Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & Kerstin Groeper

Liselotte und ich

Gedanken zum 120 Geburtstag einer tollen Autorin

Kerstin Groeper

Sie gehen mir nie aus dem Kopf: Die Geschichten um Harka – Inyan-he-yukan – Tokei-Itho und sein Volk. Was habe ich diese Bücher geliebt! Als Kind war ich stets „Uinonah“, wenn wir Indianer gespielt haben. Neben unserer Neubausiedlung gab es ein paar Felder und mitten drin ein paar hohe Laubbäume, unter denen wir immer unser Lager aufschlugen. Heute steht dort die Feuerwache München-Obermenzing. Aber damals gruben wir Kartoffeln aus, pflückten Maiskolben und verbrachten den ganzen Sommer unter diesen Bäumen, um „Harka“ zu spielen – am liebsten die Geschichte, in der er als junger Häuptling über den Missouri flüchtet. Die Soldaten stellten wir uns vor – und gingen vor eingebildeten Kugeln in Deckung. Manchmal durfte einer der Jungen der Schwarzfußhäuptling Donner-vom-Berge sein, den wir dann gefangen nahmen. Selbstverständlich wechselte er auf unsere Seite und unterstützte uns im Kampf gegen die Soldaten. Manchmal heiratete ich ihn auch und meine Puppe – in eine selbstgebastelte indianische Wiege gebettet – war unser Baby. Ich war überhaupt recht geschickt, wenn es darum ging, meine Stammesmitglieder mit fantasievoller Kleidung auszustatten. Stirnbänder wurden gehäkelt, Lendenschurze aus rotem Stoff geschnitten und Mokassins aus Lederresten genäht. Sie hielten nur nie recht lange. Doch an den Geschmack der Kartoffeln, die wir im Feuer garten, erinnere mich heute noch. An meine Verletzung am Arm, die ich erhielt, als Donner-am-Berge doch mal die Flucht gelang, erinnere ich mich auch. Wir hatten Harald, den Sohn des Hausmeisters, gefangengenommen, als er unser Lager ausspähte, und meine Stammesbrüder hatten vergessen, ihm das Messer abzunehmen. Nachdem wir nicht so viele Kinder waren, musste ich auf ihn aufpassen – war aber auch mit dem Feuerhüten beschäftigt. Als ich ein Geräusch hinter mir hörte, wirbelte ich herum – und bekam das Messer in den Arm. Donner-am-Berge wollte eigentlich an mir vorbeistechen – und hatte nicht mit meiner schnellen Bewegung gerechnet. Was tun? Das schöne Spiel unterbrechen und nach Hause gehen? Das kam gar nicht in Frage! Harald versorgte meine Wunde mit einem Taschentuch und einem Stück Schnur – wurde von den Männern meines Stammes wieder überwältigt, als sie von der „Jagd“ zurückkehrten, und schließlich als „Blutsbruder“ aufgenommen, weil er nicht geflohen, sondern mir geholfen hatte. Die Blutsbrüderschaft wurde tatsächlich mit einem Messer vollzogen.

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