Kath in der Prärie (Kurzgeschichte)

Ein Mädchen auf dem Weg inmitten von Rauhreitern, Scouts und Soldaten in der Prärie. Eine Munitionskolonne soll in das Fort am Niobrara gebracht werden. Dort möchte Kath ihren Vater treffen, einen älterern weißhaarigen Major der US-Armee mit Namen Smith. Mit dabei ist ein Leutnant Roach, der als Verlobter des Mädchens gilt, welches bisher von ihrer Tante Betty, einer wohlhabenden Witwe, erzogen wurden ist.
Die Munitionskolonne wird von einer Dakota-Abteilung überfallen, die ein gewisser Tokei-ihto führt. Die Auseinandersetzungen mit der US-Armee werden häufiger, da inzwischen der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten beendet wurde. Wir befinden uns in der Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, genauer im Jahr 1876, dem Jahr der Indianerschlacht am Litte Bighorn.

Kath trifft auf ein paar Männer, die im Laufe der Geschichte eine Rolle spielen werden. Da ist der Farmerssohn Adam Adamson, der Geld braucht, um das Land seines Vaters vor den großen Grundstücksgesellschaften zu retten, die die Hand nach dem mittleren Westen ausstrecken. Da sind Thomas & Theo, gutmütige Zwillinge, ehemalige Biberjäger, Fallensteller und Cowboys, der etwas weichherzige Tom sowie ein Händler und Schmuggler, der zahnlose Ben. Die alten Grenzer erzählen ihr von ihrem nicht leichten Leben im Grenzland. Erwähnt werden die Goldsucher und auch ein Indianeraufstand in Minnesota im Jahre 1962.

Während des Überfalls übernimmt Kath die Zügel eines Wagens und fährt allein in die Prärie hinaus, bis ein hoch gewachsener schlanker Indianer auf einem Falbhengst vor ihr auftaucht. Kurz darauf kommt es zum Schusswechsel zwischen dem „Roten“ und Bloody Bill, der beim Mord am Vater des Indianers dabei gewesen war. Tokei – ihto geht aus dem Zweikampf siegreich hervor und bringt die junge Frau in die Nähe des Forts, wo Thomas und Theo sie treffen und in das Fort begleiten, bis dort der Ruf ertönt: „Roter reitet an die Station heran!“


Soweit zu der „Indianer“-Geschichte für Kinder, die im Jahre 1956 im Altberliner Verlag Lucie Groszer herausgegeben wurde. Sie befindet sich in Heft 3 der Bären-Lese-Hefte. Auf der letzten Seite befindet sich der Hinweis, dass die weiteren Erlebnisse von Kath im Buch „Die Söhne der großen Bärin“ zu finden ist.

Jedoch findet sich die Geschichte, die im Heft erzählt wird, weder in der Erstausgabe (1951) des erwähnten Romans und auch nicht in der von 1958. Liselotte Welskopf- Henrich hat sie aber später in der dreibändigen (letzter Band) bzw. im im fünften Band Der junge Häuptling der sechsbändigen Ausgabe des Romans aufgenommen.

Liest man dort das Kapitel Cate in der Prärie, sind den Rezipienten der Pentalogie bereits alle Figuren bekannt. Kath/Cate, ihr Vater, Tante Betty und selbst der spätere Leutnant Roach treten erstmals im zweiten Band Der Weg in die Verbannung auf. Kath besucht eine Zirkusvorstellung , in der Harka / Harry, der spätere Tokei – itho und sein Vater Mattotaupa auftraten, es war deren letzte Vorstellung. Sie hat den jungen Häuptling also bereits gesehen, woran sie sich aber nicht erinnern wird.

Im Fort. Szenenbild

Auch die anderen Romanfiguren sind dann schon bekannt. Die wichtigsten sind Adam Adamson und Thomas & Theo. Der alte Adamson war vor Jahren Händler und verkaufte auch Waren einschließlich alter Waffen an Indianer und kaufte zum Beispiel Felle von den Jägern Thomas & Theo. Diese beiden lernte der junge Harka steinhart Nachtauge auf einem Jagdausflug mit seinem Freund Stark wie ein Hirsch kennen. Diese Begebenheiten finden wir im Band 3 – Der Weg in die Verbannung.

Im Film Die Söhne der Großen Bärin hingegen, bringt der junge Häuptling die junge Frau direkt in in das Fort.


Kath in der Prärie ist ein Beispiel dafür, dass Liselotte Welskopf-Hernrich zeitnah nach der Erstveröffentlichung ihres ersten Romans über die „Bärensöhne“ und Tokei – itho in Fragmenten die Vorgeschichte anlegte. Ob die Autorin dabei bereits im Sinn hatte, die Kinder Kath und Harka aufeinandertreffen zu lassen, bleibt unbekannt. Auf jeden Fall gab sie einen Ausblick auf mögliche Fortsetzungen.

Antrag auf Druckgenehmigung des Alberliner Verlages [1]

Der Altberliner Verlag verweist im Jahr 1954 auf die Ergänzung in seinem Druckantrag und betont dabei, dass „die entschlossene Härte der Kampfführung von Seiten der Indianer ihre Ritterlichkeit nicht ausschließt.“

© UR – 23.12.2021

Drei Wassertropfen (Kinderbuch)

Hüdor, Akwa und Oo heißen die drei Wassertropfen mit denen Liselotte Welskopf Henrich im Jahr 1954 ihren jungen Lesern den Kreislauf des Wassers erklärte. Das seien merkwürdige Namen, doch erst sollten die Kinder die Geschichte lesen, woher die Namen kommen, wolle sie am Ende erklären.

Zwölf Abenteuer erleben die drei Freunde in dem schmalen bunt bebilderten Kinderbuch. Zuerst wohnen sie im tiefen dunklen Meer, nichts ist da zu sehen, nur ganz wenige Fische wagen sich bis auf viertausend Meter tief hinab. Aber dann spült sie ein Seebeben in helle grüne Wasserschichten, wo höchstens ein Tintenfisch mal für Dunkelheit sorgt. Viele bunte Fische sehen Hüdor, Akwa und Oo jetzt, die Fische sehen auch alle unterschiedlich aus.

Im zweiten Abenteuer erleben sie einen Sturm und geraten einem alten Steuermann auf einem Schiff zwischen die Lippen, doch Salzwasser mag der Alte nicht und spuckt sie wieder aus. Der Sturm spült sie im dritten Abenteuer an den Strand. Da ist es sehr warm und die Sonne sorgt dafür, dass die drei als feiner Wasserdampf in den Himmel aufsteigen. An einem großen Berg bleibt im fünften Abenteuer die Wolke hängen und mit dem Regen kommen die drei Wassertropfen wieder auf die Erde zurück. In einem schnellen Fluss wandern sie weiter. Das sechste Abenteuer beinhaltet eine Überschwemmung, es ist eine Art Sintflut mit der die Menschen bestraft werden, die einen riesigen Wald abgeholzt haben. In einem Boot sitzt eine Mutter mit ihrem Töchterchen. Das Mädchen möchte trinken, aber die Mutter sagt ihr, dass dieses Wasser nun sehr schmutzig ist und jeder Wasser Tropfen unzählige Bakterien beinhaltet. Hüdor, Akwa und Oo wissen, dass die Mutter recht hat. Mit dem Fluss schwimmen sie wieder ins Meer.

Im siebenten Abenteuer verursachen sie das Meeresleuchten und treffen einen Delphin. Die Strömungen treiben sie mit Milliarden und Billionen Wassertropfen ins Eismeer. Dort treffen die drei im achten Abenteuer auf ein Walross auf einem Eisberg und auf eine Eisbärenfamilie. Die helfen ihnen, nicht zu Eis zu werden. Im neunten Abenteuer kommt der Winter und sie werden zu Schnee. Dann wurden sie doch zu Eis und das gleich für einige Jahre. Im zehnten Abenteuer treffen sie in einem Fluss auf Menschen, die Bäume pflanzen.

Das elfte Abenteuer lässt sie eine Apfelsinenwurzel treffen, so kommen sie in eine Apfelsine und werden von Anne gepflückt. Anna verschickt im zwölften Abenteuer die Apfelsine in die Welt. Drei Kinder teilen sich die Frucht und so werden Hüdor, Akwa und Oo getrennt.

Was aber bedeuten nun die drei Namen? Die Autorin erklärt, das „Hüdor“ ein griechisches, „Aqua“ ein lateinisches und „Eau“ ein französisches Wort sind, alle drei bedeuten Wasser.


Ein buntes Kinderbuch liegt vor mir mit schönen kindgerechten Zeichnungen vom Charlotte Braasch. Das Buch kam im Altberliner Verlag von Luzie Groszer heraus. Die Verlegerin hatte drei Jahre zuvor dafür gesorgt, dass die Erstausgabe von die Söhne der großen Bärin gedruckt werden konnte. Im selben Jahr brachte der Kinderbuchverlag Berlin ein weiteres Buch heraus. Hans und Anna hieß der Band aus der Robinson-Reihe des Verlages.

Drei Wassertropfen ist sehr kindgerecht geschrieben, Welskopf-Henrich erklärt auf einfache und anschauliche Art und Weise den Wasserkreislauf der Erde. Modern erscheint förmlich der Hinweis auf den Naturraubbau der Menschen durch das Abholzen von Wäldern, wobei eine Art „Bestrafung“ durch die anschließende Überschwemmung an die Sintflut erinnert. Diese Metapher (Bestrafung), passt an sich nicht zu Welskopf-Henrich. Der gesamte Text, der nur dreimal die Beziehungen der Menschen zum Element Wasser aufnimmt, lässt den Leser hier aufmerken. Die exzessive Einwirkung auf und in die Natur und deren Folgen hätte die Autorin auch als gesellschaftlich bedingt beschreiben können, zumal sie ja einige Kapitel weiter hinten die Aufforstung durch die Menschen ausdrücklich positiv erwähnt. Jedoch kann angenommen werden, dass vor siebzig Jahren der Begriff Bestrafung weniger hinterfragt wurde und Kinder damit durchaus aufwuchsen, Sanktionen nach fehlerhaften Verhalten waren auch in deren Umsetzung durchaus Bestrafung.

Wassertropfen – Wald

Seltsamerweise hat die Illustratorin hier ein Bild mit Indianern an einem Fluss eingefügt, genau an der Stelle, da es um den Raubbau geht. War das ein Hinweis auf den ersten Roman, den die Autorin bereits 1951 endlich veröffentlicht sah?

Welskopf Henrich hatte sich damals für ihren Sohn Märchen und Geschichten ausgedacht, die sie niederschrieb und später veröffentlichte. Die Wassertropfen erwähnte Dr. Rudolf Welskopf im Interview.

Ein Rückblick in die Kindheit sind solche Bücher, sowohl für Eltern als auch schon für deren Eltern. Uns liegt hier kein Bilderbuch sondern ein illustriertes Kinderbuch vor, für das ebenso gilt, was Ulrike Preußer in Hinblick auf die Vorlese- / Lesesituation von Eltern und Kindern erwähnt:

Eltern übernehmen beim Lesen oder Vorlesen verschiedene Funktionen. Sie sind kompetente Erzähler, Figureninterpreten und Kommentatoren gleichzeitig. Sie sind Dialogpartner, emotionaler Bezugspunkt des lesenden / vorlesenden Kindes, explizierte Erklärer und Interpreten und auch Modell für Verstehenschwierigkeiten *

Das gilt vermutlich insbesondere für die Lese- und Vorlesesituation in der Familie Welskopf ebenso, zumal Liselotte Welskopf-Henrich als Dozentin an der Humboldt-Universität beschäftigt war. Ihre politisch-gesellschaftlichen Ansichten wurden dabei vermittelt. In den vorliegenden Drei Wassertropfen am Beispiel von Natur und Umwelt, in Hans und Anna vor allem in Hinsicht auf die von Welskopf-Henrich vertretene sozialistische Gesellschaftsordnung und die Lebensverhältnisse von Kindern und Erwachsenen, in verschiedenen Epochen.

Nach rund siebzig Jahren kann man das Buch gleichermaßen mit Kindern lesen. Es scheint, dass in fünfziger und sechziger Jahren mehr versucht wurde, komplexe Themen schon Grundschülern nahe zu bringen, das gilt für Natur gleichermaßen wie gesellschaftliche Verhältnisse. Liselotte Welskopf-Henrich ist dafür, obwohl keine professionelle Kinderbuchautorin, profundes Beispiel. Die Buchproduktionen wurden unter DDR-Verhältnissen auch genau darauf überprüft, was eine Menge inhaltlich hochwertiger Bücher einerseits und ideologisch übermäßig beeinflusste Werke andererseits hervorbrachte. Auswirkungen solcher Art kann man an der Novelle der Bergführer von Welskopf-Henrich beobachten.

Wassertropfen – Umwelt

Die neun ganzseitigen Illustrationen von Charlotte Braasch sind sehr farbenfroh dem Text (bis auf das oben bereits erwähnte Beispiel) angepasst. Besonderes berührend hier das Bild zum Thema Überschwemmung, das die Mutter mit dem Mädchen im mit den geretteten Gegenständen aus einem der im Hintergrund zu sehenden überschwemmten Häusern. Auch wird hier die Aktualität des Themas Mensch und Umwelt noch einmal deutlich.

Die große Schrift ist für das Lesen gerade lernende Kinder gut geeignet.

  • DNB / Altberliner Verlag / Berlin 1954 / 2. Auflage 1959 / 36 Seiten

© UR – 07.11.2021

Interview mit Dr. Rudolf Welskopf

Liselotte Welskopf-Henrich und Rudolf Welskopf

Ein Interview des Literaturblogs Litterae-Artesque mit Dr. Rudolf Welskopf.

Als DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN erstmals veröffentlicht wurden, waren Sie ungefähr drei Jahre alt. Ab wann trat die Geschichte in Ihre Kindheit?

Ich kannte meine Mutter, seit ich mich an sie erinnern kann, als eine viel arbeitende Frau, im Beruf (Humboldt-Uni) und auch zu Hause. An mehreren Tagen in der Woche war eine private Sekretärin da, die sauber abschrieb, Korrespondenz und Ablage erledigte. Was die „Söhne…“ betrifft, beeindruckte mich zuerst der Schutzumschlag mit dem heldischen Tokei-ihto. Vorgelesen hat meine Mutter mir daraus nicht, vermutlich hielt sie mich im Vorschulalter noch nicht reif genug dafür. Aber sobald ich lesen konnte, habe ich natürlich darin geschmökert, etwa ab 6-7 Jahre.

Liselotte Welskopf-Henrich hat später das Märchen vom Steinknaben veröffentlicht. DIE LIEDER DER ALTEN DAKOTA muss sie gekannt haben. Hat sie Ihnen diese Geschichten erzählt?

Daran kann ich mich nicht erinnern. 

Auf den Wunsch vieler Leser hat Frau Welskopf-Henrich die Geschichte der Bärensöhne „fortgeschrieben“. Das heist, sie hat die Vorgeschichte erzählt. Hatten Sie vielleicht einen gewissen Einfluss darauf?

Sie hat berichtet, dass die „Vorgeschichte“ schon lange roh fertig war, aber auf Grund der Schwierigkeiten, überhaupt dieses Thema zu veröffentlichen, hat sie es nur mit dem 3. Band (nach damaliger Zählung) ernsthaft versucht. Irgendwann „nervte“ ich sie aber mit dem Wunsch nach mehr Abenteuergeschichten. Da hatte ich schon einige Karl-May-Bände gelesen und wollte auch von Harka/Tokei-ihto mehr erfahren. Da die „Söhne…“ nun schon ein Bestseller geworden waren, war es kein Problem mehr, die Geschichte von Harkas Kindheit an zu publizieren. Da begann sie mir auch aus dem Manuskript, dass sie für die Veröffentlichung überarbeitete, vorzulesen.

In Erik Lorenz´ Biografie kann man lesen, dass ihr die filmische Umsetzung der Bärensöhne nicht sehr gefallen hat. Haben sie im Kreis der Familie über den Film diskutiert? Sie selbst waren da ja bereits 20 Jahre alt.

Meine Mutter war von der DEFA tief enttäuscht. Die hatten ja leider von der Materie keine Ahnung. Nach dem Drehbuch ließen sie bei der Umsetzung meine Mutter außen vor. Das Ergebnis stellte sie überhaupt nicht zufrieden. Sie zog ihren Namen als Drehbuch(mit-)Autorin zurück, so dass es nur noch hieß „Nach Motiven des Romans…“ . Außerdem führte sie ihre Gallenerkrankung auf den Ärger mit der DEFA zurück. Die Mitarbeit an weiteren Indianerfilmen bzw. die Verfilmung weiterer ihrer Romane lehnte sie strikt ab. Rückblickend würde ich sagen, dass die Erwartungen an die DEFA sicherlich zu hoch waren. Selbst in den USA gab es ja zu der Zeit erst wenige gute Filme dieses Genres. Gojko Mitic war zu der Zeit wohl auch noch mehr Stuntman und kein erfahrener Schauspieler, er hat sich seitdem sehr weiterentwickelt.

Prof. Dr. Liselotte Welskopf-Henrich hatte ja auch wissenschaftlich ein umfangreiches Werk zu bewältigen. Wann schrieb sie denn ihre Romane? Mussten Sie dann vielleicht besonders auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer schleichen?

Ja. … Die Schriftstellerei war Nebenberuf; ihren „Hauptberuf“ nahm sie sehr ernst. Die Alte Geschichte war wie viele akademische Disziplinen damals noch eine Männerdomäne, in der sie sich durchsetzen musste. Aber nach eigenen Worten war sie „unglaublich hartnäckig“. Wenn sie die Romane schrieb, geschah das vorwiegend nachts. In den 50ern, als vieles gleichzeitig lief, aß sie sogar Kaffeesatz, um sich wach zu halten. 
Nachdem meine Mutter sich als Althistorikerin etabliert hatte, hat sie einer ganzen Reihe von fleißigen und wissenschaftlich begabten jungen Frauen (nicht nur) den Weg geebnet. Als es dann einmal vorübergehend keine adäquaten Einstellungsmöglichkeiten an Universität oder Akademie gab, hat sie sie sogar privat beschäftigt mit Zuarbeiten für ein großes internationales wissenschaftliches Werk („Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt“). Ohne Computer war das mit viel „Handarbeit“ verbunden. Da kam sogar einmal das Finanzamt zur Prüfung, ob sie von den MitarbeiterInnen sich die Indianerbücher schreiben ließe. Eine wahre Anekdote, die das Leben so schrieb.

Ab 1963 durfte Ihre Mutter mehrfach in die USA und nach Kanada reisen. Haben diese Reisen ihr eigenes Bild von den Indianergruppen, die sie beschrieb, geändert?

Ich glaube schon. So differenziert, auch in dem Sinne von Korruption und Mord und Totschlag, aber eben auch von Aufbegehren und Widerstand, konnte man das vorher und von Außen wohl nicht sehen. Ender der 60er und Anfang der 70er war ja in den Staaten überhaupt eine sehr aufgeregte Zeit. Kennedy war ermordet worden, Studenten protestierten, Black Panther… Sie war ja offiziell zu Gast an Universitäten (Reisen im Hauptberuf), ging auch zu Studenten-Demos. Ein Redner rief auf: „Ihr müsst euch alle Guns kaufen!“. Da verkrümelte sie sich lieber…

Wie hat sie von den Reisen berichtet? Tat sie dies vielleicht auch öffentlich?

Ja auf Lesungen, bei der/den Interessengemeinschaft(en) für Indianistik in der DDR, auch gelegentlich in Pressebeiträgen.

Die ersten drei Bücher der Pentalogie DAS BLUT DES ADLERS entstanden bereits zwischen 1966 und 1969. Hatte sie vor den Reisen schon den Gedanken an eine Fortsetzung der BÄRENSÖHNE? 

Meine Mutter hatte diese Romane nicht geplant. Sie war einfach neugierig darauf, wie die Indianer zu der Zeit lebten. Ihre Eindrücke und Erlebnisse bewegten sie nach den Reisen zur „Verarbeitung“ in den Romanen.

Heute sind Sie der Botschafter der Geschichten von Frau Liselotte Welskopf-Henrich. Was oder welches Thema liegt Ihnen dabei besonders am Herzen? 

Da ich – nicht zuletzt erfreulicherweise für neue Auflagen und Ausgaben, demnächst auch als ebook – immer wieder häufig und gründlich die Bücher lese, zu allererst eines: Die Romane sind große Literatur, sie sind Epen. Meine Mutter ist bei den alten Griechen, ich scheue mich nicht zu sagen, bei Homer, in die Lehre gegangen. Sie konnte ja auch die ersten Verse der Ilias auswendig hersagen. Harka – Tokei-ihto: vom Jungen zum Mann, vom Mann zu Helden. Dass dabei etwas überhöht wird, seine Kräfte manchmal übermenschlich erscheinen, das gehört dazu. Es ist ja keine Reportage, wohlgemerkt kein Tatsachenroman, aber auf Tatsachen basierend. Das ist das erste; das zweite: hört den Indianern selbst zu, lasst sie selbst ihre Geschichten erzählen und auch verfilmen. Das dritte: die USA, dieser Vorreiter der Menschenrechte, sind geboren aus einem Genozid, der bis vor 50 Jahren andauerte. Man denke an die Sterilisationen…

In einem Interview haben Sie auf die Frage: „Wie war ihre Mutter als Mutter?“ mal gesagt: „Je, wenn sie Zeit hatte und für den Sohn da war, war sie eine sehr intensive Mutter.“ Vielleicht können Sie dies noch ein wenig umreißen?

Ja, wenn sie Zeit hatte, und auch im gemeinsamen Urlaub, ließ sie sich ganz auf mich ein, wir spielten, wir fantasierten Geschichten zusammen… Zur Zeit meiner Kindheit dachte sie sich auch für mich Märchen aus und schrieb sie dann nieder für die Veröffentlichung. Nicht nur den Steinknaben, auch die Weltreise der „Drei Wassertropfen“ und andere.

Zum Schluss: Kennen Ihre Kinder (?) und Enkel (?) die Bücher? Lesen diese sie auch?

Mein Sohn kennt sie natürlich, er betreibt auch die facebook-Seite „Liselotte Welskopf-Henrich“. Der Enkel ist gerade erst 2 Jahre alt.

Und ganz zum Schluss: Haben Sie als Kind Indianer gespielt?
Nein, eigentlich nicht. Das Thema war irgendwie zu ernst. Habe natürlich mit Spielkameraden irgendwelche Bandenkriege gespielt, aber nicht in den Rollen Cowboy/Indianer.

© UR (NZ, 09.05.2021)

Der Steinknabe

Großeltern erzählen Märchen. Ein indianisches Märchen erzählt Untschida, das Großmüttcherchen, den Kindern Mattotaupas in Die Söhne der Großen Bärin. Mehrfach wird die Geschichte im Roman erwähnt. Ähnliches kommt in Das Blut des Adlers vor. Liselotte Welskopf- Henrich hat das Märchen erstmals 1952 in einem separaten Kinderbuch erzählt. Kindergeschichten erfand sie für ihren Sohn Rudolf, der dies in einem Interview erwähnte. Jahre später erst verwendete sie den Stoff wieder, wenn es um die Kinder der Familien , die sie beschrieb, ging.

„In uralter Zeit lebte in Amerika das Indianermädchen Hiladih. Hiladih ist ein schöner Name, er bedeutet ‚reine Quelle‘. Hiladih wohnte mit ihren zehn Brüdern in einem tiefen Wald. Des Morgens früh, wenn die Sonne aufging, badete Hiladih im klaren Bach, und die Drossel sang ein Lied dazu. Auf der Wiese am Bach stand das Mädchen und flocht ihr schwarzes Haar in zwei lange Zöpfe.“

LWH – Der Steinknabe – Seite 6

So beginnt das Märchen in dem schmalen, bunt bebilderten Kinderbuch des Eulenspiegel-Kinderbuchverlages. Eines Tages sind die zehn Brüder des Mädchens verschwunden. Hiladih sucht sie und findet schon ziemlich verzagt einen schönen bunten Kiesel am Bachufer. Diesen nimmt sie mit, drückt ihn an ihr Herz und so wurde aus ihm „Steinknabe“. Steinknabe findet als er älter wird auch die zehn Brüder wieder. Nun stellt der Bursche fest, dass er unverwundbar ist und so wird die Jagd sein ein und alles. 

„Der Wolf konnte ihn nicht beißen. Mato, der Bär, hatte zwar starke Tatzen mit großen Krallen und vermochte einen Mann niederzuschlagen, aber dem Steinknaben konnte er nichts anhaben. Wenn der Büffel Tatanka den Steinknaben auf die Hörner nahm und durch die Luft auf den Boden warf, so lachte der Steinknabe nur und stand wieder auf. Steinknabe wurde immer übermütiger, weil kein Tier ihn besiegen konnte. Er tötete nicht nur die Tiere, deren Fleisch er mit seiner Mutter und seinen Onkeln zum Essen brauchte. Er tötete alle Tiere, die er im Wald und auf den Wiesen fand.“

LWH – Der Steinknabe – Seite 14

Doch die Tiere, die ja nach dem Glauben der Indianer auch eine Seele haben, verbünden sich gegen den unerbittlichen Jäger, der am Ende das wird was er ist: Ein STEINKNABE.

Eine ähnliche Geschichte erzählt Zitkala-Ša in Roter Vogel erzählt. [1] Im Kinderbuch ist die Figur des Steinknaben  negativ besetzt. Eine einsame Frau spricht viele Gebete zum Volk der Wakan (Geheimnis). Sie hatte in ihrer Hütte einen schwarzen Stein zum Messerschärfen und Felle gerben. Eines Tages war der Stein fort. An seiner Stelle lag in Baby auf einem Luchsfell.

Der Junge wurde ein guter Jäger, der schon oft die Mutter von deren vier Brüdern erzählen hörte. Mit fünfzehn Jahren machte sich der Steinknabe auf den Weg um sie zu suchen. Auf dem Weg begegnet er einem Grizzly, einem alten Großvater ohne Beine. Der Steinknabe nimmt die Beine des getöteten Grizzly und bindet sie an die Stümpfe des Großvater, in der Schwitzhütte wird daraus ein Wesen, halb Mensch halb Bär. So entstehen die Braunbären. Der Knabe findet eine Frau, verwandelt einen bösen wakan-Mann in einen Fisch und kehrt mit der Familie wieder zu seiner Mutter zurück. Die vier Brüder hatten gehört, dass der Steinknabe zum Vater einer großen Nation werden würde, dies wollten sie unterstützen. Und so kämpften sie gegen Schwärme von Fliegen und Mücken und besiegten diese. [2] Als das Volk gewachsen und stark war, fanden sie von ihm nur noch einen schwarzen Stein.

Zitkala-Ša (Roter Vogel) die als Gertie Eveline Felker bereits 1876 in einer Reservation geboren wurde, erzählt damit einer der Entstehungsmythen der Sioux-Nation. Den Stoff nahm Welskopf-Henrich in einer für uns märchengerechter und gewöhnter Form auf. Es ist nicht bekannt, ob sie die Geschichten der Dakota Zitkala-Ša kannte, sicher ist, dass sie Geschehnisse, die George Catlin (1796 – 1872) in  Sitten, Gebräuche und Lebensumstände der nordamerikanischen Indianer bereits 1842 beschrieben hatte, verwendete. Da ihre Bibliothek im Zuge der Bombardierungen Berlins am Ende des 2. Weltkrieges vernichtet wurde, ist es nur schwer möglich, auf tatsächlich verwendete Quellen zu schließen. [3] Nicht nur die Texte Catlins aus dem 19, Jahrhundert, auch die heute zugänglichen wie die von Zitkala-Ša zeugen im Nachhinein von der großen Informiertheit der Schriftstellerin über ihr „Nebenfach“. Als Dozentin und dann Professorin für Alte Geschichte, sind ihr aber intensives und zielgerichtetes Quellenstudium geläufig gewesen.

Fabeln handeln meist von Tieren mit menschlichen Eigenschaften, die auch menschlich handeln. Hier könnte von einer Fabel gesprochen werden, denn die Tiere verbünden sich menschlich gegen einen Menschen. Oder von einem Märchen über eine wundersame Begebenheit (die Verwandlung aus/in einen Stein) in mündlicher Überlieferung. Durch die fehlende Schriftsprache der Sioux kommt diesen Überlieferungen eine wirklich hohe Bedeutung zu. Daher sind sie aus einer Beschreibung oder Erzählung zur Kultur eines indigenen Volkes nicht wegzudenken. Angehörige der Uramerikaner begannen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Mythen, Legenden und Märchen aufzuschreiben. Zu diesen zählt John Okute Sica, geboren 1890, den Liselotte Welskopf-Henrich auf einer ihrer ersten Reisen nach Nordamerika kennenlernte und von dem sie ein Manuskript [4] mit derartigen Aufzeichnungen erhielt.

Der alte Lakota schrieb und bestätigte damit das Bild der Autorin, die sich bis dahin zum Beispiel an Catlin orientierte.

„Die Sioux betrachten den Büffel als heiliges Tier. Bei der Jagd beten sie, sie danken dem Großen Geheimnis für die Jagdbeute. Außer dem Blut und dem Mageninhalt wurde nichts weggeworfen. Jede Unze Öl wurde aus den Knochen geschmolzen, und sämtliche Innereien wurden als Nahrung oder für andere Zwecke verwendet. Ein Sioux tötete einen Büffel nur dann, wenn er oder seine Stammesgenossen ihn benötigten.“

Okute Sica: Das Wunder vom Little Bighorn, Seite 189

Die Geschichte vom Steinknaben ist damit auch eine Lehrgeschichte für „Indianerkinder“ wie sie Liselotte Welskopf-Henrich später in Harka – Sohn des Häuptlings beschrieb. Das Kinderbuch entstand bereits 1952. Natürlich verwendete die Autorin diese wieder, später auch in den Bänden der Pentalogie Das Blut des Adlers. Doch sind die Romane der Autorin, die im besten Sinne historische Romane sind, keine Sammlung von Märchen und Legenden. Daher „mussten“ diese eher kurz erwähnt und dann ausgelagert werden.

  • [1] Zitkala-Ša: Roter Vogel erzählt – die Geschichten einer Dakota / Palisander-Verlag Chemnitz 2015 / ISBN: 978-3-938305-70-6
  • [2] Die Insektenschwäre stehen für angreifende Stämme
  • [3] Quelle: Rudolf Welskopf
  • [4] Das Manuskript wurde Jahrzehnte später von Frank Elstner übersetzt. die Rechte dazu erhielt er von den Nachfahren des indianischen Schriftstellers. Okute Sica, John: Das Wunder vom Little Bighorn / Palisander-Verlag / Chemnitz 2009 / ISBN: 978-3-938305-10-2
  • DNB / Eulenspiegel Kinderbuchverlag / Berlin 2011 / ISBN:  978-3-359-02337-1 / 36 Seiten

© UR (29.11.2020)