Hüdor, Akwa und Oo heißen die drei Wassertropfen mit denen Liselotte Welskopf Henrich im Jahr 1954 ihren jungen Lesern den Kreislauf des Wassers erklärte. Das seien merkwürdige Namen, doch erst sollten die Kinder die Geschichte lesen, woher die Namen kommen, wolle sie am Ende erklären.
Zwölf Abenteuer erleben die drei Freunde in dem schmalen bunt bebilderten Kinderbuch. Zuerst wohnen sie im tiefen dunklen Meer, nichts ist da zu sehen, nur ganz wenige Fische wagen sich bis auf viertausend Meter tief hinab. Aber dann spült sie ein Seebeben in helle grüne Wasserschichten, wo höchstens ein Tintenfisch mal für Dunkelheit sorgt. Viele bunte Fische sehen Hüdor, Akwa und Oo jetzt, die Fische sehen auch alle unterschiedlich aus.
Im zweiten Abenteuer erleben sie einen Sturm und geraten einem alten Steuermann auf einem Schiff zwischen die Lippen, doch Salzwasser mag der Alte nicht und spuckt sie wieder aus. Der Sturm spült sie im dritten Abenteuer an den Strand. Da ist es sehr warm und die Sonne sorgt dafür, dass die drei als feiner Wasserdampf in den Himmel aufsteigen. An einem großen Berg bleibt im fünften Abenteuer die Wolke hängen und mit dem Regen kommen die drei Wassertropfen wieder auf die Erde zurück. In einem schnellen Fluss wandern sie weiter. Das sechste Abenteuer beinhaltet eine Überschwemmung, es ist eine Art Sintflut mit der die Menschen bestraft werden, die einen riesigen Wald abgeholzt haben. In einem Boot sitzt eine Mutter mit ihrem Töchterchen. Das Mädchen möchte trinken, aber die Mutter sagt ihr, dass dieses Wasser nun sehr schmutzig ist und jeder Wasser Tropfen unzählige Bakterien beinhaltet. Hüdor, Akwa und Oo wissen, dass die Mutter recht hat. Mit dem Fluss schwimmen sie wieder ins Meer.
Im siebenten Abenteuer verursachen sie das Meeresleuchten und treffen einen Delphin. Die Strömungen treiben sie mit Milliarden und Billionen Wassertropfen ins Eismeer. Dort treffen die drei im achten Abenteuer auf ein Walross auf einem Eisberg und auf eine Eisbärenfamilie. Die helfen ihnen, nicht zu Eis zu werden. Im neunten Abenteuer kommt der Winter und sie werden zu Schnee. Dann wurden sie doch zu Eis und das gleich für einige Jahre. Im zehnten Abenteuer treffen sie in einem Fluss auf Menschen, die Bäume pflanzen.
Das elfte Abenteuer lässt sie eine Apfelsinenwurzel treffen, so kommen sie in eine Apfelsine und werden von Anne gepflückt. Anna verschickt im zwölften Abenteuer die Apfelsine in die Welt. Drei Kinder teilen sich die Frucht und so werden Hüdor, Akwa und Oo getrennt.
Was aber bedeuten nun die drei Namen? Die Autorin erklärt, das „Hüdor“ ein griechisches, „Aqua“ ein lateinisches und „Eau“ ein französisches Wort sind, alle drei bedeuten Wasser.
Ein buntes Kinderbuch liegt vor mir mit schönen kindgerechten Zeichnungen vom Charlotte Braasch. Das Buch kam im Altberliner Verlag von Luzie Groszer heraus. Die Verlegerin hatte drei Jahre zuvor dafür gesorgt, dass die Erstausgabe von die Söhne der großen Bärin gedruckt werden konnte. Im selben Jahr brachte der Kinderbuchverlag Berlin ein weiteres Buch heraus. Hans und Anna hieß der Band aus der Robinson-Reihe des Verlages.
Drei Wassertropfen ist sehr kindgerecht geschrieben, Welskopf-Henrich erklärt auf einfache und anschauliche Art und Weise den Wasserkreislauf der Erde. Modern erscheint förmlich der Hinweis auf den Naturraubbau der Menschen durch das Abholzen von Wäldern, wobei eine Art „Bestrafung“ durch die anschließende Überschwemmung an die Sintflut erinnert. Diese Metapher (Bestrafung), passt an sich nicht zu Welskopf-Henrich. Der gesamte Text, der nur dreimal die Beziehungen der Menschen zum Element Wasser aufnimmt, lässt den Leser hier aufmerken. Die exzessive Einwirkung auf und in die Natur und deren Folgen hätte die Autorin auch als gesellschaftlich bedingt beschreiben können, zumal sie ja einige Kapitel weiter hinten die Aufforstung durch die Menschen ausdrücklich positiv erwähnt. Jedoch kann angenommen werden, dass vor siebzig Jahren der Begriff Bestrafung weniger hinterfragt wurde und Kinder damit durchaus aufwuchsen, Sanktionen nach fehlerhaften Verhalten waren auch in deren Umsetzung durchaus Bestrafung.
Seltsamerweise hat die Illustratorin hier ein Bild mit Indianern an einem Fluss eingefügt, genau an der Stelle, da es um den Raubbau geht. War das ein Hinweis auf den ersten Roman, den die Autorin bereits 1951 endlich veröffentlicht sah?
Welskopf Henrich hatte sich damals für ihren Sohn Märchen und Geschichten ausgedacht, die sie niederschrieb und später veröffentlichte. Die Wassertropfen erwähnte Dr. Rudolf Welskopf im Interview.
Ein Rückblick in die Kindheit sind solche Bücher, sowohl für Eltern als auch schon für deren Eltern. Uns liegt hier kein Bilderbuch sondern ein illustriertes Kinderbuch vor, für das ebenso gilt, was Ulrike Preußer in Hinblick auf die Vorlese- / Lesesituation von Eltern und Kindern erwähnt:
Eltern übernehmen beim Lesen oder Vorlesen verschiedene Funktionen. Sie sind kompetente Erzähler, Figureninterpreten und Kommentatoren gleichzeitig. Sie sind Dialogpartner, emotionaler Bezugspunkt des lesenden / vorlesenden Kindes, explizierte Erklärer und Interpreten und auch Modell für Verstehenschwierigkeiten *
Das gilt vermutlich insbesondere für die Lese- und Vorlesesituation in der Familie Welskopf ebenso, zumal Liselotte Welskopf-Henrich als Dozentin an der Humboldt-Universität beschäftigt war. Ihre politisch-gesellschaftlichen Ansichten wurden dabei vermittelt. In den vorliegenden Drei Wassertropfen am Beispiel von Natur und Umwelt, in Hans und Anna vor allem in Hinsicht auf die von Welskopf-Henrich vertretene sozialistische Gesellschaftsordnung und die Lebensverhältnisse von Kindern und Erwachsenen, in verschiedenen Epochen.
Nach rund siebzig Jahren kann man das Buch gleichermaßen mit Kindern lesen. Es scheint, dass in fünfziger und sechziger Jahren mehr versucht wurde, komplexe Themen schon Grundschülern nahe zu bringen, das gilt für Natur gleichermaßen wie gesellschaftliche Verhältnisse. Liselotte Welskopf-Henrich ist dafür, obwohl keine professionelle Kinderbuchautorin, profundes Beispiel. Die Buchproduktionen wurden unter DDR-Verhältnissen auch genau darauf überprüft, was eine Menge inhaltlich hochwertiger Bücher einerseits und ideologisch übermäßig beeinflusste Werke andererseits hervorbrachte. Auswirkungen solcher Art kann man an der Novelle der Bergführer von Welskopf-Henrich beobachten.
Die neun ganzseitigen Illustrationen von Charlotte Braasch sind sehr farbenfroh dem Text (bis auf das oben bereits erwähnte Beispiel) angepasst. Besonderes berührend hier das Bild zum Thema Überschwemmung, das die Mutter mit dem Mädchen im mit den geretteten Gegenständen aus einem der im Hintergrund zu sehenden überschwemmten Häusern. Auch wird hier die Aktualität des Themas Mensch und Umwelt noch einmal deutlich.
Die große Schrift ist für das Lesen gerade lernende Kinder gut geeignet.
- DNB / Altberliner Verlag / Berlin 1954 / 2. Auflage 1959 / 36 Seiten
- * vgl. Preußer, Ulrike das Bilderbuch aus didaktischer Perspektive. Ein Forschungsbericht; https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=17142&nr=1&next=16928&anker=start&&suchwert1=%22Preu%C3%9Fer%2C+Ulrike%22&ur_wert_volltextsuche=Preu%C3%9Fer&suchfeld1=o.freitext&bool1=and&Lines_Displayed=100#start
© UR – 07.11.2021