen um die 6,5 Millionen Schwellen und mehr als 900.000 Schienen gelegt. Nicht zu reden von den unzähligen Tonnen Erde, die bewegt, und von dem Gestein, das aus Felsmassiven gesprengt worden war. Nicht zu reden von den Wäldern, die abgeholzt worden waren, um Brückenkonstruktionen zu errichten, deren Haltbarkeit beim Anblick alter Fotos noch heute fassungslos macht.
Nach der Zeremonie entstanden die berühmten Fotos von der „Hochzeit der Schienen“ – und darauf sieht man nicht einen einzigen Chinesen, obwohl diese Arbeiter vermutlich die größten Opfer für den Bahnbau gebracht hatten. Tatsächlich hatten die verantwortlichen Bauleiter dafür gesorgt, daß die chinesischen Arbeiter nach der Golden-Spike-Zeremonie zur Einnahme ihrer Mahlzeit weggeschickt wurden, bevor der Fotograf seine Plattenkamera aufbaute. Besonders an der Westküste waren Chinesen eine diskriminierte Bevölkerungsminderheit, und sie sollten daher nicht auf dem Bild zu sehen sein, das die Vollendung des großen Bahnbauprojekts dokumentierte.
Erst anlässlich der 50-Jahr-Feier der Golden Spike-Zeremonie im Jahr 1919 wurden 3 der noch lebenden letzten 8 Chinesischen Gleisleger nach Ogden eingeladen, um teilzunehmen.
Der „Wilde Westen“ und das „zivilisierte“ Amerika waren zusammengewachsen. Als die telegraphische Nachricht in Kalifornien und in den Oststaaten eintraf, läuteten in allen großen Städten die Kirchenglocken. Menschen tanzten auf den Straßen. Nur wenige Tage später, am 15. Mai 1869, begann der reguläre Personenverkehr von „Coast to Coast“. Die Reise dauerte acht bis zehn Tage, je nachdem, wie exakt die Fahrpläne eingehalten wurden und wie schnell die Reisenden aus dem Osten in Omaha, dem Beginn der Union Pacific, eintrafen. Die Fahrt blieb für mehrere Jahre ein mehr oder weniger strapaziöses Abenteuer, aber nicht vergleichbar mit der fünfmonatigen Fahrt im Planwagen, die bis dahin Standard gewesen war.
Die eigentliche Bedeutung aber zeigte sich in der sprunghaften Besiedelung des Westens. Die „Hell on Wheels“-Städte, die nach dem Weiterziehen der Arbeitercamps Bestand hatten – wie etwa Cheyenne oder Laramie – wuchsen, wurden Dank der sicheren Transportverbindungen zu Wirtschaftsmetropolen und trieben die Erschließung des Westens voran.
Die Fertigstellung der großen Eisenbahnlinie eröffnete ein neues Zeitalter. Sie bedeutete den endgültigen Durchbruch bei der Eroberung und Beherrschung des Kontinents. Anfangs als utopisches Unternehmen angesehen, wurde die Strecke innerhalb kürzester Zeit zur Alltäglichkeit. In den folgenden 30 Jahren wurden vier weitere transkontinentale Bahnlinien durch den Westen getrieben. Dabei entstand beispielsweise die „Northern Pacific“ unter Leitung des gebürtigen Deutschen Heinrich Hilgard-Villard, der Anleihen des Deutschen Reiches für den Bau besorgte. Die dankbaren Eigentümer der Bahn tauften daraufhin die heutige Staatshauptstadt North-Dakotas „Bismarck“. Abgesichert wurden diese Anleihen mit Landsubventionen der amerikanischen Regierung von 160.000 Quadratkilometern. Diese Linie wurde 1883 fertiggestellt. Schon 1880 war die „Southern Pacific Railroad“ quer durch das Arizona-Territorium gebaut worden und bediente die Südroute durch den Kontinent.
Als 1893 die nordwestlichen Bahnlinien zur „Great Northern“ vereinigt wurde, nahm kaum ein Mensch in den USA davon noch Notiz. Die Eisenbahn war etwas Selbstverständliches geworden. Zu dieser Zeit war vom großen Abenteuer fast nichts mehr geblieben. Der „Far West“ in seiner wilden, gefahrvollen, unberührten Schönheit war untergegangen. Von den Indianern und Bisons, den Rinderherden und Pioniertrecks war nur noch eine Legende geblieben. Die Eigentümer der großen Bahngesellschaften wandelten sich in den Augen der Öffentlichkeit sehr bald zu absoluten Anti-Helden, je mehr ans Licht kam, wie skrupellos sie sich bereichert hatten, wie sie – im Verein mit korrupten Politikern – den Staat geschröpft hatten. Zu dieser Zeit waren längst Baukolonnen überall im Westen unterwegs, um die bereits unsicher gewordenen Schienenwege auszuwechseln: Während des hektischen Vorantreibens der Gleise, um in den Genuß der staatlichen Prämien zu gelangen, waren schwere Konstruktionsfehler gemacht worden, die vielen Reisenden Leben und Gesundheit gekostet hatten. Das Schienenbett war auf weiten Strecken mangelhaft vorbereitet gewesen und inzwischen abgesackt. Die Schwellen waren aus schlechtem, nicht abgelagertem Holz gefertigt worden.
In den 1870er Jahren begann in den westlichen Gebieten ein erbitterter Kampf der Farmer gegen die Ausbeutung durch die Bahngesellschaften. Populistengruppierungen forderten deren Verstaatlichung. So verkam eine zweifellos bedeutende Leistung, die der Eisenbahnbau darstellte und die einst als Segen gefeiert worden war, durch die Machenschaften von Aktienhaien und Spekulanten zu einem Fluch – derartige Extreme liegen in Amerika stets dicht nebeneinander.
Aber trotz der skandalösen Betrügereien, die in der Öffentlichkeit für Wut und Frustration sorgten, war der Siegeszug der Eisenbahn als Verkehrsmittel nicht aufzuhalten. Um 1880 waren in den USA fast 18.000 Frachtzüge und über 22.000 Passagierzüge unterwegs. Die Eisenbahnunternehmen waren neben der Farmwirtschaft die größten Arbeitgeber der USA. Beide Wirtschaftszweige ergänzten einander. Dank der Eisenbahnlinien wuchs die Besiedelung sprunghaft. Besonders im mittleren Westen waren ca. 80% aller Farmen jeweils kaum 5 Meilen von der nächsten Bahnlinie entfernt, die den Kolonisten den gesamten nationalen, aber auch den internationalen Markt für ihre Erzeugnisse öffneten.
Die Eisenbahn beeinflusste faktisch alle Elemente des täglichen Lebens. Ein weiteres Beispiel: Die Tatsache, dass es heute in Amerika mehrere Zeitzonen gibt – insgesamt 9 -, geht ebenfalls auf die Zeit des Eisenbahnbaus zurück. Es ist kaum noch vorstellbar – aber in der frühen Ära der Eisenbahnindustrie, arbeitete faktisch jede große Bahnlinie mit eigenen Uhrzeiten. Auf großen Bahnhöfen hingen mehrere Uhren, die sowohl die örtliche Standardzeit als auch die von den Bahnlinien vorgegebenen Zeiten anzeigten. Es war ein heilloses Chaos, das die Passagiere oft in völlige Verwirrung stürzte. Zu Zeiten der Postkutsche hatte man sich einfach jeweils nach dem Stand der Sonne gerichtet.
1872 hielten die großen Bahngesellschaften eine „General Time Convention“ ab, auf der zur Vereinheitlichung von Fahrplänen auf dem Kontinent die „Standard Railway Time“ eingeführt wurde.
Die Lösung brachte schließlich der kanadische Eisenbahningenieur Sandford Fleming. Er schlug vor, die ganze Welt in 24 gleich große Sektionen aufzuteilen, die von der Sonne in jeweils einer Stunde durchlaufen werden. Auf diese Weise entstanden 24 Zeitsektoren. Die Ortszeiten in jedem Sektor wurden einander angeglichen, so dass in jeder Zone die Uhren einheitlich gestellt waren.
Diese Überlegungen wurden am 18. November 1883 von den Eisenbahngesellschaften in den USA übernommen, so dass 4 hauptsächliche Zeitregionen entstanden – Eastern Time, Central Time, Mountain Time und Pacific Time.
Es gab zunächst erhebliche Kritik an dieser Entscheidung. In den 1880er Jahren wurde die Eisenbahnindustrie zunehmend feindselig gesehen. Zahlreiche Kommentatoren protestierten öffentlich, dass die Eisenbahn jetzt nicht nur die gesamte Wirtschaft und teilweise die Politik beherrschte, sondern sich auch noch zum Herren der Zeit aufschwang.
In der Tat erwies sich diese Regelung als so tiefgreifend, dass die von den Bahngesellschaften festgelegten Zeitzonen letztlich auch per Gesetz von der Regierung übernommen wurden. Sandford Flemings Zeitsystem fand schließlich Anerkennung im ganzen Rest der Welt, und er wurde für seine Überlegung von Queen Victoria in den Adelsstand erhoben. Aber der Grund für die Einteilung in Zeitzonen lag in der Notwendigkeit der Fahrplanangleichung der Eisenbahnen.
Eisenbahnräuberei
Und dann brachte das neue Verkehrsmittel eine neue Art von Kriminalität hervor – nicht die Korruption, die Unterschlagung und den Betrug der Eisenbahnbarone, obwohl man auch dabei eigentlich von „Eisenbahnräuberei“ sprechen kann. Sondern eine neue Variante des Straßenraubs, der in Amerika eine nie gekannte Dimension erreichte.
Die Hoffnung, dass Überfälle auf Züge – im Vergleich mit Postkutschen – wegen der größeren Geschwindigkeit der Bahnen nicht möglich sein würden, erfüllte sich nicht. Wie zu allen Zeiten und überall sind Kriminelle äußerst findig. Sie erkannten die Schwachstellen des neuen Transportwesens sehr schnell.
Schon in England hatte es 1849 und 1855 erste Überfälle auf fahrende Züge gegeben. In den USA allerdings sollte diese Form der Kriminalität auf die Spitze getrieben werden.
1866 eröffneten die Brüder John und Frank Reno und mehrere Kumpane mit einem Überfall auf einen Zug der „Ohio & Mississippi Railway“ ein neues Zeitalter der Straßenräuberei. Die Renos beraubten mindestens 4 Züge im amerikanischen Mittelwesten und erbeuteten bemerkenswerte Summen. Mehrfach gestellt, brachen sie immer wieder aus Gefängnissen aus. 1868 gingen sie den Fahndern im Staat Indiana in eine Falle. Im selben Jahr wurden alle Angehörigen der Reno-Bande von Vigilanten, einer Bürgerwehr, aus ihren Zellen geholt und gelyncht.
Das schreckte Nachahmer nicht ab. Binnen weniger Jahre wurde Eisenbahnräuberei fast alltäglich.
Die Bahngesellschaften setzten schließlich Sicherheitskräfte ein. Die Schaffner waren bewaffnet. Bei Geldtransporten wurden die entsprechenden Waggons speziell gesichert. Die Wells-Fargo Company, die bereits mit Postkutschen Erfahrungen hatte, später auch die bekannte Pinkerton-Detektiv-Agentur, die von den meisten Bahngesellschaften als Begleitschutz angeheuert wurde, ließ Waggons mit Pferden an die Züge hängen, in denen ihre Wachmänner mitfuhren und – falls ein Überfall nicht zu verhindern war – sofort die Verfolgung der Räuber aufnahmen. Hunderte von Zügen wurden überfallen.
Zu den gefürchtetsten Eisenbahnräubern des 19. Jahrhunderts gehörten die ehemaligen Bürgerkriegsguerillas Jesse und Frank James und die Brüder Younger.
Die Banditen verfolgten mehrere Strategien. Einige von ihnen stiegen als Passagiere in die Züge, übernahmen während der Fahrt die Kontrolle, beraubten die Reisenden, zwangen das Wachpersonal die Tresore in den Frachtwagen zu öffnen und ließen die Züge auf freier Strecke anhalten, wo ihre Kumpane mit den Pferden warteten, um sich schnell zu entfernen.
Sie rissen die Schienen auf und ließen die Züge notfalls entgleisen – unter Inkaufnahme von Toten und Verletzten. Oder sie errichteten Hindernisse auf freier Strecke, zwangen die Lokführer zu Notbremsungen und stürmten die Waggons.
Zwischen 1870 und 1900 verging keine Woche, dass nicht irgendwo im amerikanischen Westen ein Zug ausgeraubt wurde. Die meisten Räuber wurden letztlich gestellt. Nach der James-Younger Gang versetzte die sogenannte „Wild Bunch“ unter Führung von Butch Cassidy und Sundance Kid – deren Geschichte mehrfach verfilmt wurde – die Bahngesellschaften in Angst und Schrecken. Allerdings war, im Gegensatz zur Legende, nichts Wild-Romantisches an diesen Männern. Sie waren gewalttätig, rücksichtslos und ohne Skrupel und trugen ihre Waffen nicht zur Dekoration. Sie töteten und verletzten unzählige Schaffner, Wachmänner und Passagiere.
Der letzte Eisenbahnraub im Stil des 19. Jahrhunderts in den USA fand am 13. März 1912 in Texas statt. Zwei ehemalige Mitglieder der schon erwähnten Wild Bunch, versuchten den Zug Nr. 9 der „Southern Pacific“ zu übernehmen. Sie nahmen zwei Schaffner und den Geldboten als Geiseln, zwangen den Lokführer, den Zug anzuhalten und verlangten, den Frachtwaggon mit dem Tresor abzuhängen. Der Geldbote schaffte es, sich einen Eispickel zu greifen und erschlug damit einen der Banditen. Dann griff er sich dessen Gewehr und schoßssdem zweiten in den Kopf.
Damit endete die Zeit der Old West Train Robbers.
Mit der Annäherung ans 20. Jahrhundert stand eine Zeitenwende bevor. Die ersten Automobile tauchten auf den amerikanischen Straßen auf – aber noch war das nationale Straßennetz der USA unterentwickelt und sollte erst nach dem 2. Weltkrieg einen stürmischen Ausbau erleben.
1893 kam es in den USA zu einer extrem schweren Wirtschaftskrise, in der auch die Eisenbahngesellschaften hart getroffen wurden. Jetzt zeigte sich, dass manche Regionen viel zu viele Bahngesellschaften hatten, die äußerst fragil finanziert waren. Als die ersten Banken zusammenbrachen, folgten auch einige Bahngesellschaften – und Mitte 1894 lagen über 40.000 Meilen Schienenstrang brach. Zu den angeschlagenen Firmen gehörten nicht nur kleine Unternehmen, sondern auch die Giganten „Northern Pacific“ und „Union Pacific“. Das Resultat dieser Situation war eine mehrere Jahre dauernde Konsolidierung, die 1906 dazu führte, daß zwei Drittel der amerikanischen Eisenbahnen von nur noch 7 großen Investoren kontrolliert wurden, darunter die J. P. Morgan Bank.
Es bildete sich ein Eisenbahntrust, der fast eine Monopolstellung einnahm – sehr zum Ärger des amtierenden Präsidenten Theodore Roosevelt, der alles daransetzte, die Großunternehmen der USA zu zerschlagen und wieder auf Mittelstandsniveau zu bringen. Er konnte die Konzentration der Eisenbahnfirmen aber nicht verhindern. Immerhin wurde die Union Pacific 1904 und 1913 vor dem Obersten Bundesgericht verurteilt, einen Großteil ihrer Aktien von anderen Gesellschaften zu verkaufen, weil sie mit ihrer Dominanz gegen die Anti-Trust-Gesetze verstieß. Aber die Eigentümer der Anteilsmehrheiten fanden Wege, ihre Monopole zu verteidigen. 1916 kontrollierten sie um die 250.000 Meilen Schienenweg.
Auch bei den Zulieferbetrieben kam es zu Konzentrationen. 1901 verschmolzen allein 9 Lokomotivfabriken zur “American Locomotive Company“.
Das Machtkartell der Eisenbahnen wurde nachhaltig erst im Dezember 1917 mit Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg beendet. Präsident Woodrow Wilson ordnete die zeitweilige Verstaatlichung der Eisenbahnen an. Als die staatliche Kontrolle im März 1920 wieder endete und die Bahnen wieder privatisiert wurden, hatte diese Phase allerdings für bedeutende Fortschritte gesorgt – Lokomotiven, Waggons und Schienenwege waren vereinheitlicht worden, was die Unterhaltskosten maßgeblich senkte.
Diese Entwicklung zeigte, daß sich die Politik inzwischen Schritt für Schritt vom Lobbydruck der Eisenbahngesellschaften befreit hatte. Die Macht der Firmen verfiel. Eingesetzt hatte diese Tendenz – wenn auch sehr zögerlich und langsam – schon in den 1870er Jahren mit ersten großen Streiks der Bahnbeschäftigen. Im Juli 1877 gingen Bahnarbeiter in West-Virginia auf die Straße, nachdem ihnen zweimal im Jahr die Löhne gekürzt worden waren.
Es wurde versucht, die Streiks gewaltsam zu unterdrücken. Aber der Widerstand der Arbeiter wuchs. Er breitete sich über Maryland und Pennsylvania nach Illinois und schließlich in allen Mittelwest-Staaten aus. Er dauerte 45 Tage. Weitere Streiks folgten in den 1880er Jahren – etwa bei der „Great Southwestern Railroad“, wo über 200.000 Arbeiter in den Ausstand gingen.
Letztlich setzten die Arbeiter viele ihrer Forderungen durch – sowohl nach höheren Löhnen, als auch nach verschärften Sicherheitsvorschriften für Bahnbeschäftigte und Passagiere, die vom amerikanischen Kongress beschlossen wurden.
Schon 1887 wurden staatliche Inspektoren eingesetzt, die regelmäßig die Sicherheit der Züge und Bahnstrecken überprüften. Das war auch dringend nötig. Bis in die 1880er Jahre gehörten bestimmte Arbeitsplätze bei der Eisenbahn zu den gefährlichsten Jobs überhaupt, nur übertroffen von Minenarbeitern, die unter Tage beschäftigt waren. Vor allem die Bremser – es war damals üblich, das die Bremsen jedes Waggons von Hand bedient wurden – riskierten ständig Leben und Gesundheit.
Auch eine Standardisierung der Ticketpreise wurde vorgeschrieben
Ab etwa 1950 erhielten die noch bestehenden Eisenbahngesellschaften wieder politische Unterstützung, um sie gegen den wachsenden Frachtverkehr auf den Highways konkurrenzfähig zu halten. Auch der Passagierverkehr auf langen Strecken brach regelrecht zugunsten des individuellen Autoverkehrs und der wachsenden Passagierfliegerei ein. Auch in den letzten 30 Jahren verabschiedete der amerikanische Kongress immer wieder Gesetze, die die strikten Kontrollen des Bahnbetriebs lockerten und Deregulierungen im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn zum Ziel hatten.
1966 schuf der amerikanische Kongress die „Federal Railroad Administration“ (FRA), die Sicherheitsstandards und Bewirtschaftung der Eisenbahnen standardisieren sollte. Die Behörde wurde dem Verkehrsministerium zugeordnet. In jenen Jahren gab es weitere Verschmelzungen größerer regionaler Bahnlinien. Vorausgegangen waren die Bankrotte mehrerer Linien, die dann jeweils von größeren Gesellschaften übernommen wurden.
Diese Entwicklungen führten letztlich 1970 und 1971 zur Gründung der AMTRAK unter einem „Rail Passenger Service Act“, um den noch vorhandenen Passagierfernverkehr zu bündeln.
Es handelte sich dabei um eine von der Bundesregierung subventionierte Gesellschaft, deren Aktien sich im Besitz von etwa 20 großen Bahngesellschaften befinden. 53% der Aktien hält die „American Financial Group“. Alle Vorzugsaktien befinden sich als Garantie für die gewährten Subventionen im Besitz der amerikanischen Regierung. Der offizielle Name des Unternehmens lautet „National Railroad Passenger Corporation“. In der Öffentlichkeit heißt die Linie AMTRAK – ein Kunstwort aus „America“ und „Track“ (Schiene).
Eigentlich sollte die AMTRAK den Passagierverkehr „abwickeln“, weil in den 1970er Jahren die Überzeugung vorherrschte, dass der Reiseverkehr auf der Schiene ein sterbendes Modell war. Das hat sich als falsch erwiesen. Die Amtrak macht zur Zeit noch immer über 3 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. Es handelt sich hier also um eine halbstaatliche Gesellschaft. Die anderen Bahngesellschaften, vor allem die Union Pacific, die die Aktien halten, betreiben neben Frachtdiensten zum Teil ebenfalls noch Passagierdienste auf bestimmten Strecken.
Die Union Pacific, die um die Wende zum 20. Jahrhunderts mehrfach vor dem Bankrott stand, ist heute noch immer die größte Transportgesellschaft der USA, ja der Welt. Sie betreibt ca. 8.500 Lokomotiven und besitzt mehr als 42.000 Meilen Schienenstrang in 23 amerikanischen Bundesstaaten, vorwiegend im Westen der USA. Ihr Hauptquartier ist noch immer – seit 1862 – in Omaha, Nebraska. Ihr jährlicher Umsatz erreicht rund 3,4 Milliarden Dollar, und ihr Aktienwert liegt bei etwa 100 Milliarden Dollar. Damit ist das ehrwürdige Unternehmen einer der wertvollsten Transportdienstleiter weltweit. Möglich wurde das durch konsequente Aufkäufe kleinerer Bahnunternehmen. Als ebenbürtiger Konkurrent steht der Union Pacific nur die BNSF Railway (Burlington Northern Santa Fe Corporation) gegenüber, die sich im Besitz des weltberühmten Investors Warren Buffett befindet. Zusammen beherrschen diese beiden Bahngesellschaften fast das gesamte Frachtgeschäft auf der Schiene in den USA. Die Hauptfracht für amerikanische Züge ist Kohle. Es werden jährlich über 5 Millionen Waggons transportiert.
Andere, leichtere Frachten verlagern sich seit einigen Jahren wieder eher auf die Straße, seit die Benzinpreise in den USA gesunken sind. Gleichwohl versuchen die Bahngesellschaften als moderne und zukunftsweisende Transportmittel Schritt zu halten. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts wurden Pläne einer massiven Entwicklung von Containertransporten und dem entsprechenden Ausbau bestimmter Bahnstationen vorgelegt. Hier war von einem Investitionsvolumen von bis zu 100 Milliarden Dollar die Rede. Zumindest auf verschiedenen Strecken in Kalifornien sind derartige Ausbauten bereits im Gang.
Kommen wir zurück zum Golden Spike-Moment, als Amerika verkehrsmäßig vereinigt wurde.
Schon im Dezember 1869 war Promontory nur noch eine Geisterstadt. Brigham Young, der Führer der Mormonenkirche, übertrug den beiden Bahngesellschaften Land rings um die Stadt Ogden, und die „Central Pacific“ kaufte von der „Union Pacific“ weitere Ländereien und verlegte den Eisenbahnknotenpunkt nach Ogden. Hier entstand der Umsteigebahnhof und blieb es für Jahrzehnte. Da sowohl die „Union“ als auch die „Central“ mit unterschiedlichen Spurbreiten operierten, mußten Reisende durch den Kontinent hier die Züge wechseln. Promontory starb so schnell wie es entstanden war. Es dauerte bis in die 1950er Jahre, bis dieser Platz in der Wüste von Utah, an dem immerhin ein Schlüsselereignis der amerikanischen Geschichte stattgefunden hatte, unter Schutz gestellt wurde. Noch heute sieht man Reste des Original-Gleisbetts, und man kann mit seinem Auto einige Meilen auf dem alten Schienendamm fahren, auf dem die chinesischen Schienenleger ihren Rekord von 10 Meilen am Tag aufgestellt hatten.
Und damit erinnert man sich heute wieder der wahren Helden dieses „größten Unternehmens in der Geschichte der Vereinigten Staaten“, wie Präsident Grant es ausdrückte: der irischen und chinesischen Streckenarbeiter. Sie waren ebenso namenlos geblieben wie die Siedler, die im Schatten der Bahnlinie den Westen kolonisierten. Heute stehen in Promontory, am Golden Spike Monument, Gedenksteine für die Arbeiter.
Die Geschichtsschreibung sieht heute den Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinien als eine der größten technischen Leistungen der USA an und stellt sie neben die erste Landung von Menschen auf dem Mond.
Ein Großteil der Eisenbahngeschichte Nordamerikas, die unbestritten gewaltige Pionierleistung bei der Besiedelung des Kontinents ebenso, wie die wirtschaftliche Skrupellosigkeit, ist in der „Romance of the Rails“, in der nostalgisch-romantischen Erinnerung an die Zeit der Dampflokomotiven, versunken. Die heute zu beobachtende Vitalisierung der Frachtzüge ist aber nur noch ein schwacher Abglanz einer Zeit, als die Eisenbahnindustrie gewissermaßen die NASA des 19. Jahrhunderts war.
Die unmenschliche Eile hatte handfeste Gründe. Die Regierung hatte beiden Baugesellschaften immense finanzielle Vorteile und Landschenkungen für jede fertiggestellte Meile Schienenstrang als Prämien zugesagt. Je nach Schwierigkeitsgrad des Gebiets, durch das die Schienen gelegt wurden, winkten zinslose Regierungskredite von 16.000 bis 48.000 Dollar pro Meile. Das summierte sich schließlich auf 60 Millionen Dollar. (Gerechterweise muß angefügt werden, dass die Kredite im Laufe der Jahre zurückgezahlt wurden.)
Für die Finanzierung wurden auch Staatsanleihen aufgelegt, die eine Laufzeit von 30 Jahren hatten und mit 6% verzinst wurden.
Die Landprämien sollten letztlich über 8 Millionen Hektar umfassen, deren Wert sich auf fast 100 Millionen Dollar belief. Auch die Bundesstaaten förderten den Eisenbahnbau mit zusätzlichen Landschenkungen.
Je schneller die Schienen vorangetrieben wurden, desto schneller vermehrte sich also der Landreichtum der Central und der Union Pacific. Das in Besitz genommene Land wurde sofort an Siedler verpachtet, für die in Zeitungsanzeigen, mit Plakaten und Broschüren im Osten der USA, aber auch in Europa geworben wurde. Den künftigen Kolonisten wurden goldene Berge versprochen, blühende Felder, üppige Ernten – und natürlich die direkte Anbindung an die Eisenbahn zum Verkauf ihrer Produkte.
Tausende vertrauten darauf. Ihre Träume zerbrachen in den wasserarmen Plainszonen und an den gnadenlos eingetriebenen Pachtraten und Kreditzinsen. Die Bahngesellschaften gründeten Städte auf ihrem eigenen Land, die von und für die Eisenbahn lebten.
Was dem Bahnbau die Bezeichnung „Hölle auf Rädern“ eintrug – eine bis heute populäre Bezeichnung – war der Schwarm von Parasiten, der den Camps der Bauarbeiter folgte: Glücksspieler, Abenteurer, Schnapsverkäufer, leichte Mädchen. Sie knöpften den Männern, die oft 16 Stunden täglich knochenbrechende Arbeit leisteten, ihren sauer verdienten Lohn wieder ab. Im Zeitalter der elektronischen Unterhaltung, Fernsehen, Kino und Internet ist kaum nachzuvollziehen, dass diese Männer ein so großes Bedürfnis nach irgendeiner Form der Unterhaltung und Entspannung hatten, dass sie dafür faktisch alles aufgaben, was sie täglich verdienten. Und das Angebot war auf die erwähnten Möglichkeiten beschränkt.
Überall entlang der Bahnstrecken entstanden Zeltstädte, in denen das Leben förmlich explodierte. Central und Union Pacific richteten rollende Saloons ein und rüsteten Bordell-Waggons aus. In den kurzlebigen Camps waren Mord und Totschlag an der Tagesordnung.
Über 3.000 Prostituierte tummelten sich entlang des Schienenstrangs. Der berühmte Journalist Henry M. Stanley schrieb 1867:
„Man fühlt sich an den babylonischen Sittenniedergang erinnert. Die Frauen sind halbnackt und führen Reden, dass einem die Zigarre zwischen den Lippen ausgeht. … Ich habe einen Geistlichen gesehen, der auf einen Tisch stieg, mit einem Revolver in die Decke schoß, die Bildnisse nackter Frauen an den Wänden mit Decken verhängte und eine Predigt hielt, die ich nie wieder vergessen werde. Es war der betrunkenste Priester, den ich je gesehen habe.“
In der Stadt Julesburg (heute Colorado) mitten in der Prärie – nur Zelte und Bretterbuden – reihte sich Saloon an Saloon, Spielhölle an Spielhölle. Es wurde betrogen, gemordet und gestohlen. Bis Jack Casement mit seinen irischen Schienenbauern in das Nest marschierte und eine Treibjagd auf Falschspieler und andere Banditen veranstalten ließ.
Der Bau der großen Eisenbahn war mit einem Aufbruch im ganzen Land verbunden: Das weite, einsame Land im Westen verlor seinen Schrecken. Die Aussicht, bald überall regelmäßige Schienenverbindungen anzutreffen, die zu Lebensadern wurden, ermutigte Zigtausende, eine neue Heimat im Westen zu suchen. Und die vielen kleinen regionalen Bahngesellschaften sammelten erneut Geld von ihren Aktionären, um ihre Strecken an die nationale Linie anzuschließen.
Was die Eisenbahn zu leisten vermochte, war besonders in Kansas eindrucksvoll zu sehen. Der Bahnanschluss ließ gottverlassene Nester wie Abilene, Wichita, Dodge City zu Anlaufstationen der großen Rindertrecks aus Texas werden, was zu einer ungeahnten wirtschaftlichen Blüte sowohl der Viehzüchter als auch der Kansas-Viehhändler führte. Die Bahnlinien transportierten die Rinder dann direkt zu den Schlachthöfen in Chicago.
Nach und nach zog sich ein Spinnennetz von Gleiswegen durch das Land. Technische Kinderkrankheiten, die die Bahnfahrten in der frühen Zeit zur Strapaze gemacht hatten, schwanden. Längst waren die Waggons nicht mehr mit Ketten verbunden, so dass sie bei jedem Stopp aufeinander rasselten, sondern mit Kupplungen. Seit 1865 gab es sogar schon die von Ashbel Welch konstruierte Zentral-Notbremse, und George Westinghouse entwickelte 1869 die Luftdruckbremse und gründete die „Westinghouse Air Brake Company“. In den 1870er Jahren gab es bereits automatische Blocksignale, die zu einer rascheren und zuverlässigen Umstellung von Weichen beitrugen, eine Erhöhung der Geschwindigkeiten und dadurch eine bessere Auslastung des Schienennetzes ermöglichten.
Statt der unbequemen Holzbänke gab es ab den 1860er Jahren gepolsterte Sitze.
Als der Bau der transkontinentalen Eisenbahn in die Endphase ging, rollten längst luxuriöse Pullman Waggons mit Plüsch und Samt und goldenen Türklinken.
Die Eisenbahn sorgte nicht nur dafür, dass der stationäre Handel durch schnellere Lieferungen und eine Verbreiterung des Sortiments einen erheblichen Aufschwung erlebte, sie beförderte auch ein erst in seinen Anfängen steckendes Geschäft – den Mail-Order-Handel. Katalogbestellungen – von Mode, Küchenmaschinen, Ackergeräten bis hin zu ganzen Fertighäusern – wurden in den entferntesten Ecken des Landes möglich. Damit begann die „Amazon-Ära“ des 19. Jahrhunderts.
Die Direktoren dieses gewaltigen Unternehmens ließen sich damals in den Medien des Landes als Heroen feiern. Heute sieht die Geschichtsschreibung in ihnen abgrundtief skrupellose Schurken. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.
Wie bei allen großen Pionierunternehmungen in den USA im 19. Jahrhundert – nehmen wir als Beispiele die Erkundung der westlichen Trails durch den Pelzhandel, den Pony Express, den Bau der Telegrafenlinien, die Gründung von Städten an der Wildnisgrenze – basierte die kollektive Leistung zunächst einmal auf unersättlicher Gier Einzelner, die mit Ideenreichtum, aber auch Rücksichtslosigkeit, Egoismus in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgten und die Gesellschaft um sich herum als Verfügungsmasse ansahen, die sie mit bemerkenswerter Energie und großem Geschick zu steuern vermochten. Reichtum, Einfluss, Macht waren die Säulen, auf denen die meisten Pioniertaten ruhten. Und es waren in der Tat Pioniertaten, aber sie waren nicht aus Menschenliebe, sozialer Verantwortung oder Altruismus entstanden. Das Gesamtwerk verdient zwar Anerkennung, das Resultat war meistens tatsächlich allgemeiner Fortschritt, die Methoden bis dahin waren häufig aber völlig charakterlos und frei von jeder Moral.
Der erste Manager der Union Pacific Railroad war John Adams Dix, der mit seiner Person die enge Verknüpfung von Politik und Eisenbahnindustrie repräsentierte. Dix hatte schon ab 1853 Bahnbauerfahrungen bei der Gründung der „Mississippi & Missouri Railroad“ gesammelt. Als Postmaster von New York City stieg er in die Politik ein und baute von da an ein Netzwerk in Regierung und Verwaltungen auf. Noch kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges 1861 wurde er für einige Monate Schatzminister der Bundesregierung. Danach wurde er zum General der neuformierten Unionsarmee ernannt und wurde berühmt, weil er das Parlament des Staates Maryland unter Militärarrest stellen ließ, um zu verhindern, dass dieser Staat sich der Südstaatenkonföderation anschloss. 1863 wurde er von der Regierung Lincoln zum Präsidenten der Union Pacific berufen. Er blieb bis 1868 auf diesem Posten und amtierte nebenbei als Gouverneur von New York und zwischen 1866 und 1869 als amerikanischer Botschafter in Frankreich.
Mit seinen umfangreichen Beziehungen verschaffte er dem Bau der transkontinentalen Eisenbahn alle administrativen Unterstützungen, die nötig waren.
Der eigentliche Motor des Unternehmens aber war sein stellvertretender Direktor, Dr. Thomas Durant, der zwar persönlich die Aktienmehrheit der Union Pacific hielt, aber klug genug war, John Dix mit seinen mächtigen Beziehungen formal den Führungsposten zu überlassen. Aber auch Durant erlangte im Laufe der Zeit exzellente Kontakte in den amerikanischen Kongress. Die Geschichtsschreibung sieht in ihm den typischen „Eisenbahnbaron“, wie man diese Männer bezeichnete.
Thomas Clark Durant, geboren 1820, schuf die finanziellen Strukturen des großen Bahnbauprojekts. Er hatte vorher bereits Eisenbahnlinien im Mittleren Westen gebaut und erwies sich als Genie der Geldbeschaffung für die Union Pacific. Das gewaltige Subventionsgesetz, mit dem den Eisenbahnlinien per Parlamentsbeschluss 1864 Privilegien zuteil wurden, die sie von fast allen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Begrenzungen freistellten und die enormen Prämien in Form öffentlicher Ländereien ermöglichten, ging auf seine Initiative zurück. Er wurde mit seiner geschickten Lobby-Arbeit Auslöser eines Skandals, der das Vertrauen in Parlament, Regierung und Eisenbahnindustrie nachhaltig erschütterte.
Das Union-Pacific-Gesetz sah zwar vor, dass niemand mehr als 10% der Aktien halten durfte – aber Durant verschaffte sich über Strohmänner problemlos fast die Hälfte aller Anteile. Er hatte sich immer schon nach dem Prinzip verhalten, dass Gesetze dazu da waren, umgangen zu werden. Während des Bürgerkrieges, als eine Seeblockade und ein Ausfuhrverbot die Südstaaten daran hinderte, Waren zu exportieren, organisierte Durant – obwohl er die Nordstaatenunion unterstützte – den Schmuggel von Baumwolle aus den konföderierten Staaten nach Europa – dabei war ihm ein General der Unionsarmee, Grenville Dodge, behilflich – den er nach dem Ende des Bürgerkrieges als Chefingenieur der „Union Pacific“ anheuerte.
Die Planung der Gleisstrecke erfolgte anfangs durch die Gebiete, in denen Durant große Landstriche billig aufgekauft hatte, so dass die Regierung sie für den Bau der Bahn von ihm erwerben musste. Mehr noch: Er kaufte Anteile an kleineren Bahngesellschaften und streute danach Gerüchte, dass diese mit der Hauptlinie der „Union Pacific“ verbunden werden würden – was den Wert der Aktien sprunghaft in die Höhe trieb. Auf diese Weise machten er und seine Anteilspartner ebenfalls mindestens 5 Millionen Dollar Gewinne.
Neben den bereits erwähnten Kreditzusagen und Landschenkungen, hatte die Regierung die Union Pacific Company mit 100 Millionen Dollar kapitalisiert. Durant schuf ein Geflecht von Baufirmen, die tatsächlich im Besitz der Shareholder der Union Pacific waren, aber formal getrennt operierten und der Bahngesellschaft jede Meile Gleis in Rechnung stellten.
Um das alles zu verschleiern und die Regierungsgelder in „reinigende“ Kanäle zu schleusen, gründete er die „Credit Mobilier of America“.
Die diversen Baufirmen berechneten der Union Pacific massiv überhöhte Leistungen, die über die „Credit Mobilier“ beglichen wurden. Um danach für diese überhöhten Forderungen die entsprechenden Subventionen der Regierung abrufen zu können, wurden mindestens 15 einflussreiche Kongressabgeordnete, Senatoren, der Schatzminister und der Vize-Präsident der USA mit wenigstens 9 Millionen Dollar in bar und Aktien bestochen.
Die durch gefälschte Rechnungen und Bilanzen erzielten Gewinne landeten in den Taschen der Direktoren und der großen Anteilseigner. Das System funktionierte, weil die Direktoren der Union Pacific de facto dieselben waren wie der „Credit Mobilliere“, die überhöhten Rechnungen also von denselben Personen gestellt wurden, die sie am Ende genehmigten und die Zahlung veranlassten. Die Beteiligten empfanden den Betrug als gerechtfertigt, weil sie während der Konstruktionszeit kaum Gewinne aus dem Bahnprojekt ziehen konnten, da ein regelmäßiger Transport von Passagieren und Fracht erst nach Fertigstellung möglich war.
Das verschachtelte Geflecht von Firmen und die Hin- und Hertransferierung von Geld, das von der Regierung gezahlt und vom Parlament genehmigt wurde, war für die damalige Zeit mit außerordentlichem Geschick erdacht und organisiert worden, wie wir es eigentlich erst heute im Computerzeitalter gewöhnt sind. Daher dauerte es bis 1872, bis der Betrug aufflog. Den Beteiligten gelang es, weitgehend straflos zu bleiben, da derartige Praktiken völlig neu waren und keine Gesetze existierten, die sie unter Strafe stellten – mit anderen Worten: Da niemand so etwas vorher getan hatte, war es nicht verboten und somit legal. Erst danach wurden entsprechende Gesetze geschaffen.
Die korrumpierten Politiker hatten sich natürlich strafbar gemacht, aber einige hatten die ihnen zugeschanzten Aktien ihren Ehefrauen übertragen und zahlten schließlich lediglich die erhaltenen Dividenden zurück. Der Vize-Präsident Colfax wurde nicht mehr als Kandidat nominiert.
Die erzielten Gewinne waren bemerkenswert. Der amerikanische Kongress transferierte fast 95 Millionen Dollar an die „Credit Mobiliere“, während die tatsächlich von der „Union Pacific“ benötigten Ausgaben bei weniger als 51 Millionen lagen. Damit wurde ein Gewinn von fast 44 Millionen Dollar erzielt. Um das in heutige Kaufkraft zu übertragen müssen diese Summen mit ca. 30 multipliziert werden, was allein beim Gewinn eine Summe von über 1,3 Milliarden Dollar ergibt.
Auch Durant, der das alles initiiert hatte, blieb straflos. Er verlor lediglich seine Direktorenposten. Er starb 1885.
Sein engster Mitarbeiter war der schon erwähnte Ex-General Grenville Dodge, ein militärischer Ingenieur, der während des Bürgerkrieges als Geheimdienstoffizier des Oberkommandierenden und späteren Präsidenten, U. S. Grant in der Unionsarmee diente. Bei einem der kriegsentscheidenden Feldzüge kommandierte er als Generalmajor das 16. Armeekorps. 1866 wurde er von Thomas Durant als Chefingenieur der Union Pacific angeheuert und war entscheidend für die zügige Fertigstellung der Bahnstrecke bis nach Utah. Dodge war nur indirekt in den von Durant ausgelösten Skandal um die „Credit Mobilliere“ verwickelt – er hatte ein großes Aktienpaket der Bank gekauft und es rechtzeitig vor deren Zusammenbruch abgestoßen. Er entzog sich geschickt der Ermittlung durch den Congress und starb im Januar 1916.
Durants Gegenüber beim Bau der Transkontinentalbahn, der Präsident der „Central Pacific Railroad“, war Leland Stanford, der heutigen Historikern genauso als „Raubritter“ des Eisenbahnzeitalters gilt. Er war – nebenbei – Gründer der bekannten Stanford University in Kalifornien.
Leland Stanford, 1824 geboren, stammte aus New York, studierte Jura und wurde 1848 als Anwalt zugelassen. Er ließ sich zunächst in Wisconsin nieder, wo er in der Republikanischen Partei politisch aktiv wurde. Als die Nachrichten von enormen Goldfunden an der Westküste den amerikanischen Osten erreichten, entschied er sich, nach Kalifornien zu ziehen, wo er mit seinen Brüdern zunächst einen Generalstore eröffnete, den er schließlich zum Großhandel ausweitete. Auch hier engagierte er sich sofort politisch, amtierte zunächst als Friedensrichter, dann als Abgeordneter im Staatsparlament, und 1861 wurde er zum Gouverneur von Kalifornien gewählt. Er behielt dieses Amt für zwei Jahre und wurde dann für 8 Jahre Senator in Washington.
Gleichzeitig trat er 1861 das Amt als Präsident der „Central Pacific Railroad“ an. Stanford war zu dieser Zeit einer der mächtigsten Männer in Kalifornien. Sein Einfluss reichte bis in die entferntesten Ecken des Staates. Er bildete mit mehreren Geschäftspartnern ein Netzwerk, das im Allgemeinen nur als „Die großen Vier“ (The big four) bekannt war. Dieses Kollektiv nannte sich selbst nur „The Associates“ – man kann hier ohne weiteres von mafiaähnlichen Strukturen sprechen. Dieses Quartett, zu dem Charles Crocker, Mark Hopkins und Collis P. Huntington gehörten – gehörte nicht nur zu den wortmächtigsten Befürwortern einer transkontinentalen Eisenlinie und einer verkehrsmäßigen Anbindung Kaliforniens an den amerikanischen Osten. Diese Männer erkannten auch sofort die geschäftlichen Chancen der Gründung einer eigenen kalifornischen Eisenbahngesellschaft, der „Central Pacific“. Der Plan dazu stammte von dem Ingenieur Theodore Judah. Dem allerdings das Geld für das Unternehmen fehlte. Die „großen Vier“ übernahmen seine Pläne und machten Judah zum Chefingenieur. Stanford übernahm die Leitung der Firma. Judah entwickelte einen Plan für den Bau der Eisenbahn Richtung Osten.
Als das „Union Pacific-Gesetz“ verabschiedet wurde, wurde die „Central Pacific“ beauftragt, von Kalifornien aus die Sierra Madre zu durchqueren und sich mit der Union Pacific an einem noch zu vereinbarenden Punkt zu treffen. Judah führte die Vermessungen durch, legte die Route fest und leitete die Bauarbeiten, die sich weitaus schwieriger gestalteten als im Osten für die „Union Pacific, die von Omaha (Nebraska) aus die Schienen zunächst einmal weit durch flache Prärie und Plains trieb und daher sehr schnell vorankam und daher sofort von den Subventionen der Regierung partizipierte.
Von Januar bis Juli 1861 führte Judah eine Vermessungsexpedition durch die Sierra Nevada und legte eine Route fest, die zwar erhebliche Bearbeitung benötigte, aber tauglich für die Verlegung von Gleisen war.
Judah, der zunächst froh war, dass seine Pläne realisiert wurden, fühlte sich bald abgestoßen von den Geschäftsmethoden der „Großen Vier“. Er reiste an die Ostküste, um hier nach Investoren zu suchen, die es ihm ermöglichen sollten, Stanford und dessen Partner abzufinden und aus der „Central Pacific“ zu verdrängen. Auf dem Weg nach New York infizierte er sich bei der Durchquerung von Panama mit dem Gelben Fieber und starb kurz nach seiner Ankunft am 2. November 1863, bevor er mit der Suche nach möglichen Geldgebern beginnen konnte. Er sollte nicht mehr erleben, wie seine Pläne zu einem Jahrhunderterfolg werden und die Finanziers, von denen er sich getäuscht fühlte, steinreich machen sollten.
Die „Union Pacific“ konnte auf ein großes Reservoir von Arbeitskräften zurückgreifen, als der Bürgerkrieg zu Ende ging und Zigtausende von Soldaten in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Vor allem eingewanderte Iren stellten ein gewaltiges Potential an Schienen- und Schwellenlegern. Die führenden Ingenieure der „Union Pacific“ waren ehemalige Offiziere und kannten die Leistungskraft der Iren, die durch den Kriegsdienst Disziplin gewöhnt waren.
An der Westküste gab es kein vergleichbares Angebot an Arbeitskräften. Benötigt wurden Männer, die keine hohen Ansprüche stellten, bereit waren, 12 Stunden und länger pro Tag körperlich zu arbeiten, die es gewöhnt waren, Anweisungen zu folgen und sich unterzuordnen.
Die „Central Pacific“ verfiel darauf, Chinesen anzuheuern, die seit dem Goldrausch in großer Zahl in Kalifornien lebten und so ziemlich den niedrigsten sozialen Status hatten.
In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Leland Stanford sowohl in seinem Wahlkampf für das Gouverneursamt als auch bei der Bewerbung für andere politische Ämter die Ressentiments gegen die chinesische Bevölkerung skrupellos nutzte und in populistischer Weise gegen die Asiaten hetzte. In einer seiner Reden als Gouverneur im Januar 1862 sagte er:
„Meiner Meinung nach ist es klar, dass die Ansiedlung einer inferioren Rasse unter uns mit allen legalen Mitteln verhindert werden sollte. Asien verfügt über ungezählte Millionen von Menschen, und schickt den Abfall seiner Bevölkerung an unsere Küsten. Viele davon sind bereits hier… Es gibt keinen Zweifel, das die Gegenwart dieser niedrigen, unterentwickelten Klasse zu einem gewissen Grad einen schädlichen Einfluss auf die überlegene Rasse hat.“
Stanford wurde für diese Äußerungen bejubelt – bis herauskam, dass er als Präsident der „Central Pacific“ seine Möglichkeiten als Gouverneur nutzte, selbst Tausende von Arbeitskräften aus China anzuwerben und nach Kalifornien zu holen.
Die chinesischen Schienen- und Schwellenleger wurden in den Büchern der „Central Pacific“ als „Material“ geführt. Wie viele von ihnen während der Bauarbeiten ums Leben kamen, insbesondere bei der Konstruktion von Tunneln durch die Berge, wurde nicht gezählt. Sie wurden meist mit 31 Dollar monatlich entlohnt und erhielten ihre Mahlzeiten. Das war ein vergleichsweise guter Lohn in jenen Tagen, aber die Arbeit, die sie zu leisten hatten, ging an die Grenzen der physischen Kraft und war – vor allem bei Sprengungen – lebensgefährlich.
Man kann sich heute im Rückblick moralisch empören – und es gab zweifellos eine ganze Menge Gründe, die Herren der Eisenbahnindustrie als Kriminelle zu bezeichnen. Das stellt aber meines Erachtens eine zu radikale Schwarz-Weiß-Darstellung dar. Vergessen wir nicht: Das 19. Jahrhundert in den USA war eine Zeit des Kolonialismus. Vieles war neu, unbekannt, mit hohen Risiken verbunden – und für sehr viele Vorgänge gab es daher keine Regeln. Menschliche Gesellschaften brauchen aber Regeln, um nicht in Anarchie zu versinken. Aber der Bau der großen Eisenbahnen war im Regelwerk der jungen Vereinigten Staaten nicht vorgesehen. Die Eisenbahnbarone betraten somit faktisch unbekanntes Territorium. Egoismus, hemmungsloses Erobern war Teil der amerikanischen Gesellschaft jener Tage. Es gab nur wenige Regeln, die das Verhalten der Eisenbahngesellschaften bremsten. Sie verfuhren nach dem Prinzip, dass erlaubt ist was nicht verboten ist. Die Finanzierungssysteme, nach denen sie Geld verdienten, waren zu dieser Zeit nicht illegal. Sie wurden von der breiten Bevölkerung als verwerflich empfunden – und dann entstanden entsprechende Gesetze. Aber vorher lagen sie im Bereich des Möglichen. Moral und Anstand mögen sehr erstrebenswerte Prinzipien sein, aber – man muß pragmatisch sagen – dass diese löblichen Eigenschaften nicht zu den Charakterzügen gehören, die bei den meisten Menschen besonders ausgeprägt sind, vor allem dann nicht, wenn sich ihnen die Möglichkeit einer Bereicherung bietet. Dazu bedarf es gesetzlicher Regeln – und die gab es schlichtweg nicht. Das soll das Verhalten der Eisenbahnbarone nicht entschuldigen, aber manches erklären. Hinterher ist man immer schlauer.
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Die Geschichte der „Bärensöhne“ wurde, wie bereits beschrieben, ursprünglich in einem Band im Jahre 1951 im Altberliner Verlag Lucie Groszer herausgegeben. Elf Jahre später erschien im gleichen Verlag die Vorgeschichte mit dem Band Harka, der damit den Auftakt der damals dreibändigen Ausgabe bildete.
Dietmar Kuegler wurde am 04. Juni 1951 in Dolberg geboren. Als Publizist und Verleger beschäftigte er sich vorwiegend mit nordamerikanischer Geschichte. Bis Ende 2022 gab er das Magazin für Amerikanistik heraus. Kuegler starb am 03. Dezember 2022 in Oevenum auf Föhr.
Kuegler, Dietmar: Chief Iron Tail – Der Lakota – Häuptling von Buffalo Bill´s Wild West – als Beitrag zu Der Weg in die Verbannung (Bärensöhne 3)
Dietmar Kuegler (Kügler) war Publizist und Herausgeber des Magazins für Amerikanistik. Er schrieb über alles, was us-amerikanische Geschichte betraf. Ob über Cowboys, Country Musik, Besiedlung des „Wilden Westens“, über Kriege, den amerikanischen Bürgerkrieg und nicht zuletzt immer wieder über die indigenen Völker Nordamerikas. Die vielen namhaften amerikanischen Autoren machten das Magazin zu einer sehr spannendem lesenswerten, vier mal im Jahr herausgegebenen Zeitschrift.
Leider aber ist das hier abgebildete Magazin das letzte seiner Art, denn Dietmar Kuegler ist im Dezember 2022 plötzlich verstorben und hinterließ eine große trauernde Fangemeinde.
Über eine bekannte Social Media Plattform schrieben wir uns schon einige Zeit, tauschten uns dabei zuletzt über Loretta Lynn und Johnny Cash aus, ausgehend von seinem Büchlein Walk the Line. Da ich gerade über Die Höhle in den Schwarzen Bergen (Bärensöhne 3) recherchierte, „befragte“ ich Dietmar Kuegler über den amerikanischen Eisenbahnbau, worauf er mir den folgenden sehr umfangreichen und interessanten Artikel sendete.
Vor kurzem gestattete mir seine Ehefrau, Karen Kuegler-Rogowski, diesen Artikel hier zu veröffentlichen.
Die Hervorhebungen (im Zusammenhang mit Bärensöhne 3) stammen von mir, ergänzt mit Bildmaterial.
Harka, der junge Dakota, wächst als Begleiter seines verbannten Vaters heran. Beide leben als Gäste bei den Schwarzfuß-Indianern. Dort erlebt Harka die Gefangennahme eines Häuptlings seines eigenen Stammes. Zum ersten Mal in seinem Leben fragt er sich, weshalb Indianer gegen Indianer kämpfen. Aus der Zuflucht bei den Schwarzfüßen werden Harka und Mattotaupa durch die Machenschaften des Abenteurers und Goldsuchers Red Fox gerissen. Sie gelangen wieder zu der sagenumwobenen Höhle in den Schwarzen Bergen, in der sich ein Goldschatz befinden soll und die zugleich als Heimstatt der Ahnherrin der Söhne der Großen Bärin gilt.
Zuflucht der Verbannten. Mattotaupa und Harka Steinhart Nachtauge haben beschlossen, zu den Siksikau (Blackfeet) zu reiten. Diese sind den Dakota eher feindlich gesinnt. Auf dem Weg finden sie einen verwundeten Krieger und retten ihn vor lauernden Wölfen. In einem Zeltdorf angekommen, soll Harka die Krieger zu dem verwundeten Krieger führen. Das wird seine erste Bewährungsprobe: Ausdauer im Laufen ohne Schlaf. Mattotaupa erhält ein Zelt von Häuptling Brennendes Wasser und ein Dakota-Mädchen zur Hilfe. Diese soll aus den Zelten von Tashunka-witko stammen. Harka sondiert die Lage bei den Gleichaltrigen. Stark wie ein Hirsch heißt der Sohn des Häuptlings.
Tashunka-witko1 versucht, das geraubte Mädchen und auch Harka wieder zu entführen und greift an. Es gelingt ihm, Harka und das Mädchen mitzunehmen. Mattotaupa kämpft mit ihm, mit weiteren Kriegern kann er den Oberhäuptling gefangen nehmen. Die Siksikau stellen ihn an den Pfahl. Harka wird gezwungen, seine Büchse wieder herzugeben, mit dieser befreit sich der Dakota. Die Stammesgruppen schließen Waffenstillstand, von dem Mattotaupa, den das Geheimnispferd (Tashunka) als Verräter bezeichnet, ausgeschlossen sein soll. Harka bewundert den Mut des Dakota. Da Mattotaupa dafür kein Verständnis hat, legt sich ein erster Schatten über das Verhältnis von Vater und Sohn.
Luchse in der Nacht / Begegnung beim Biberbau. So hat es sich der Junge gewünscht: Ungetrübte Tage in einer Zeltgemeinschaft, Spiele mit den Knaben, jagen mit Stark wie ein Hirsch. Mattotaupa schießt mit einem besonderen Bogen „in die Sonne“ und trifft den Büffellederschild auf dreifache Pfeilschussweite in die Mitte. Das bringt ihm große Achtung. Die Jungen reiten in Richtung der Rocky Mountains und treffen Thomas & Theo, Zwillinge und Fallensteller. Harka freundet sich mit beiden an.
Mattotaupa Meisterstück / Sitopanaki. Um 1860 herum war es den Prärievölkern noch möglich, ihren Unterhalt durch das Büffeljagen zu ermöglichen. Mattotaupa kann noch einmal zeigen, was für ein großer Jäger er ist, als er eine Gruppe Assiniboine narrt und den Siksikau die Beute sichert. Selbst Harka, der das Alter für die Büffeljagd noch nicht erreicht hat, erlegt seinen ersten Bison.
Sitopanaki heißt die jüngere Schwester von Stark wie ein Hirsch. Sie erinnert Harka an seine Schwester Uinonah, die erstgeborene Tochter. Die Mädchen ähneln sich in ihrer Ruhe, ihrem Fleiß. Sitopanaki, das heißt Deren Füße singen, wenn sie geht, bewundert den ihm ebenbürtigen Freund des Bruders, der im Gegensatz zu den anderen Knaben ernster wirkt und erfahrener.
Der schwarze Bart. Vater und Sohn reiten mit Thomas & Theo sowie Kluge Schlange zu einer Handelsstation, die der alte Adam Adamson führt. Sie wollen Waffen kaufen, während T&T ihr unrentables Jägerleben aufgeben wollen. Sie reiten mit Adamson und wollen auf dessen Farm arbeiten, die unter dem Schutz Tashunka-witcos steht.
Dann trifft der Rote Jim (seiner roten Haare wegen) ein und lügt Mattotaupa an, dass er gesucht wird wegen des Mordes am Inspizienten des Zirkus. Er droht, das Harka in ein Erziehungsheim gesteckt werden soll. Mattotaupa sieht sich als Verlierer. Der Vater schickt den Jungen zurück und zieht mit dem Roten weiter, der denkt, er käme doch noch an das Gold des ehemaligen Häuptlings ran.
Der Morgen der toten Fische. Der Eisenbahnbau hat das Gebiet der Bärenbande erreicht. Vorerst geht es um die Vermessung. Da erfolgt ein lautloser Angriff der Indianer. Die vergiften den Brunnen des Lagers, so kommt es zum Morgen der toten Fische. Einer der Scouts, Tom, kommt ohne Hit und Schuhe zur Bärenbande und wird dort kurzzeitig aufgenommen. Als Mattotaupa und Red Fox zum Bautrupp stoßen erkennt der ehemalige Kriegshäuptling, dass es tatsächlich die Bärenbande war.
Die Mutter des Häuptlings. Mattotaupa will nun sein Vorhaben in die Tat umsetzen, seine Tochter zu sich zu holen. Er reitet zum Pferdebach, schleicht sich in Lager der Bärenbande und spricht mit seiner Mutter. Die sagt ihm, wenn er den Skalp des Red Fox bringt, könne er wieder kommen. Doch Mattotaupa lehnt ab. Es kommt zum Kampf mit Tashunka-witko, welchen Mattotaupa verliert. Uinonah befreit ihren Vater von seinen Fesseln. Wieder schließt sich Vier Bären dem roten Jim an. Der schickt den Scout Charlemagne mit einem fiesen Plan nach Norden zu den Siksikau.
Nicht mehr allein. Harka ist inzwischen wieder bei den Schwarzfüßen und reitet später mit Stark wie ein Hirsch und zwei anderen Kriegern zur Handelsstation von Old Abraham. Sie treffen dort auf Charlemagne, einen armen französischen Goldsucher, der ihnen die Mär von der Fahndung nach Mattotaupa erzählt. Nachdem Harka und der Häuptlingssohn der Siksikau Blutsbrüderschaft schlossen, reitet Harka allein weiter. Er will seinen Vater finden und diesen überzeugen, vom roten Jim zu lassen.
Drei in der Höhle. Auf dem Weg in die Che Sapa, die schwarzen Berge, überquert Harka Steinhart Nachtauge den Missouri und trifft auf der Farm des alten Adamson auf Thomas und Theo, mit denen er gegen ein Wolfsrudel erfolgreich kämpft. Mit einem neuen Biberpelzrock erreicht Harka die Black Hills und dringt in die Höhle ein. Er trifft auf einen Weißen2 und kämpft also mit Red Fox, den er schwer verletzt. Selbst nimmt er eine Handvoll Goldnuggets und das indianische Feuerzeug mit. Erstmals begegnet er der Großen Bärin, als deren Sohn sich Harka weiterhin fühlt. Dann trifft er auf den Vater und Jim. Das Misstrauen wächst. Harka erkennt, dass er mit seiner Einschätzung des Weißen, der ihn hasst, richtig liegt.
Top und Harry.3 Top und Harry werden die beiden seit Zirkuszeiten von den Weißen benannt. Harry unterhält sich mit Jenny, der Tochter vom zahnlosen Ben. Von ihr erfährt er, dass der Krieg der Weißen im Süden beendet sei. Außerdem erzählt sie, dass vor zwei Jahren Jim und Ben auf Goldsuche in der Höhle in den Bergen gewesen sind. In der Nähe hat sich Tschetan, der Jugendfreund, eine Schneehöhle gebaut. Dort trifft Harka auf ihn. Tschetan erklärt, wie schon Untschida, dass Mattotaupa und Harka wiederkommen könnten, wenn sie den Skalp des roten Jim mitbringen.
„Was tust du auf der Seite unserer Feinde? Der große Kampf beginnt, das wissen auch wir. Komm zu uns zurück.“
Die Höhle in den Schwarzen Bergen – Seite 283
Doch Harka will warten, bis der Vater den Roten selbst als Feind begreift.
Der Eisenbahnbau beginnt wieder unter Joe Brown. Mattotaupa verdingt sich als Scout und verlangt von Harka mitzukommen. Red Fox jedoch schlägt vor, dass der Junge zu den Siksikau zurückkehren soll, er will den Feind los werden. Mattotaupa aber sagt, dass sie zusammenbleiben, bis Harka ein Krieger ist. Bei einem großen Gelage ist der Vater mal wieder betrunken.
Die Strafexpedition. Eine Gruppe von Weißen, Farmer, Holzfäller, Händler, wollen als sogenannte „Miliz“ die Bärenbande für den Giftanschlag bestrafen. Mattotaupa und Harka treffen als Kundschafter auf sie. Außerdem werden sie von der Bärenbande beobachtet, Harka erkennt Schonka, den einstigen jugendlichen Widersacher. Harka will Untschida und Uinonah warnen, der Vater folgt ihm aber und fragt: „Wer bist du?“ Harka soll gegen die Bärenbande kämpfen, sonst „werde ich dich in Weiberkleider stecken und töten.“ Joe will an der Strafexpedition teilnehmen. Harka und Mattotaupa kommen aber nicht mehr zum Kampf. Die Miliz haben vier tote Indianer verstümmelt und ein paar Zelte zerbrochen. Dann steht plötzlich Harpstennah in Festkleidung vor Harka. Vom jüngeren Bruder erfährt er von Mattotaupa Niederlage im Zeltdorf und der Befreiung durch Uinonah. Plötzlich greift Harpstennah Joe Brown an. Er will, Sohn eines Verräters, tapfer sterben. Unter dem Blick des gemeinsamen Vaters tötet Harka den Bruder.
„Harka nahm die Lederplane…, legte den Toten darauf, sah noch einmal die magere kindliche Gestalt in dem Festkleid, dass Uinonah bestickt hatte, auch das Gesicht, dass vom Mondlicht gestreift, abgehärmt wie das eines Alten wirkte und schlug die Lederdecke zu, so wie man sie einst auch über Harpstennah und Harkas toter Mutter zusammengeschlagen hatte. Dieser Tote gehörte Harka, niemand durfte ihn berühren, verstümmeln oder den Hunden zum Fraß vorwerfen. In seinen Festkleidern und mit seinen Waffen sollte Harpstennah bestattet werden. Er war im Kampf gefallen. Harka ging umher, suchte vier Teile von zerbrochenen Zeltstangen und Lederschnüren zusammen, stellte die Stangen zwei und zwei mit den Enden sich überkreuzend auf und hing die Decke mit dem Toten an Kof- und Fußende zusammen auf, so dass sie die Erde nicht mehr berührte. Das war die Art der Dakota, Tote zu bestatten, so dass sie nicht von den Raubtieren aus der Erde gescharrt und zerfleischt werden konnten. Harka blieb bei dem Bestatteten sitzen, er zog die Knie an und legte die Arme darum, das Totenlied für den jüngeren Bruder formte er nur mit den Lippen ohne einen Laut hörbar werden zu lassen. Er sang für sich allein das Lied von den Kindern Mattotaupas, der ein großer Häuptling gewesen war. Der Geist Harpstennah sollte versöhnt werden.“
Die Höhle in den Schwarzen Bergen – Seite 329/330
Später treffen sie auf Untschida, die das Kindergrab erkennt und sich um die vier toten Krieger kümmert. Einzig Harka begegnet ihr mit einem offenen gramvollen Blick.
Das Lager. Mattotaupa führt die Gruppe zurück zum Camp. Während dessen wird Harka krank und bei den Pani in Pflege gegeben. Es ist die Familie, deren einstiges Oberhaupt Harkas Mutter tötete und von dem Harka seine erste Flinte erbeutete. 4 Im Geheimnismann glaubt der Junge Hawandschita zu erkennen. Im Fieberwahn ritzt er sich eine Ader auf und kommt durch den Blutverlust wieder zu Bewusstsein.
Im Camp versuchen die Arbeiter einen Streik, der von Jims Kumpanen zusammengeschossen wird. Harka verhindert einen Mord an einem jungen Wortführer, indem er Jims Büchse nach oben schlägt. Erneut gestehen sich beide ihren Hass.
Für die Arbeit brauchen sie gute Verpflegung. Da bietet sich eine Büffeljagd an und Harka schießt mit zehn Pfeilen 10 Büffel auf seiner ersten Jagd. Die Bärenbande und die Pani jagen dieselbe Herde, ein seltenes Agreement. Den zehnten Büffel schenkt Harka Tschapa, dem Freund aus Kindertagen. Auch der erklärt, mit dem Skalp des roten Jims könnten sie wieder aufgenommen werden.
Am Ende liegen Vater und Sohn beieinander. Der Alte ist betrunken…
Das Buch
War es im zweiten Band des Sechsteilers der Zirkus, in dem Vater Mattotaupa und Sohn Harka die Welt der weißen Besiedler kennen lernen, ist es im dritten Buch der Eisenbahnbau, der in das Leben der freien Präriestämme tritt. Zu Beginn erlebt Harka noch einmal unbeschwerte Kindertage, Wettbewerbe, Jagdabenteuer, aber auch Kampf und Tod zwischen verfeindeten Siksikau und Dakota, darunter das Zusammentreffen zwischen Mattotaupa und Tashunka-witko.
Trauriger Höhepunkt der Geschichte ist der Tod des jüngeren Bruders. Die Unversöhnlichkeit des Vaters, der an die Treue des weißen „Bruders“ glaubt, beraubt in Wirklichkeit die eigenen Kindes ihres Glücks. Während Harka Steinhart Nachtauge zum Einzelgänger wird und zu keiner Seite gehört, gehören will, sind Uinonah und Harpstennah in ihrem Stammesverband die Kinder eines Verräters. Der Junge, von Kind an wegen Krankheit nicht einer der Stärksten und Schnellsten, jedoch treffsicher wie der ältere Bruder, wird gehänselt und gequält, er beschließt, den eigenen Tod als Held, vorzuziehen. Uinonah dagegen wird von Untschida, der Großmutter und Mutter Mattotaupas beschützt. Die Geheimnisfrau ist unangreifbar in der Bärenbande.
Wie wird Harka auf diese Weise ein Krieger werden? Eine der Schlüsselszenen ist die Büffeljagd am Ende des Bandes. Obwohl noch sehr jung, erzielt Harka das Ergebnis eines erfolgreichen und daher großzügigen Büffeljägers; mit vierzehn Jahren machen die jungen Burschen sonst eher erste Erfahrungen bei der Jagd. Harka allerdings lernt diese schon als Kind bei Mattotaupas Meisterstück.
Der Titel des Folgenbandes zeigt förmlich schon auf, wie es weitergeht, denn es folgt die „Heimkehr zu den Dakota“…
Hintergrund – Die Grenzer
Mit den Romanfiguren Adam Adamson und dessen Vater sowie den Zwillingen Thomas und Theo trifft der Leser die „Neuamerikaner“, die, aus der alten Welt kommend, den Neuanfang suchen. Wir befinden uns in etwa im Jahr 1864.5 Die großen Trecks zu Besiedlung des Westens sind bereits Geschichte. Bekanntester Trail ist der Oregon Trail, der südlich der Pacific Railroad verlief.6
Tausende europäische Einwanderer bevölkerten inzwischen die Ostküste und tausende Farmer suchten neues Land im Westen der Vereinigten Staaten. Zu diesen gehörten die genannten Romanfiguren. Der alte Adamson hat aber inzwischen Ärger mit der Landvermessung, aus verschiedenen Gründen sind ganz andere finanzkräftige Compagnien scharf auf die paar Acre, die er sich verschaffen konnte. Das Leben ist teuer und so verdingen sich Thomas & Theo als Fallensteller. Der junge Adam Adamson will ebenso Farmer werden und begleitet die Leserinnen und Leser durch die Geschichte. Auch er verdingt sich zwischendurch als sogenannter Raureiter, Kundschafter für die US-Armee. Viele kamen nicht zu Erfolg (und Vermögen), sie trampten sinngemäß durch die Gegend und schlugen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Bei der Armee, bei der Eisenbahn oder suchten Gold auf eigene Faust. Dazu gehören Figuren wie der Hahnenkampf-Bill, der Franco-Kanadier Charlesmagne und Jim Clarke, der rote Jim – Red Fox, selbst.
Die Black Hills erstrecken sich zwischen 43°30′ und 45° nördlicher Breite sowie 103° und 105° westlicher Länge. Der im Kartenbild annähernd elliptische Gebirgszug ist etwa 160 km lang und bis zu 96 km breit. Seine Längsachse verläuft in nord-südlicher Richtung. Die Basis der Black Hills liegt in 760 bis 900 m Höhe. Der höchste Punkt ist der Black Elk Peak mit 2.208 m im Süden des Gebirges. In den Paha Sapa, wurde immer wieder nach Gold gesucht. Zu dieser Zeit suchten allerdings eher einzelne Goldsucher danach wie der zahnlose Ben und Red Fox. Es ist durch letzteren ein zentrales Thema, welches bereits in Harka – der Sohn des Häuptlings beginnt. Die größten Goldfunde gab es erst ab 1874, in diesem Jahr erkundete der bekannte George Armstrong Custer die Berge. Daraufhin kam es auch hier zum Goldrausch.
Das Goldgeheimnis, welches Mattotaupa und Harka hüten, hat mit den späteren Goldfunden nichts zu tun. Es wurde von Menschen angelegt. Die Black Hills wurden den Arapaho, Cheyenne und Lakota im Vertrag von Laramie (1851 / 1868) zugesprochen als exklusives Jagdgebiet. Doch bis dahin werden noch ungefähr vier Jahre vergehen.
Hintergrund – Die Eisenbahn
Der Bürgerkrieg, der im Osten der USA immer noch tobt, bindet die meisten Regimenter der USA (Nordstaaten), trotzdem beginnt man ab 1861 mit der Erschließung des Westens auch durch den Eisenbahnbau7. Die Bahn wird es sein, die zuerst tausende von weißen Männern, ausgewandert aus Europa und Asien, auf der Suche nach Arbeit in die Gleisbautrupps treibt. Hinzu kommen Subunternehmen, Jäger, Bauarbeiter für die Stationen, Händler und nach und nach auch Militär zum Schutz der Bahn. Diese führen durch die Jagdgebiete der Prärieindianer und „zerschneiden“ die Wege der für diese notwendigen Büffelwege. Verständlich, dass die Indianerstämme insbesondere der Sioux das „Eiserne Pferd“ als Bedrohung ansehen. Folgerichtig kämpft auch die Bärenbande gegen die Eisenbahnerbauer.
Zwei Eisenbahnunternehmen verlegten Gleise aufeinander zu. Die Central Pacific von Westen her und die Union Pacific aus Richtung Osten. Während die Central Pacific als Arbeitskräfte tausende von chinesischen Einwanderern beschäftigte, stellte die Union Pacific Arbeiter vor allem aus dem Osten ein.
Bei der Union Pacific wurden Mattotaupa und Harka als Scouts angestellt.
Welskopf-Henrich hat damit ein weiteres Mal nicht nur die Geschichte einer Gruppe Lakota erzählt, sie bettet diese gemäß ihrer Geschichtsauffassung auch in die Geschichte der US-amerikanischen Gesellschaft ein. Es ist eine kurze Episode im Eisenbahnbau, die hier geschildert wird. In dieser sind jedoch viele der Problem anschaulich angerissen. Das selbe Prinzip verfolgt sie in Bezug auf die Besiedlung des Westens. Sie erzählt nicht sachliche Geschichte mit Zahlen, Quadratkilometern oder Meilen, sie erzählt ausschließlich durch die Romanfiguren, seien sie Angehörige der Indianer oder weiße Siedler. Bei letzteren sind es die hart arbeitenden, abgehängten, wenig erfolgreichen Menschen, denen das Augenmerk der Autorin gilt.
1)Tashunka-witko oder Tȟašúŋke Witkó ist bereits zu dieser Zeit ein bekannter Krieger und Anführer der Lakota. Vergleiche zu diesem die BiografieCrazy Horse von William B. Matson. Rezension.
2) Bereits zu Beginn der Geschichte trifft der 11jährige Harka in der Höhle auf einen Menschen. Nun ahnt er, dass auch damals schon Red Fox hier nach Gold suchte. Siehe dazu Band 1 der „Bärensöhne“
3) Top und Harry war der Titel des 2. Bandes der ehemals dreibändigen Ausgabe. Die Bände 3 und 4 der „Bärensöhne“ sind in diesem enthalten.
4) Eine Episode in Harka… (Band 1)Zu diesem Band vgl. Entstehungsgeschichte…
5) Harka dürfte hier 14 Sommer und Winter gesehen haben. Bei der Rückkehr zu den Dakota (Band 4) dürfte er 24 gewesen sein, das wäre dann zwei Jahre vor der Schlacht am Little Bighorn, die er in Gefangenschaft verpasst.
6) Vgl. dazu die US-amerikanische Miniserie Into the West (Rezension), in der die Besiedlung des Westens anschaulich dargestellt wird. Ebenso Kuegler, Dietmar: Ich ziehe mit den Adlern (Rezension)
7) Zum Bau der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert vergleiche Kuegler, Dietmar: Der amerikanische Eisenbahnbau
Im Jahre 1962 erschien erstmals die Vorgeschichte zu DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN. Die Leserinnen und Leser des im Jahr 1951 erstmals im Alberliner Verlag Lucie Groszer erschienenen Romans von Liselotte Welskopf-Henrich forderten schon lange die Erzählung der Kindheit und Jugend des Kriegshäuptlings der Bärenbande Tokei-ihto.
Nun war es endlich soweit. Aus einem Band wurden erst drei Bände und in der Folge sechs. Wir haben hier über die Erstausgabe geschrieben und auch über Harka.
Der Verleger des Palisander – Verlages, Dr. Frank Elstner, wies im September 2022 auf der kleinen Büchermesse Dresden (er)lesen auf dieses Jubiläum hin. Im Palisander Verlag erscheint das belletristische Gesamtwerk der Autorin.
Dr. Elstner und Uwe Rennicke im September 2022 auf Schloss Albrechtsberg während Dresden (er)lesen am Stand des Palisanderverlages.
Dieser Beitrag erzählt von der frühen Indianistik-Szene in der DDR der 1960/70er Jahre. Sucht man nach diesem Begriff findet man einerseits dafür „Wissenschaft von den Sprachen und Kulturen der Indianer“, anderseits findet sich der Begriff im Zusammenhang mit sogenannten Reenactments von indianischen Bräuchen und Alltagsleben. Insbesondere Vereine in der DDR sprachen hier von Indianistik. Daran beteiligt war Sabine Uhlig, die diesen Bericht und die Fotografien zur Verfügung stellte.
Es waren die Anfragen des Karl-May-Museums Radebeul 2019 und die der Kunsthalle Rostock 2021, die mich mehr als ein halbes Jahrhundert zurück versetzten. Man bat, als Vertreterin der frühen Indianistik-Bewegung der 1960er Jahre in der DDR, meine selbst gefertigte indianische Festkleidung und handgearbeitete Westernausstattung sowie meine Sammlung zur DDR-Indianistik, zu der auch Briefe von Liselotte Welskopf-Henrich aus dieser Zeit gehören, als Leihgaben für die Ausstellungen in Radebeul und Rostock zur Verfügung zu stellen. Meine indianische Kleidung entstand mit Hilfe des Ethnologen Dr. Lothar Dräger, Leiter der Nordamerika-Abteilung und des Forschungszentrums des Museums für Völkerkunde Leipzig/Grassimuseum und einer der profiliertesten Nordamerika-Experten in der DDR. 1968 erhielt ich von ihm Zugang zu interner Museumsliteratur des Grassimuseums und zu Ausstellungsstücken indigener Herkunft des 19. Jahrhunderts. Ich durfte sie vor Ort mehrere Tage studieren und entwickelte dabei unter seiner Anleitung meine indianische Festausstattung. Hauptstück ist ein Lederkleid mit beiderseitiger Perlenvollbestickung, Brandings, Kaurimuschel- u. Glasperlenbesatz. Für die Anfertigung benötigte ich vier Jahre. Es war eine der aufwändigsten indianischen Frauenkleidungen in der frühen ostdeutschen Hobbyindianer-Szene, der ich ab Mitte der 1960er Jahre zehn Jahre lang angehörte. Als Beispiel für die hohe Qualität der Indianistik-Bewegung in der DDR gehörte sie jetzt zu den Prunkstücken der Ausstellungen in Radebeul und Rostock.
Als Zeitzeugin erzähle ich in diesem Beitrag von meinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen als ostdeutsche Indianistin und von der Bedeutung Liselotte Welskopf-Henrich‘s und ihrer Bücher für unser Arbeit. Ihre Indianerromane hatten mich und viele Hobbyfreunde mit ihrer eingehenden Erzählweise und der Darstellung historischer und sozialpolitischer Ereignisse auf eine Reise hinter den eisernen Vorhang zu den Ureinwohnern Nordamerikas mitgenommen. Ihr ethnologisches Wissen, ihr Einfühlungsvermögen in die indigenen Mentalitäten und ihr Engagement für deren Bürgerrechte ist in jeder Zeile erlebbar. Liselotte Welskopf-Henrich prägte entscheidend mein Interesse an den American Indians. Die authentischen Indianerromane und die Verfilmung der „Söhne der großen Bärin“ verschafften der ostdeutschen Indianistik-Bewegung großes Interesse und Zulauf. Ihre Bücher waren Standardwerke im Cluballtag, aus denen man Wissen und Anregung schöpfte. Ihre Darstellungen in der Pentalogie „Blut des Adlers“ über die Zustände in den Reservationen dieser Zeit veranlasste viele Hobbyfreunde, sich mit dem American Indian Movement (AIM) zu solidarisieren. Obwohl sie Angst hatten, damit in den Focus der DDR-Sicherheitsorgane zu geraten, schrieben sie Protestbriefe an die Regierung der USA und initiierten öffentliche Informations- und Hilfsaktionen. Trotz Liselotte Welskopf-Henrich‘s übervollem Terminkalender unterstützte sie die Indianisten mit ihrem Wissen und ihren Möglichkeiten, mit Kontakten zum AIM und zu Reservationen in den USA. Ihre Romane waren bei der Gruppenarbeit stets parat. Als 1967 „Licht über weißen Felsen“ erschien, verlieh mir unser Club aus diesem Buch den indianischen Namen „Tishunka-wasit-win“ (Schönes-Pferd-Mädchen), übergab mir den neuen Mitgliedsausweis und ein handgefertigtes Kupfermedaillon mit der Gravur dieses Namens. Kette und Ausweis gehörten über 50 Jahre später zu den Ausstellungsstücken in der Kunsthalle Rostock, ebenso wie einer der Briefe von Frau Welskopf-Henrich, in dem sie mir näheres zum Namen „Tishunka-wasit-win“ berichtete. Als ich die Anfertigung meiner indianischen Festkleidung plante, gab sie wertvolle Tipps und zeichnete Mustervorschläge. In einem ihrer Briefe lag ein Stachelschweinborsten verziertes Leder-lesezeichen, eine Handarbeit aus der Pine Ridge Reservation, das sie von ihren Reisen mitgebracht hatte. Die Briefe von Liselotte Welskopf-Henrich sind sehr persönliche Erinnerungen an meine Zeit als Indianistin in der DDR. Sie dokumentieren ihre Zugewandtheit zu ihren Lesern und zur Szene.
Der Indianistik-Bewegung in Deutschland und speziell den Indianisten in der DDR widmete sich das Karl-May-Museum Radebeul seit 2019 in den Sonderausstellungen „Die Deutschen und ihre Indianer“ und „Indianerszene im Osten“. Damit wurde dieses Thema erstmals kuratorisch aufgegriffen. Im Sommer 2021 begeisterte die Kunsthalle Rostock mit der Ausstellung „OST/WESTERN – Kino, Kult und Klassenfeind“. Es war eine Retrospektive mit modernem Blick auf die Indianerfilme als Dokumente ihrer Zeit, die ab den 1960er Jahren in beiden deutschen Staaten entstanden. Die guten Besucherzahlen trotz Corona belegten, daß die 11 bundesrepublikanischen „Karl-May-Filme“ und die 14 DEFA-Indianerfilme der DDR noch heute ihre Anhängerschaft haben. Die sehr erfolgreichen Filme und ihre Protagonisten Winnetou (Pierre Brice) und Old Shatterhand (Lex Barker) sind in die deutsche Kinogeschichte eingegangen, ebenso wie Gojko Mitic, Held der DDR-Indianerfilme und einer der wenigen international bekannten Stars der ostdeutschen DEFA. Während die „Winnetou-Filme“ der bundesrepublikanischen Rialto Film GmbH mit dem recht klischeehaften Bild des Wilden Westens vorwiegend auf die Unterhaltung des Publikums abzielten, ließen die Filmemacher der DEFA historische, ethnologische und sozialpolitische Belange einfließen. Eine besondere Rolle kommt dem ersten Ost-Indianerfilm „Die Söhne der großen Bärin“ nach dem Roman von Liselotte Welskopf-Henrich zu. 1966 war er der fulminante Auftakt zur beliebtesten und profitabelsten Filmreihe der DDR. Die Filmschaffenden der DEFA machten sich die Begeisterung für den Indianerroman Liselotte Welskopf-Henrichs zu Nutze und landeten damit einen internationalen Erfolg, obwohl die Schriftstellerin Vorbehalte bei der filmischen Umsetzung ihres Stoffes hatte. Gojko Mitic wurde zum Star und die Zuschauerzahlen erreichten bis dahin ungeahnte Höhen. Es gelang auch, die expansive Landnahme und den Mord an der amerikanischen Urbevölkerung eindrucksvoll darzustellen. Als im selben Jahr „Nacht über der Prärie“, Liselotte Welskopf-Henrichs ersten Band der Pentalogie „Blut des Adlers“ erschien, waren die Bücher durch ihre große Popularität schnell vergriffen und oft nur „unter den Ladentischen“ der DDR-Buchläden zu bekommen. Die Kunsthalle Rostock würdigte die besondere Rolle Liselotte Welskopf-Henrichs und nahm auch Bezug auf die Indianistik-Bewegung in der DDR.
How Kola –Indianistik in der DDR
Schon um die 1920er Jahre befassten sich in Deutschland erste Interessengemeinschaften mit den Ureinwohnern Nordamerikas, eine Faszination, angeregt durch die Auswanderungsbewegungen, die fragwürdigen landesweiten Völkerschauen, die Deutschlandtourneen der amerikanischen Westernshow des „Buffalo Bill“, die Indianerliteratur u.a. von Karl-May.
Die Bevölkerung der DDR entwickelte eine ganz besondere Hinwendung zu den American Indians. 1956 gelang es Johannes Hüttner „Powder Face“ nach hartnäckigen Bemühungen bei den DDR-Behörden in Radebeul, dem Stammland von Karl-May, die erste Indanistik-Gruppe „OLD MANITOU“ zu gründen.
Bald folgten Clubgründungen in Taucha bei Leipzig, in Meißen, in Magdeburg. Die wachsende Indianistik-Bewegung wurde zähneknirschend behördlich geduldet und von den Sicherheitsorganen überwacht. Bis in die 1980er Jahre bildeten sich 50 Clubs mit mehr als 1000 Mitgliedern als Volkskunstgruppen in verordneter Trägerschaft eines volkseigenen Betriebes oder unter dem Dach des Kultur- u. Sportbundes der DDR. Die Indianisten lebten keine Wildwest-Romantik. Sie befassten sich auf völkerkundlicher Basis mit Kultur, Brauchtum und Geschichte der Ureinwohner Nordamerikas des 19. Jahrhunderts. Diese waren unterschiedlich in ihrer Lebensweise und äußeren Erscheinung. Jeder Club spezialisierte sich deshalb auf eine indianische Nation, erforschte und erlernte hobbywissenschaftlich indianisches Leben, Riten und Handwerkstechniken. Mit höchstmöglicher Authentizität wurden Kleidung, Alltagsgegenstände, Waffen selbst hergestellt und als experimentelle Archäologie in ihrer Alltagstauglichkeit geprüft und genutzt. Die frühen Indianisten betrieben auch den Westernbereich mit Enthusiasmus. Dazu gehörten kunstvolle Lederhandwerkstechniken und Metallgravierarbeiten für die selbst gefertigten Pistolengurte, Messerscheiden, Gürtelschnallen, lagen Bullenpeitschen, historischen Revolver und Repetiergewehre, mit denen man virtuos umzugehen verstand. Obwohl man sich mit der Einwanderungsbewegung befasste, waren die Indigenen Nordamerikas steter Schwerpunkt. Die Organisation der Materialien für die Herstellung der Indianer- u. Westernausstattung bedeutete in einem Land der ständigen Mangelwirtschaft eine vehemente Herausforderung. Im zum westlichen Ausland abgeschotteten Staat, in einer Zeit ohne World Wide Web, ohne Telefon in den meisten DDR-Haushalten und begrenztem Angebot in den Buchläden gab es kaum Zugang zu wissenschaftlichem Material. Ethnologisches Wissen wurde aus den Völkerkundemuseen der DDR geholt, aus den ethnologischen Bereichen der Universitäten und über Schlupflöscher aus dem „Westen“ besorgt. Oft schmuggelten unsere Omas, die dazu ihre Rentnerreisefreiheit in die BRD nutzten, Fachmaterial mit großem Herzklopfen durch den ostdeutschen Zoll. Trotz dieser Schwierigkeiten entwickelten sich viele DDR-Indianisten zu hobbyethnologischen Experten, die ihr Wissen und ihre Fertigkeiten innerhalb der Gruppen, bei fachbezogenen Ausstellungen und Vorträgen weiter gaben. Das Hobby verlangte große Leidenschaft, denn es forderte viel Zeit und einen hohen Einsatz.
Die Behörden wiesen den meisten Clubs ein eigenes naturbelassenes Gelände zu. Es wurde von den Mitgliedern in vielen Aufbaustunden urbar gemacht und mit einem als Vereinsgebäude dienenden Blockhaus in Form eines Westernsaloons oder Ranchgebäudes bebaut. Auf den Höhepunkt des Jahres, das Treffen der ostdeutschen Indianisten zum mehrtägigen gemeinsamen Indianerlager, dem Great Indian Council, später der Indian Week und den Pow Wow‘s wurde das ganze Jahr hingearbeitet. Im Wechsel richtete jeweils ein Club auf seinem Gelände die Großveranstaltung mit Publikumsverkehr aus, eine Aufgabe mit anspruchsvollem Eventmanagement. Die Treffen dienten dem Leistungsvergleich und Wissenstransfer unter den Clubs. Als Aushängeschild der Bewegung lockten sie viele Besucher an. Wissenschaftler, Presse und Fernsehen, Kultur- und Filmschaffende wie die führenden DDR-Ethnologen und eine Reihe bekannter Filmstars aus den DEFA-Indianerfilmen waren häufige Gäste. Die meisten Gruppen der frühen Indianistik-Szene absolvierten das Jahr über ein reichhaltiges Auftrittsprogramm bei städtischen Veranstaltungen und bei den Uraufführungen der DDR-Indianerfilme. Im aufgebauten Indianerlager erwartete das Publikum professionell gestaltete Indianer- u. Westernfolklore. Jeder Hobbyfreund hatte hier je nach Fertigkeit seine Aufgaben. Im bunten Geschehen indianischen Brauchtums bewegten sich hobbyindianische Tänzer in ihrer mit großem Aufwand gefertigten indianischen Kleidung zum Tam-tam der Trommeln. Die Messer- u. Tomahawkwerfer zielten auf ihre Partner an der Holzwand. Und während die nächste Nummer vorbereitet wurde, erklärte der Chief in indianischer Festkleidung mit Federhaube den Zuschauern Wissenswertes über die nordamerikanischen Ureinwohner. Im zweiten Teil kamen u.a. die Cowboys mit zwei Meter langen, scharf knallenden und nicht ungefährlichen Bullenpeitschen zum Einsatz. Bis zum letzten Schnipsel schlugen sie ihren Partnern eine Zeitung aus den Händen und zum Höhepunkt die Zigarette aus dem Mund. Die Auftritte waren bei der Bevölkerung sehr beliebt. Die Hobbyindianer vermittelten einen Hauch Amerika und entführten die Ostdeutschen in eine für die Meisten unerreichbare Welt hinter der unpassierbaren Landesgrenze. Daß die Indianistik-Bewegung speziell in der DDR so erfolgreich wurde, ist sicher nicht zuletzt der fehlenden Reisefreiheit geschuldet. Nach der Wende gab es eine Neuorientierung. Es lösten sich viele Hobbygemeinschaften auf, einige blieben und sind bereits in dritter Familiengeneration dabei. Es entstand eine andere gesamtdeutsche Indianistik- und Westernszene, die sich in unterschiedlichen Dachverbänden und an unterschiedlichen Ausrichtungen orientiert und europaweit tätig ist. Trotz Nachwuchsproblemen gehören heute in ganz Deutschland 45 Interessengemeinschaften zum „Indianistikbund“.
Sabine Uhlig – Dezember 2021
Sämtliche Fotos wurden von Sabine Uhlig zur Verfügung gestellt. Urheber konnten nicht in jedem Fall festgestellt werden.
Vielen herzlichen Dank an Sabine Uhlig für diesen inhaltreichen Beitrag anlässlich des 120en Geburtstag von Liselotte Welskopf-Henrich. So wie der Begriff „Indianer“ derzeit und gelegentlich kontrovers diskutiert wird, der korrekte Begriff wäre „Native Americans“ oder „Indigene Völker“, werden auch die Indianistik-Gruppen kritisch betrachtet. Dies zeigt auch die MDR-Media-Reportage „Hobby-Indianer – Indianistik im Wandel der Zeiten“ In dieser kommen Indianisten, Amerikanisten und Native zu Wort. https://reportage.mdr.de/hobbyindianer#2465
Die Romane von Liselotte Welskopf-Henrich hatten großen Einfluss auf ein erneuertes Bild auf vor allem nordamerikanische indigene Völker, abgesetzt vom vielleicht vorherrschenden deutschen Karl-May-Bild. Dies gilt insbesondere für die DDR, wurde aber auch in der Bundesrepublik durchaus bemerkt. Schon mit den „Bärensöhnen“ wurde dieses Bild entwickelt. mit der Pentalogie „Das Blut des Adlers“ wurde das Bild verstärkt und der Fokus auch auf das Leben und die Kultur der Völker in den 60iger Jahren und damit auch auf immer noch anhaltende soziale Probleme des 20. Jahrhunderts gelegt. Darin besteht Liselotte Welskopf-Henrichs Verdienst. Die Indianistik-Gruppen beriefen sich nicht nur auf Liselotte Welskopf-Henrich (Die Tauchaer Gruppe befasste sich mit Mandan-Völkern), jedoch waren die hohen Auflagen natürlich bekannt und beliebt. Gleichermaßen dürften die Gruppen zur Verbreitung der Bücher beigetragen haben.