Interview mit Dr. Rudolf Welskopf

Liselotte Welskopf-Henrich und Rudolf Welskopf

Ein Interview des Literaturblogs Litterae-Artesque mit Dr. Rudolf Welskopf.

Als DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN erstmals veröffentlicht wurden, waren Sie ungefähr drei Jahre alt. Ab wann trat die Geschichte in Ihre Kindheit?

Ich kannte meine Mutter, seit ich mich an sie erinnern kann, als eine viel arbeitende Frau, im Beruf (Humboldt-Uni) und auch zu Hause. An mehreren Tagen in der Woche war eine private Sekretärin da, die sauber abschrieb, Korrespondenz und Ablage erledigte. Was die „Söhne…“ betrifft, beeindruckte mich zuerst der Schutzumschlag mit dem heldischen Tokei-ihto. Vorgelesen hat meine Mutter mir daraus nicht, vermutlich hielt sie mich im Vorschulalter noch nicht reif genug dafür. Aber sobald ich lesen konnte, habe ich natürlich darin geschmökert, etwa ab 6-7 Jahre.

Liselotte Welskopf-Henrich hat später das Märchen vom Steinknaben veröffentlicht. DIE LIEDER DER ALTEN DAKOTA muss sie gekannt haben. Hat sie Ihnen diese Geschichten erzählt?

Daran kann ich mich nicht erinnern. 

Auf den Wunsch vieler Leser hat Frau Welskopf-Henrich die Geschichte der Bärensöhne „fortgeschrieben“. Das heist, sie hat die Vorgeschichte erzählt. Hatten Sie vielleicht einen gewissen Einfluss darauf?

Sie hat berichtet, dass die „Vorgeschichte“ schon lange roh fertig war, aber auf Grund der Schwierigkeiten, überhaupt dieses Thema zu veröffentlichen, hat sie es nur mit dem 3. Band (nach damaliger Zählung) ernsthaft versucht. Irgendwann „nervte“ ich sie aber mit dem Wunsch nach mehr Abenteuergeschichten. Da hatte ich schon einige Karl-May-Bände gelesen und wollte auch von Harka/Tokei-ihto mehr erfahren. Da die „Söhne…“ nun schon ein Bestseller geworden waren, war es kein Problem mehr, die Geschichte von Harkas Kindheit an zu publizieren. Da begann sie mir auch aus dem Manuskript, dass sie für die Veröffentlichung überarbeitete, vorzulesen.

In Erik Lorenz´ Biografie kann man lesen, dass ihr die filmische Umsetzung der Bärensöhne nicht sehr gefallen hat. Haben sie im Kreis der Familie über den Film diskutiert? Sie selbst waren da ja bereits 20 Jahre alt.

Meine Mutter war von der DEFA tief enttäuscht. Die hatten ja leider von der Materie keine Ahnung. Nach dem Drehbuch ließen sie bei der Umsetzung meine Mutter außen vor. Das Ergebnis stellte sie überhaupt nicht zufrieden. Sie zog ihren Namen als Drehbuch(mit-)Autorin zurück, so dass es nur noch hieß „Nach Motiven des Romans…“ . Außerdem führte sie ihre Gallenerkrankung auf den Ärger mit der DEFA zurück. Die Mitarbeit an weiteren Indianerfilmen bzw. die Verfilmung weiterer ihrer Romane lehnte sie strikt ab. Rückblickend würde ich sagen, dass die Erwartungen an die DEFA sicherlich zu hoch waren. Selbst in den USA gab es ja zu der Zeit erst wenige gute Filme dieses Genres. Gojko Mitic war zu der Zeit wohl auch noch mehr Stuntman und kein erfahrener Schauspieler, er hat sich seitdem sehr weiterentwickelt.

Prof. Dr. Liselotte Welskopf-Henrich hatte ja auch wissenschaftlich ein umfangreiches Werk zu bewältigen. Wann schrieb sie denn ihre Romane? Mussten Sie dann vielleicht besonders auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer schleichen?

Ja. … Die Schriftstellerei war Nebenberuf; ihren „Hauptberuf“ nahm sie sehr ernst. Die Alte Geschichte war wie viele akademische Disziplinen damals noch eine Männerdomäne, in der sie sich durchsetzen musste. Aber nach eigenen Worten war sie „unglaublich hartnäckig“. Wenn sie die Romane schrieb, geschah das vorwiegend nachts. In den 50ern, als vieles gleichzeitig lief, aß sie sogar Kaffeesatz, um sich wach zu halten. 
Nachdem meine Mutter sich als Althistorikerin etabliert hatte, hat sie einer ganzen Reihe von fleißigen und wissenschaftlich begabten jungen Frauen (nicht nur) den Weg geebnet. Als es dann einmal vorübergehend keine adäquaten Einstellungsmöglichkeiten an Universität oder Akademie gab, hat sie sie sogar privat beschäftigt mit Zuarbeiten für ein großes internationales wissenschaftliches Werk („Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt“). Ohne Computer war das mit viel „Handarbeit“ verbunden. Da kam sogar einmal das Finanzamt zur Prüfung, ob sie von den MitarbeiterInnen sich die Indianerbücher schreiben ließe. Eine wahre Anekdote, die das Leben so schrieb.

Ab 1963 durfte Ihre Mutter mehrfach in die USA und nach Kanada reisen. Haben diese Reisen ihr eigenes Bild von den Indianergruppen, die sie beschrieb, geändert?

Ich glaube schon. So differenziert, auch in dem Sinne von Korruption und Mord und Totschlag, aber eben auch von Aufbegehren und Widerstand, konnte man das vorher und von Außen wohl nicht sehen. Ender der 60er und Anfang der 70er war ja in den Staaten überhaupt eine sehr aufgeregte Zeit. Kennedy war ermordet worden, Studenten protestierten, Black Panther… Sie war ja offiziell zu Gast an Universitäten (Reisen im Hauptberuf), ging auch zu Studenten-Demos. Ein Redner rief auf: „Ihr müsst euch alle Guns kaufen!“. Da verkrümelte sie sich lieber…

Wie hat sie von den Reisen berichtet? Tat sie dies vielleicht auch öffentlich?

Ja auf Lesungen, bei der/den Interessengemeinschaft(en) für Indianistik in der DDR, auch gelegentlich in Pressebeiträgen.

Die ersten drei Bücher der Pentalogie DAS BLUT DES ADLERS entstanden bereits zwischen 1966 und 1969. Hatte sie vor den Reisen schon den Gedanken an eine Fortsetzung der BÄRENSÖHNE? 

Meine Mutter hatte diese Romane nicht geplant. Sie war einfach neugierig darauf, wie die Indianer zu der Zeit lebten. Ihre Eindrücke und Erlebnisse bewegten sie nach den Reisen zur „Verarbeitung“ in den Romanen.

Heute sind Sie der Botschafter der Geschichten von Frau Liselotte Welskopf-Henrich. Was oder welches Thema liegt Ihnen dabei besonders am Herzen? 

Da ich – nicht zuletzt erfreulicherweise für neue Auflagen und Ausgaben, demnächst auch als ebook – immer wieder häufig und gründlich die Bücher lese, zu allererst eines: Die Romane sind große Literatur, sie sind Epen. Meine Mutter ist bei den alten Griechen, ich scheue mich nicht zu sagen, bei Homer, in die Lehre gegangen. Sie konnte ja auch die ersten Verse der Ilias auswendig hersagen. Harka – Tokei-ihto: vom Jungen zum Mann, vom Mann zu Helden. Dass dabei etwas überhöht wird, seine Kräfte manchmal übermenschlich erscheinen, das gehört dazu. Es ist ja keine Reportage, wohlgemerkt kein Tatsachenroman, aber auf Tatsachen basierend. Das ist das erste; das zweite: hört den Indianern selbst zu, lasst sie selbst ihre Geschichten erzählen und auch verfilmen. Das dritte: die USA, dieser Vorreiter der Menschenrechte, sind geboren aus einem Genozid, der bis vor 50 Jahren andauerte. Man denke an die Sterilisationen…

In einem Interview haben Sie auf die Frage: „Wie war ihre Mutter als Mutter?“ mal gesagt: „Je, wenn sie Zeit hatte und für den Sohn da war, war sie eine sehr intensive Mutter.“ Vielleicht können Sie dies noch ein wenig umreißen?

Ja, wenn sie Zeit hatte, und auch im gemeinsamen Urlaub, ließ sie sich ganz auf mich ein, wir spielten, wir fantasierten Geschichten zusammen… Zur Zeit meiner Kindheit dachte sie sich auch für mich Märchen aus und schrieb sie dann nieder für die Veröffentlichung. Nicht nur den Steinknaben, auch die Weltreise der „Drei Wassertropfen“ und andere.

Zum Schluss: Kennen Ihre Kinder (?) und Enkel (?) die Bücher? Lesen diese sie auch?

Mein Sohn kennt sie natürlich, er betreibt auch die facebook-Seite „Liselotte Welskopf-Henrich“. Der Enkel ist gerade erst 2 Jahre alt.

Und ganz zum Schluss: Haben Sie als Kind Indianer gespielt?
Nein, eigentlich nicht. Das Thema war irgendwie zu ernst. Habe natürlich mit Spielkameraden irgendwelche Bandenkriege gespielt, aber nicht in den Rollen Cowboy/Indianer.

© UR (NZ, 09.05.2021)

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