Dietmar Kuegler: Chief Iron Tail

Der Lakota-Häuptling von Buffalo Bill’s Wild West

Die Zeit des „Wilden Westens“ war noch nicht vorbei, da wurde sie bereits zum Unterhaltungselement. In den Wüsten Arizonas kämpften noch immer Armee und Apachen gegeneinander. In den Weiten Wyomings standen sich Rinder- und Schafzüchter mit schussbereiten Waffen gegenüber. In Oklahoma ritten falkenäugige US Marshals auf der Fährte der letzten Banditen der Pionierzeit. Aber ab Mitte der 1870er Jahre standen einige Protagonisten der Wildnisregionen auf Theaterbühnen des amerikanischen Ostens und führten einem staunenden Publikum Faustrecht und Abenteuer in den Plains und Rocky Mountains vor. Nur wenige Jahre später eröffnete in Nebraska ein Mann ein Showunternehmen, das binnen kurzem zur Weltsensation werden sollte.

Am 17. Mai 1883 zeigte William Cody in der kleinen Stadt North Platte erstmals „Buffalo Bill’s Wild West“. Er dramatisierte das, was er im Laufe seines Lebens gesehen und erlebt hatte und was sich in der Realität noch immer in den westlichen Gebieten Nordamerikas abspielte, als Showspektakel. Der Erfolg war so überwältigend, dass er sich entschloss, ein umfassendes Programm zu entwerfen, dass alle Elemente der amerikanischen Pionierzeit – die zu jener Zeit noch gar nicht abgeschlossen war – enthielt: Goldrausch, Rindertreiben, Indianerkriege, Landnahme, Postkutschenüberfälle. Er heuerte echte Cowboys an, die ihre reiterlichen Fähigkeiten in der Manege vorführten. Er erwarb eine kleine Bisonherde, und er engagierte Indianer von den Reservationen im Nordwesten, die dem Publikum Teile ihrer Kultur demonstrierten. Nach kleinen Tourneen durch Staaten des amerikanischen Ostens und Südens, ging er mit seiner Show nach Kanada, und schließlich brach er nach Europa auf und trug die Interpretation der amerikanischen Besiedelung in die Alte Welt.

* * *

Cody wurde in den Augen eines globalen Publikums zur Personifizierung der amerikanischen Pionierzeit. Der Sohn einer armen Siedlerfamilie, dessen Vater von einem fanatischen Südstaatler erstochen worden war, weil er sich öffentlich gegen die Sklavenhaltung engagiert hatte, war an allem, was die sogenannte „Frontier“ in Nordamerika ausgemacht hatte, beteiligt gewesen. Er war Frachtwagenlenker auf den Trails in die Wildnis gewesen, Pony Express Reiter, Fleischjäger für Eisenbahnbautrupps, Scout der Armee, „Indianerkämpfer“ – kurz, er war ein Abenteurer aus einer anderen Welt, die dem Amerika der Oststaaten ebenso wie den Menschen in Europa so fern war wie ein anderer Planet.

William Cody gilt im Allgemeinen als der Erfinder der „Wild West Show“ und das Jahr 1883 als die Geburt dieser Darstellung. Das zeigt, wie sehr seine Persönlichkeit die öffentliche Meinung dominierte.

Zirkushistorisch gesehen, stimmte das auch, tatsächlich aber war die Präsentation von Ereignissen der amerikanischen Pionierzeit wesentlich älter. Die Regionen westlich des Missouri, die im 19. Jahrhundert eine enorme Anziehungskraft ausübten, faszinierten das bürgerliche Amerika ebenso wie die Alte Welt bereits zu einer Zeit, als es die die „Grenze“ zwischen Zivilisation und Wildnis noch gab.

Schon vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg erschienen abenteuerliche Geschichten von blutrünstigen Indianern und heldenhaften Trappern und Pionieren, von Goldsuchern und Planwagenzügen. Nach Ende des Krieges setzte sich dieser Trend fort. Elemente wie der Eisenbahnbau und die Rindertrails von Texas nach Kansas kamen ebenso hinzu, wie die Geschichten von Bisonjägern, und natürlich von Straßenräubern und Revolvermännern. Es wurden erste Theaterstücke mit diesen Themen geschrieben.

Im Dezember 1869 erschien die Geschichte „Buffalo Bill, King of Border Men“ aus der Feder eines der eifrigsten Autoren dieser Literatur, Ned Buntline. Dessen richtiger Name lautete Ed Judson, und er war eine höchst zwielichtige Person, der allerdings eine Nase für sensationelle Themen hatte. Er war durch den Westen gereist, um „wahre Helden“ zu finden, die er an ein sensationshungriges Publikum im amerikanischen Osten verkaufen konnte.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen, mit Männern wie „Wild Bill“ Hickok und dem bekannten Armeescout Frank North ins Gespräch zu kommen, stieß er auf William Cody, der Buntline nicht ganz ernst nahm, mit ihm ein kurzes Gespräch führte und ihn dann wieder vergaß.

Buntlines Werk über „Buffalo Bill“ wurde ein Sensationserfolg und machte den Mann aus dem Westen mit einem Schlag populär. Als Cody nach langem Zögern endlich in den Osten reiste, um auf Einladung Buntlines öffentlich aufzutreten, wurde er von seiner eigenen Berühmtheit überrascht. Die Eisenbahnstation, auf der er aus dem Zug stieg, wurde von Schaulustigen regelrecht überrannt.

Buntline schrieb 1872 auf der Grundlage seines Buches ein Theaterstück unter dem Titel „The Scouts of the Prairie“ und überredete Cody, mit ihm und „Texas Jack“ Omohundro, einem anderen echten „Westmann“, auf die Bühne zu gehen.

Die Protagonisten mussten nicht viel sagen – allein ihr Erscheinen löste hysterische Massenaufläufe aus.

Sie tourten zwei Jahre lang durch die USA, bis Cody klar wurde, dass Buntline ihn schamlos betrog. Von da an organisierte er seine öffentlichen Auftritte selbst.1877 machte auch Jack Omohundro sich selbständig, und hier und da gab es bereits Freiluftveranstaltungen, in denen Kunstschützen, Lassowerfer und Indianer auftraten. Das alles waren aber eher kleine Unternehmen, die nur regionale Bedeutung hatten. Zweifellos wurde Cody von seinen Erfahrungen auf der Theaterbühne angeregt, die gesamte Pionierzeit darzustellen. Eine Kombination aus Theater, Zirkus und Varieté.

Wer hätte diese Idee glaubwürdiger und spektakulärer vertreten können als er?

Die Männer in der Manege waren echte Cowboys, die auf den endlosen Weiden des Westens gearbeitet und Tausende von knochigen Longhornrindern von Texas bis zu den Bahnstationen in den Ebenen von Kansas getrieben hatten. Die „Deadwood Stage“, die Postkutsche, die während der Show überfallen wurde, war das Original, das tatsächlich auf staubigen Wegen zu den Goldrauschstädten in den Black Hills gefahren war.

Echte Bisons stürmten an den Zuschauern vorbei. Und dann kamen die Indianer: Drahtige, dunkelhäutige Gestalten, die auf dem blanken Rücken ihrer Pferde dahingaloppierten. Majestätisch wehten die großen Federhauben. Ihre gutturalen Schreie ließen die Luft erbeben und jagten dem Publikum Schauer über den Rücken. Einige dieser Männer hattenwirklich noch an blutigen Kämpfen mit den weißen Pionieren und der Armee teilgenommen. Viele von ihnen hatten sogar am Little Bighorn gekämpft, wo sie die 7. US-Kavallerie vernichtet hatten.

Sie waren keine Fantasiegestalten, aber sie kamen aus einer anderen Welt, die von Abenteuer und Romantik verklärt war.

Die Anziehungskraft dieser Vorführungen war unbeschreiblich. Der amerikanische Osten geriet in Aufruhr. In Kanada strömten die Menschen herbei, um den „wahren Wilden Westen“ zu sehen. Und erst in Europa: Ab 1887 tourte Cody mit seiner Show durch die Alte Welt. Acht Tourneen führte Cody bis 1906 durch. Staatsoberhäupter, Könige und sogar der Papst gehörten zu seinem Publikum. Queen Victoria war begeistert von den wilden Männern und Frauen aus dem amerikanischen Westen – während der ersten Englandtour wurden nicht weniger als 2,5 Millionen Eintrittskarten verkauft.

William Cody hatte die Ideen und Visionen, er hatte die Persönlichkeit und das Charisma, das Publikum zu begeistern. Aber er benötigte natürlich Geldgeber, und mit dem Journalisten John Burke aus Arizona hatte er einen genialen Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. Plakate, Prospekte, Pressekonferenzen, Sponsoren, Souvenirs – alles, was mithalf, die Show mit den Mitteln der damaligen Zeit zu vermarkten, wurde von Burke geschaffen, der auch völlig neue Promotion-Methoden entwickelte, die zum Vorbild für andere Unternehmen werden sollten. Wer Buffalo Bill’s Wild West untersucht, entdeckt Ursprünge von modernem, bis heute gültigem „Merchandising“, perfekte Medienpromotion, Marketing auf allen Ebenen, Franchising, Markenlizensierung, wobei alle in jener Zeit möglichen Techniken genutzt wurden, bis hin zu frühen Filmaufnahmen.

Erst weltweite Wirtschaftskrisen brachten das Imperium William Codys, zu dem die Show herangewachsen war, ins Wanken. Die teuren Eintrittskarten waren für viele Menschen nicht mehr erschwinglich. Unwetter in den Südstaaten der USA, die viele Pflanzer ruinierten, Krankheiten der Showpferde – wie die berüchtigte „Rotz-Krankheit“ (Malleus), die auf einer Tournee in Frankreich seine Herde vernichtete –, steigende Preise für den Unterhalt der vielen Menschen und Tiere, und nicht zu vergessen der exzentrische Lebensstil Codys wurden zu ernsten Problemen. 1913 war das Unternehmen bankrott.

Bis dahin aber hatte William Cody den Traum von der amerikanischen Pionierzeit in Millionen von Herzen und Köpfen gepflanzt. Die Indianer, die in seiner Show auftraten, hatten der Welt Elemente ihrer Kultur gezeigt und vor allem belegt, dass sie noch existierten, dass sie nicht untergegangen waren.

Bis zum heutigen Tag halten die Völker, die mit Cody arbeiteten, die Erinnerung an ihn in Ehren; denn er erwirkte in zähen Kämpfen mit dem US-Innenministerium Sondergenehmigungen, dass sie ihre Reservationen verlassen durften. Er bezahlte nach damaligen Standards so gut, dass sie ihre Familien daheim versorgen konnten, und er behandelte sie mit Respekt, so dass noch ihre Nachkommen darüber berichteten.

Als Cody starb, trat der Stammesrat der Lakota zusammen und veröffentlichte einen ehrenden Nachruf.

Der Großvater von Ken Woody, dem Chief Ranger des Nationalpark Service am Little Bighorn, war einer dieser Indianer. Ken Woody ist, wie sein Großvater, Mohawk-Indianer. Zwar ritten tatsächlich viele Angehörige von Plains- und Prärievölkern mit „Buffalo Bill’s Wild West“, aber es wurden auch östliche Waldlandindianer engagiert, die mit Plains-Regalia ausgestattet wurden.

Ken Woody berichtete: „Als ich Kind war, fand ich die Ausrüstung meines Großvaters, die er getragen hatte, als er für Buffalo Bill geritten war. Das weckte mein eigenes Interesse an den Plainskulturen. Mein Großvater hatte über diese Zeit nie geredet. Als ich ihn fragte, erzählte er mir von den Tourneen und berichtete, dass diese Zeit zu den besten Erfahrungen seines Lebens gehörte. Cody behandelte die Indianer mit Freundlichkeit, und er hatte einen Angestellten, der sich nur um die indianischen Teilnehmer kümmerte, der dafür sorgte, dass sie mit dem Essen versorgt wurden, das sie sich wünschten, der auf ihre Gesundheit achtete, der die Kontakte zu ihren Familien aufrechterhielt und die Zahlungen an ihre Familien abwickelte.“

Diese Menschen, die bis dahin in ihren abgelegenen Reservationen dem Vergessen anheimgefallen waren, konnten sich der Welt präsentieren, und Europa nahm Anteil. Es wurde ein Interesse am Schicksal der nordamerikanischen Indianer geweckt, das bis heute nicht erloschen ist.

Cody forderte damit die Regierungsbehörden und Indianeragenten heraus, die im ausgehenden 19. Jahrhundert versuchten, die indianischen Kulturen auszumerzen. Sprache, Rituale, Tänze, religiöse Zeremonien – alles, was Ausdruck der eingeborenen Kulturen war, sollte verschwinden. Cody bestärkte die Indianer genau darin, diese Elemente zu erhalten. Er wollte, dass sie in ihrer Sprache redeten, dass sie ihre Tänze zeigten, dass sie über ihre Lebensweise erzählten.

Es gab gar eine regierungsamtliche Ermittlung gegen Cody, weil er die Umerziehung der Indianer behinderte – sie wurde letztlich niedergeschlagen.

Als er am 10. Januar 1917 starb, trat zwei Tage später der Stammesrat der Oglala-Lakota auf Pine Ridge zusammen und schickte dieses Telegramm an Codys Kinder:

„Pine Ridge, South Dakota, 12. Januar 1917

Die Oglala Sioux Indianer von Pine Ridge, South Dakota, die sich zum Rat versammelt haben, drücken im Namen aller Oglalas ihr tiefstes Mitgefühl gegenüber der Ehefrau, den Verwandten und Freunden des verstorbenen William F. Cody für den Verlust aus, den sie erlitten haben. Wir erklären, dass wir Oglala in Buffalo Bill einen warmherzigen und treuen Freund gefunden haben. Unsere Herzen sind schwer vor Trauer wegen seines Dahinscheidens. Uns erleichtert nur der Glaube, dass wir ihn vor Wakan Tanka in den Ewigen Jagdgründen wiedersehen werden.

Chief Jack Red Cloud.“

Wenn die Indianer der Buffalo Bill Show in die Manege galoppierten oder in den Städten, in denen sie gastierten, auf den Straßen paradierten, ritt an ihrer Spitze meistens ein Mann, dessen Erscheinung bei den Zuschauern die blanke Ehrfurcht auslöste.

Eine hochgewachsene, kräftige Gestalt mit einem Gesicht, wie kein Schriftsteller es markanter beschreiben konnte. Er war der fleischgewordene Traum vom edlen Krieger, von allem, was die Vorstellungskraft der Welt beim Gedanken an nordamerikanische Indianer erzeugte.

Sinte Maza, besser bekannt als Iron Tail, war für viele Jahre der unumstrittene Star von „Buffalo Bill’s Wild West“. Er blickte von unzähligen Plakaten. Postkarten mit seinem Portrait waren begehrt. Er repräsentierte den Plainsindianer schlechthin, was letztlich dazu führte, dass über ihn viele übertriebene oder völlig falsche Geschichten im Umlauf waren.

Seine eindrucksvolle Erscheinung korrespondierte mit seinem Charakter und seinem Benehmen. Nicht umsonst sagte William Cody über ihn: „Iron Tail ist ohne jede Einschränkung der beste Mann, den ich kenne.“

* * *

Als Sinte Maza 1842 geboren wurde, waren die Oglala Lakota noch die uneingeschränkten Herren der Great Plains in Regionen, die später Nebraska, South Dakota und Wyoming heißen sollten. Er kam in einem Bisonhaut-Tipi zur Welt. Das Lager seiner Gruppe war in Bewegung. Die Krieger folgten einer Bisonherde. Seine Mutter sah von einem Hügel aus zu, wie die Männer die Herde jagten. Die Schwänze der Bisons standen hoch wie metallene Stangen, als sie in Stampede davonstürmten. Das gab ihr den Gedanken, ihren Sohn „Iron Tail“ zu nennen.

Er wuchs mit den Werten und den Lehren eines indianischen Jungen jener Zeit heran. Aber als er das Alter erreichte, auf den Kriegspfad ziehen zu können, hatte seine Gruppe bereits Frieden mit dem weißen Mann geschlossen.

Menschen, die ihm später begegneten und ihn nach seiner Jugend befragten, erfuhren, dass er keine bemerkenswerten Kriegstaten vorzuweisen hatte. Tatsächlich wurde er von Reportern häufig mit Chief Iron Hail verwechselt – die Namen klangen ähnlich –, der tatsächlich am Little Bighorn gegen die 7. US-Kavallerie kämpfte. Iron Tail war nicht am Little Bighorn, und seine Familie wurde auch nicht – wie einige andere Berichte es behaupteten – am Wounded Knee getötet.

Ein Zeitgenosse, Major Israel McCreight, schrieb über ihn: „Iron Tail war weder ein Kriegshäuptling, noch ein großer Kämpfer. Er war kein Medizinmann oder Schamane, aber er war ein kluger Ratgeber und Diplomat, stets voller Würde und Ruhe, niemals großsprecherisch. Er redete nicht viel und gab nicht viel auf prunkvolle Kleidung; er glich dem berühmten Häuptling Crazy Horse. Immer hatte er ein Lächeln auf den Lippen und liebte Kinder, Pferde und Freunde.“ (McCreight, The Wigwam: Puffs from the Peace Pipe. 1943.)

Seit den 1890er Jahren ritt Iron Tail mit „Buffalo Bill“ Cody. Er wurde neben Annie Oakley, der legendären Kunstschützin, zur absoluten Attraktion der Show und blieb bei Cody bis 1913, als das Unternehmen aufgelöst werden musste.

Danach wurde er von der „101 Real Wild West“-Show in Ponca City (Oklahoma) angeheuert.

Iron Tail war bereits ein internationaler Star, als er von dem Künstler James Earle Fraser als einer von drei Indianern ausgesucht wurde, für das Portrait auf der Rückseite einer neuen 5-Cents-Münze Modell zu stehen, für den sogenannten „Buffalo Nickel“ (auf der Vorderseite war ein Bison abgebildet).

Wo immer Iron Tail auftrat, beeindruckte er durch seine natürliche Souveränität und Würde. Er stand neben William Cody vor Staatspräsidenten und gekrönten Häuptern in Europa. Cody nahm ihn mit zu Jagdausflügen.

Aber natürlich war es sein markantes Aussehen, dass stark zu seinem Ruhm und seiner Ausnahmestellung beitrug, und es war eine bemerkenswerte Frau, die das öffentliche Bild von Iron Tail prägte. Im April 1898 besuchte die Fotografien Gertrude Käsebier den Auftritt Codys in New York. Zuvor hatte sie schon die Parade der Mitwirkenden auf der 5th Avenue gesehen.

Gertrude Käsebier gehörte zu den ersten in ganz Amerika bekannten Fotografinnen, als dieser Beruf immer noch männlich geprägt war. Sie war im Westen am Rande der Großen Ebenen aufgewachsen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Indianerdörfern.

Käsebier nahm Kontakt mit William Cody auf und erhielt von ihm die Genehmigung, die Indianer seiner Truppe zu fotografieren. Da sie den Umgang mit Indianern gewöhnt war, hatte sie keine Probleme, von ihnen akzeptiert zu werden. Sie nahm diese Fotos nicht aus geschäftlichen Gründen auf. Ihr ging es nur um Ästhetik. Keines ihrer Fotos erschien jemals im Druck der Werbebroschüren der Show.

Iron Tail wurde ihr Lieblingsmotiv – denn der Lakota erschien zu den Aufnahmen ohne irgendwelche Showkleidung. Er war einfach er selbst, ließ sich aber schließlich überreden, seine Federhaube aufzusetzen. Gertrude Käsebier war begeistert von der Bescheidenheit des Auftretens, weil Iron Tail damit genau das demonstrierte, was sie fotografieren wollte – Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. 1901 erschien eines ihrer Iron-Tail-Portraits auf dem Titelblatt des „Everybody’s Magazine“. Er wurde als Vertreter einer neuen Generation Indianer gefeiert, traditionell und zugleich der modernen Zeit zugewandt, stark und stolz.

* * *

Iron Tail war 74 Jahre alt, als er mit der „101 Wild West Show“ im amerikanischen Osten unterwegs war. William Cody trat ebenfalls als Angestellter der Show auf.

Im Mai 1916, als die „101 Ranch“ in Philadelphia (Pennsylvania) gastierte, erkrankte Iron Tail an Lungenentzündung. Er wurde ins St. Lukes Hospital der Stadt eingeliefert. Cody war gezwungen, seinen Freund zurückzulassen, da er einige Tage später in Baltimore auftreten musste. Einer von Codys Freunden, der auch mit Iron Tail befreundete Colonel McCreight in DuBois (Pennsylvania) erfuhr von der Erkrankung Iron Tails und telegrafierte an das Krankenhaus, den Chief zu ihm zu transportieren, wo er gepflegt werden sollte.

Das Telegramm erreichte nie sein Ziel. Stattdessen wurde Iron Tail in einen Zug gesetzt, der ihn nach Hause in die Black Hills bringen sollte.

Am Morgen des 28. Mai 1916 fand der Schaffner den alten Häuptling tot in seinem Schlafwagenabteil vor, als der Zug in South Bend (Indiana) hielt. Sein Leichnam wurde weiter in die Pine Ridge Reservation befördert. Hier wurde er am 3. Juni 1915 auf dem Friedhof der Holy Rosary Mission beerdigt.

Als William Cody vom Tod Iron Tails erfuhr, versprach er, für einen Grabstein zu sorgen. Aber dazu kam es nicht mehr – nur sechs Monate später starb auch „Buffalo Bill“ Cody in Denver.

So kam es, dass das Grab von Iron Tail keinen Stein erhielt – und es ist seither nicht mehr auffindbar.

  • Mit freundlicher Genehmigung von Dietmar Kügler.
  • aus Magazin für Amerikanistik – Zeitschrift für amerikanische Geschichte Heft 4 / 2018 und Heft 1 / 2019.
  • Bilder oben aus Heft 1/2019
  • Bild unten rechts: Montage U.R.

Quellen

  • Armstrong, Craven, et al., 200 Years of American Sculpture. 1976.
  • Augherton, Tom, Chief Iron Tail: Buffalo Bill Codys Lakota Ambassador was Immortalized in Nickel. In: True West, December 2014.
  • Barbara L. Michaels, Gertrude Käsebier, The Photographer and Her Photographs. 1992.
  • Delaney, Michelle, Buffalo Bill’s Wild West Warriors: A Photographic History by Gertrude Käsebier. Smithsonian, 2007.
  • Freundlich, A.L.The Sculptures of James Earle Fraser. 2001.
  • McCreight, Major (1943), The Wigwam: Puffs from the Peace Pipe. 1943.
  • Richard Green, I Dream of the Elk: Iron Tail’s Muslin dance shield. In “Whispering Wind”, March–April, 2009
  • Wilson, R. L./Greg Martin, Buffalo Bill’s Wild West: An American Legend. 1998.
  • Woody, Ken, Chief Ranger Little Bighorn Battlefield. Persönliches Gespräch, Juni 2014.
  • Prof. Dr. Ken Tankersley (Cherokee), berichtete über das Verhältnis zwischen William Cody und den Indianern. Er wies mich als erster auf den Stammesratsbeschluss der Oglala-Lakota nach Codys Tod hin. Eine Kopie des Original-Dokuments befindet sich im „Buffalo Bill Museum“ auf Lookout Mountain in Golden, Colorado, neben Codys Grab. Persönl. Gespräch im Juli 2006.
  • Bei mehreren Besuchen auf dem Friedhof der Holy Rosary Mission konnte ich das Grab von Iron Tail trotz intensiver Suche nicht mehr lokalisieren. Es ist auch in den Friedhofspapieren, die ich im „Museum of the Fur Trade“ in Chadron (Nebraska) einsehen konnte, nicht mehr gelistet. Vermutlich wurde es irgendwann eingeebnet, weil keine Angehörigen mehr vorhanden waren.
Der Bergführer

Der Bergführer

Südtirol muss Liselotte Welskopf-Henrich gefallen haben. Es lag nahe, dieses Urlaubsparadies literarisch zu benutzen und so König Laurins Rosengarten und die daneben liegenden Vajolet-Türme nebst umliegender Berghütten in den Dolomiten in einer Geschichte zu beschreiben, die außerdem eine ernsthafte Handlung aufweist, denn sie spielt im Jahre 1939. Die Geschichte der Veröffentlichung im Mitteldeutschen Verlag Leipzig ist ebenso spannend wie die Erzählung selbst, denn dieses Büchlein folgt erstmals dem Originalmanuskript der Autorin. Was ist der Inhalt der vorliegenden Erzählung?


„Südtirol 1939. Karl Unteregger, ein junger angesehener Bergführer in den Dolomiten, hat den Auftrag angenommen, einen Touristen aus Berlin in die Berge zu führen. Der Berliner heißt Fritz Ordemann, er ist Oberpostinspektor und Nazifunktionär. Begleitet wird er von Lotte, seiner Verlobten, einem Berliner Arbeitermädchen, dreißig Jahre jünger als er.

Auf der Klettertour offenbart sich rasch der egozentrische Charakter dieses Mannes, der keinerlei Widerspruch gewohnt ist. Lotte, von der Mutter in Erwartung einer guten Partie in das Verhältnis mit Ordemann gedrängt, bewunderte bislang sein so selbstsicheres Auftreten. Hier in der Welt der Berge aber spürt sie zum ersten Mal die moralische Armseligkeit Ordemanns angesichts des aufrechten Wesens des selbstbewussten Bergführers.

Ein Wetterumschwung bringt mitten im Sommer Schneefall herbei. Trotzdem besteht Ordemann auf seinem vermeintlichen Recht, auf einen weiteren Gipfel geführt zu werden. Die Gefahren der Witterung interessieren ihn nicht; die Bedrohungen der Bergwelt begreift er nur als Nervenkitzel und Abenteuer, mit denen er später am Stammtisch prahlen kann.

Unteregger weiß, dass diese neue Tour mit Lebensgefahr verbunden ist. Aber er ist auf die Einkünfte angewiesen, wenn er für seine Familie das Häuschen in der Nähe seines Heimatdorfes anzahlen will, das der Besitzer nur zu einem Wucherpreis verkauft.“

Palisander Verlag

Diese kurze prägnante Inhaltsangabe des Palisanderverlages „verschweigt“, dass Welskopf-Henrichs Erzählung neben der menschlichen und einer politischen Geschichte beeindruckende Landschaftsbeschreibungen enthält.

König Laurins Rosengarten / © Uwe Rennicke

Die Wandernden schauten überrascht um sich, denn eine neue Felslandschaft hatte sich plötzlich vor ihnen aufgetan. Um wüste Geröllhalden reckten sich im Rund die Rosengartenspitze und die zerklüftete Laurinswand; die Vajoletttürme starrten zwischen schnellziehenden Fetzen der Morgennebel, sich entblößend und wieder verbergend, messerscharfe Kanten, kühne Sterbende in Wolken und Wind. Der Föhn pfiff durch die zerissenen Wände, hoch oben am Himmel flogen Wolken wie große Vögel. Die letzten Anemonen waren hinter den Wandernden zurückgeblieben, und die Menschen traten in das Reich der vollkommenen Unfruchtbarkeit ein. Gerundetes Geröll und spitzer Schotter, verwitterte Türme, rissige Felsmauern, gestürzte Blöcke, die den Weg sperrten, Schneeflecke, die in kleinen Schluchten ihr frostgebanntes Dasein fristeten, bildeten ein eigenes Revier, die Wüste Zwerg Laurins versunkenem Garten. Der Ausblick in das fruchtbare Land war jetzt vollständig verschlossen. Einen eigenartigen Eindruck machte das völlig Wüste unter dem hohen Himmel, das den Namen ‚Gartl‘ trug in der zur Sage gewordenen Erinnerung daran, dass auch auf dieser Höhe einst Blüte und Frucht gediehen waren.“

(Seite 31)

Da haben wir den Blick auf König Laurins Rosengarten, Eine imposante Felsengruppe, die man erreicht, wenn man Bozen Richtung Welschnhofen verlässt, mit dem Ski-Lift zur Kölner Hütte fährt und von den Hängen eine Ahnung erhält, wo der Zwergenkönig Laurin seinen Garten anlegte. Von Tiers aus sieht man beide Felsformationen, die die Autorin beschrieb, den Rosengarten und daneben die Vajolet-Türme, die Unteregger mit Ordemann besteigen soll.

Der Konflikt zwischen dem Bergführer und dem Nazi bestimmt das Büchlein. Jedoch wird der nicht ideologisch dargestellt, es ist der Konflikt zwischen Herr und Knecht, wenn man so will, der „Knecht“ allerdings wird wegen seines Wissens und seines Könnens im Fels zum „Herrn“: „Wir sind im Fels und da bin ich der Herr!“

Lotte versteht langsam, wie es den Sürtirolern geht, denen der Nationalsozialismus immer näher rückt, in der Provinzhauptstadt Bozen. Sie unterhält sich mit der Moidl, der jungen Frau des Unteregger und erkennt, das der gönnerhafte Ordemann, welcher meint, sie aus der Gosse geholt zu haben, nicht zu ihresgleichen gehört. Lotte fühlt sich den Menschen in den Bergen, die sie ohne Ordemann vielleicht nie gesehen hätte, verbundener.

Ein sehr interessantes Bild bieten zwei junge Bozener, ein Paar, welches unter dem Lied „Wie ist die Welt so groß und weit und voller Sonnenschein…“ am Sonntag kraxln geht. Mit der Zeit kommen der Lotte ebenfalls Verse, heimliche Verse im Jahr 1939, in den Sinn: „Bis ihrer Sehnsucht Verlangen, Himmel und Nacht überschwillt“. Der Text beider Lieder spricht von Freiheit. So weist die Autorin auf den großen politischen Konflikt hin, der die Welt in Kürze an den Abgrund führt.


Dem Buch, das 1954 im Mitteldeutschen Verlag Leipzig erschien, war kein Erfolg beschieden. Erst der Palisander-Verlag brachte die Erzählung im Jahr 2015 wieder heraus. Das hat seinen Grund:

Der mitteldeutsche Verlag schreibt am 07. Juli 1954 an das Amt für Literatur und Verlagswesen, Hauptabteilung Belletristik mit der Bitte um Druckgenehmigung:

„In der Erzählung kommt zum Ausdruck, wie eine junge Arbeiterin aus Westberlin erkennt, dass sie einen falschen Weg zur Meisterung ihres Lebens eingeschlagen hat. Sie glaubt, dass eine Verbindung mit einem Manne, der sich in sicherer Position befindet, sie aus dem Elend ihrer Klassenangehörigen herausheben wird. Eine Reise in die italienische Schweiz gibt ihr die Möglichkeit der Gegenüberstellung ihres Verlobten mit einem Bergführer, und sie kommt zur Erkenntnis, dass ihr Weg zum Glück nur Seite an Seite mit ihresgleichen gefunden werden kann.“

Bundesarchiv – Der Bundesbeauftragte für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes…
Bundesarchiv – Der Bundesbeauftragte für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes…

Doch die Schwächen, von denen der Lektor im Weiteren schreibt, lagen in den Änderungen, also in der Verlegung der Zeitebene aus dem Nationalsozialismus in die Zeit der „Frontstadt im noch jungen Kalten Krieg…“ – Berlin. Im Vorwort zur Ausgabe von 2015 erklärt dies Frank Elstner. Man sah es aus scheinbarer Aktualität als politisch brauchbar an, Westberlin zu verwenden, wo das Arbeitermädchen Lotte perspektivlos sei und der Ex-Nazi Ordemann ungehindert seine Karriere fortsetzen könne.
Die Geschichte hat gezeigt, dass diese einfachste ideologische Darstellung letztlich nicht überzeugte.

Ob Liselotte Welskopf-Henrich damit einverstanden war, wissen wir nicht. Jedoch stellt Abteilungsleiter Hoffmann im Oktober 1954 gegenüber der Autorin folgendes dar:

„Werte Genossin Welskopf-Henrich!
Die Verlagsgeschichte deines Manuskripts ist eine interessante „Reportage“ über eine Studienreise durch unsere Verlagslektorate. Sie wird bei unserem Bemühen, die Arbeitsweise unserer Verlagslektorate zu verbessern, nicht ohne Bedeutung sein. Boshafte Menschen wären versucht, eine Satire zu schreiben. Da Du aber nicht boshaft bist und auch nicht vorschnell in Deinem Urteil, bestimmte Entwicklungserscheinungen ohne ernste Studien zu verallgemeinern, fassen wir dankbar diesen Hinweis als eine wertvolle Hilfe in unserer Arbeit aus.
Mit sozialistischem Gruß…“

Bundesarchiv

Worin dieser Hinweis bestand, wissen wir bisher nicht, jedoch ist es vorstellbar, dass die Autorin diese Zeitverschiebung ablehnte, zumal sie zu Unstimmigkeiten in der Geschichte führte, wie Elstner feststellte, der sich des Originalmanuskripts annahm und damit die ursprüngliche Fassung veröffentlichte.


Die tragische Geschichte endet mit einem Hoffnungsschimmer für Lotte, die Moidl und ihren Sohn. Der Hintergrund der Erzählung ist ein kleines Stück deutscher Verlagsgeschichte und lässt einen Blick auf die Verfahrensweise von DDR-Verlagen und deren Lektorat zu. Hier verlief das Lektorat anders als drei Jahre zuvor im Altberliner Verlag Lucie Groszer, die den verlegerischen Grundstein für den Erfolg von Die Söhne der großen Bärin legte.


Reiselektüre? Mir diesem schmalen Büchlein von 103 Seiten könnte man sich auf eine Literaturreise begeben. Doch hüte man sich vor Überanstrengung: Die Wege, die Karl Unteregger von Bozen kommend über Tiers zur Kölner Hütte zu Fuß zurücklegt, sind steil, steinig und lang, auch wenn es nur 33 km und ein kleines steiles Stück aufwärts bis zur Kölner Hütte sind. Sagt Google Maps. Der Weg von Tiers über die Grasleitenhütte die Gartlhütte, vorbei an den Vajolet-Türmen zur Kölner Hütte dürfte bei schönem Wetter und Übernachtung machbar sein, ein wenig Übung voraus gesetzt.

In den Pausen prüft man bei einer tirolerischen Brotzeit mit einem Viertel Roten, Brot und Speck die Landschaftsbeschreibungen von Liselotte Welskopf-Henrich, die sie vor knapp siebzig Jahren verfasste.

© Uwe Rennicke
  • Hinweis zu Bundesarchiv: Die Dokumente entstammen dem Bundsarchiv – Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
  • Abgebildet sind Auszüge aus den Druckgenehmigungen, einer mehrseitigen Akte, welche im Laufe der Zeit verschiedenen Behörden vorgelegt werden musste.
  • DNB / Palisander Verlag / Chemnitz 2015 / ISBN: 978-3-938305-94-2 / 103 S.
  • Rezension Litterae Artesque

© UR, 18.09.2020