Kath in der Prärie (Kurzgeschichte)

Ein Mädchen auf dem Weg inmitten von Rauhreitern, Scouts und Soldaten in der Prärie. Eine Munitionskolonne soll in das Fort am Niobrara gebracht werden. Dort möchte Kath ihren Vater treffen, einen älterern weißhaarigen Major der US-Armee mit Namen Smith. Mit dabei ist ein Leutnant Roach, der als Verlobter des Mädchens gilt, welches bisher von ihrer Tante Betty, einer wohlhabenden Witwe, erzogen wurden ist.
Die Munitionskolonne wird von einer Dakota-Abteilung überfallen, die ein gewisser Tokei-ihto führt. Die Auseinandersetzungen mit der US-Armee werden häufiger, da inzwischen der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten beendet wurde. Wir befinden uns in der Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, genauer im Jahr 1876, dem Jahr der Indianerschlacht am Litte Bighorn.

Kath trifft auf ein paar Männer, die im Laufe der Geschichte eine Rolle spielen werden. Da ist der Farmerssohn Adam Adamson, der Geld braucht, um das Land seines Vaters vor den großen Grundstücksgesellschaften zu retten, die die Hand nach dem mittleren Westen ausstrecken. Da sind Thomas & Theo, gutmütige Zwillinge, ehemalige Biberjäger, Fallensteller und Cowboys, der etwas weichherzige Tom sowie ein Händler und Schmuggler, der zahnlose Ben. Die alten Grenzer erzählen ihr von ihrem nicht leichten Leben im Grenzland. Erwähnt werden die Goldsucher und auch ein Indianeraufstand in Minnesota im Jahre 1962.

Während des Überfalls übernimmt Kath die Zügel eines Wagens und fährt allein in die Prärie hinaus, bis ein hoch gewachsener schlanker Indianer auf einem Falbhengst vor ihr auftaucht. Kurz darauf kommt es zum Schusswechsel zwischen dem „Roten“ und Bloody Bill, der beim Mord am Vater des Indianers dabei gewesen war. Tokei – ihto geht aus dem Zweikampf siegreich hervor und bringt die junge Frau in die Nähe des Forts, wo Thomas und Theo sie treffen und in das Fort begleiten, bis dort der Ruf ertönt: „Roter reitet an die Station heran!“


Soweit zu der „Indianer“-Geschichte für Kinder, die im Jahre 1956 im Altberliner Verlag Lucie Groszer herausgegeben wurde. Sie befindet sich in Heft 3 der Bären-Lese-Hefte. Auf der letzten Seite befindet sich der Hinweis, dass die weiteren Erlebnisse von Kath im Buch „Die Söhne der großen Bärin“ zu finden ist.

Jedoch findet sich die Geschichte, die im Heft erzählt wird, weder in der Erstausgabe (1951) des erwähnten Romans und auch nicht in der von 1958. Liselotte Welskopf- Henrich hat sie aber später in der dreibändigen (letzter Band) bzw. im im fünften Band Der junge Häuptling der sechsbändigen Ausgabe des Romans aufgenommen.

Liest man dort das Kapitel Cate in der Prärie, sind den Rezipienten der Pentalogie bereits alle Figuren bekannt. Kath/Cate, ihr Vater, Tante Betty und selbst der spätere Leutnant Roach treten erstmals im zweiten Band Der Weg in die Verbannung auf. Kath besucht eine Zirkusvorstellung , in der Harka / Harry, der spätere Tokei – itho und sein Vater Mattotaupa auftraten, es war deren letzte Vorstellung. Sie hat den jungen Häuptling also bereits gesehen, woran sie sich aber nicht erinnern wird.

Im Fort. Szenenbild

Auch die anderen Romanfiguren sind dann schon bekannt. Die wichtigsten sind Adam Adamson und Thomas & Theo. Der alte Adamson war vor Jahren Händler und verkaufte auch Waren einschließlich alter Waffen an Indianer und kaufte zum Beispiel Felle von den Jägern Thomas & Theo. Diese beiden lernte der junge Harka steinhart Nachtauge auf einem Jagdausflug mit seinem Freund Stark wie ein Hirsch kennen. Diese Begebenheiten finden wir im Band 3 – Der Weg in die Verbannung.

Im Film Die Söhne der Großen Bärin hingegen, bringt der junge Häuptling die junge Frau direkt in in das Fort.


Kath in der Prärie ist ein Beispiel dafür, dass Liselotte Welskopf-Hernrich zeitnah nach der Erstveröffentlichung ihres ersten Romans über die „Bärensöhne“ und Tokei – itho in Fragmenten die Vorgeschichte anlegte. Ob die Autorin dabei bereits im Sinn hatte, die Kinder Kath und Harka aufeinandertreffen zu lassen, bleibt unbekannt. Auf jeden Fall gab sie einen Ausblick auf mögliche Fortsetzungen.

Antrag auf Druckgenehmigung des Alberliner Verlages [1]

Der Altberliner Verlag verweist im Jahr 1954 auf die Ergänzung in seinem Druckantrag und betont dabei, dass „die entschlossene Härte der Kampfführung von Seiten der Indianer ihre Ritterlichkeit nicht ausschließt.“

© UR – 23.12.2021

Drei Wassertropfen (Kinderbuch)

Hüdor, Akwa und Oo heißen die drei Wassertropfen mit denen Liselotte Welskopf Henrich im Jahr 1954 ihren jungen Lesern den Kreislauf des Wassers erklärte. Das seien merkwürdige Namen, doch erst sollten die Kinder die Geschichte lesen, woher die Namen kommen, wolle sie am Ende erklären.

Zwölf Abenteuer erleben die drei Freunde in dem schmalen bunt bebilderten Kinderbuch. Zuerst wohnen sie im tiefen dunklen Meer, nichts ist da zu sehen, nur ganz wenige Fische wagen sich bis auf viertausend Meter tief hinab. Aber dann spült sie ein Seebeben in helle grüne Wasserschichten, wo höchstens ein Tintenfisch mal für Dunkelheit sorgt. Viele bunte Fische sehen Hüdor, Akwa und Oo jetzt, die Fische sehen auch alle unterschiedlich aus.

Im zweiten Abenteuer erleben sie einen Sturm und geraten einem alten Steuermann auf einem Schiff zwischen die Lippen, doch Salzwasser mag der Alte nicht und spuckt sie wieder aus. Der Sturm spült sie im dritten Abenteuer an den Strand. Da ist es sehr warm und die Sonne sorgt dafür, dass die drei als feiner Wasserdampf in den Himmel aufsteigen. An einem großen Berg bleibt im fünften Abenteuer die Wolke hängen und mit dem Regen kommen die drei Wassertropfen wieder auf die Erde zurück. In einem schnellen Fluss wandern sie weiter. Das sechste Abenteuer beinhaltet eine Überschwemmung, es ist eine Art Sintflut mit der die Menschen bestraft werden, die einen riesigen Wald abgeholzt haben. In einem Boot sitzt eine Mutter mit ihrem Töchterchen. Das Mädchen möchte trinken, aber die Mutter sagt ihr, dass dieses Wasser nun sehr schmutzig ist und jeder Wasser Tropfen unzählige Bakterien beinhaltet. Hüdor, Akwa und Oo wissen, dass die Mutter recht hat. Mit dem Fluss schwimmen sie wieder ins Meer.

Im siebenten Abenteuer verursachen sie das Meeresleuchten und treffen einen Delphin. Die Strömungen treiben sie mit Milliarden und Billionen Wassertropfen ins Eismeer. Dort treffen die drei im achten Abenteuer auf ein Walross auf einem Eisberg und auf eine Eisbärenfamilie. Die helfen ihnen, nicht zu Eis zu werden. Im neunten Abenteuer kommt der Winter und sie werden zu Schnee. Dann wurden sie doch zu Eis und das gleich für einige Jahre. Im zehnten Abenteuer treffen sie in einem Fluss auf Menschen, die Bäume pflanzen.

Das elfte Abenteuer lässt sie eine Apfelsinenwurzel treffen, so kommen sie in eine Apfelsine und werden von Anne gepflückt. Anna verschickt im zwölften Abenteuer die Apfelsine in die Welt. Drei Kinder teilen sich die Frucht und so werden Hüdor, Akwa und Oo getrennt.

Was aber bedeuten nun die drei Namen? Die Autorin erklärt, das „Hüdor“ ein griechisches, „Aqua“ ein lateinisches und „Eau“ ein französisches Wort sind, alle drei bedeuten Wasser.


Ein buntes Kinderbuch liegt vor mir mit schönen kindgerechten Zeichnungen vom Charlotte Braasch. Das Buch kam im Altberliner Verlag von Luzie Groszer heraus. Die Verlegerin hatte drei Jahre zuvor dafür gesorgt, dass die Erstausgabe von die Söhne der großen Bärin gedruckt werden konnte. Im selben Jahr brachte der Kinderbuchverlag Berlin ein weiteres Buch heraus. Hans und Anna hieß der Band aus der Robinson-Reihe des Verlages.

Drei Wassertropfen ist sehr kindgerecht geschrieben, Welskopf-Henrich erklärt auf einfache und anschauliche Art und Weise den Wasserkreislauf der Erde. Modern erscheint förmlich der Hinweis auf den Naturraubbau der Menschen durch das Abholzen von Wäldern, wobei eine Art „Bestrafung“ durch die anschließende Überschwemmung an die Sintflut erinnert. Diese Metapher (Bestrafung), passt an sich nicht zu Welskopf-Henrich. Der gesamte Text, der nur dreimal die Beziehungen der Menschen zum Element Wasser aufnimmt, lässt den Leser hier aufmerken. Die exzessive Einwirkung auf und in die Natur und deren Folgen hätte die Autorin auch als gesellschaftlich bedingt beschreiben können, zumal sie ja einige Kapitel weiter hinten die Aufforstung durch die Menschen ausdrücklich positiv erwähnt. Jedoch kann angenommen werden, dass vor siebzig Jahren der Begriff Bestrafung weniger hinterfragt wurde und Kinder damit durchaus aufwuchsen, Sanktionen nach fehlerhaften Verhalten waren auch in deren Umsetzung durchaus Bestrafung.

Wassertropfen – Wald

Seltsamerweise hat die Illustratorin hier ein Bild mit Indianern an einem Fluss eingefügt, genau an der Stelle, da es um den Raubbau geht. War das ein Hinweis auf den ersten Roman, den die Autorin bereits 1951 endlich veröffentlicht sah?

Welskopf Henrich hatte sich damals für ihren Sohn Märchen und Geschichten ausgedacht, die sie niederschrieb und später veröffentlichte. Die Wassertropfen erwähnte Dr. Rudolf Welskopf im Interview.

Ein Rückblick in die Kindheit sind solche Bücher, sowohl für Eltern als auch schon für deren Eltern. Uns liegt hier kein Bilderbuch sondern ein illustriertes Kinderbuch vor, für das ebenso gilt, was Ulrike Preußer in Hinblick auf die Vorlese- / Lesesituation von Eltern und Kindern erwähnt:

Eltern übernehmen beim Lesen oder Vorlesen verschiedene Funktionen. Sie sind kompetente Erzähler, Figureninterpreten und Kommentatoren gleichzeitig. Sie sind Dialogpartner, emotionaler Bezugspunkt des lesenden / vorlesenden Kindes, explizierte Erklärer und Interpreten und auch Modell für Verstehenschwierigkeiten *

Das gilt vermutlich insbesondere für die Lese- und Vorlesesituation in der Familie Welskopf ebenso, zumal Liselotte Welskopf-Henrich als Dozentin an der Humboldt-Universität beschäftigt war. Ihre politisch-gesellschaftlichen Ansichten wurden dabei vermittelt. In den vorliegenden Drei Wassertropfen am Beispiel von Natur und Umwelt, in Hans und Anna vor allem in Hinsicht auf die von Welskopf-Henrich vertretene sozialistische Gesellschaftsordnung und die Lebensverhältnisse von Kindern und Erwachsenen, in verschiedenen Epochen.

Nach rund siebzig Jahren kann man das Buch gleichermaßen mit Kindern lesen. Es scheint, dass in fünfziger und sechziger Jahren mehr versucht wurde, komplexe Themen schon Grundschülern nahe zu bringen, das gilt für Natur gleichermaßen wie gesellschaftliche Verhältnisse. Liselotte Welskopf-Henrich ist dafür, obwohl keine professionelle Kinderbuchautorin, profundes Beispiel. Die Buchproduktionen wurden unter DDR-Verhältnissen auch genau darauf überprüft, was eine Menge inhaltlich hochwertiger Bücher einerseits und ideologisch übermäßig beeinflusste Werke andererseits hervorbrachte. Auswirkungen solcher Art kann man an der Novelle der Bergführer von Welskopf-Henrich beobachten.

Wassertropfen – Umwelt

Die neun ganzseitigen Illustrationen von Charlotte Braasch sind sehr farbenfroh dem Text (bis auf das oben bereits erwähnte Beispiel) angepasst. Besonderes berührend hier das Bild zum Thema Überschwemmung, das die Mutter mit dem Mädchen im mit den geretteten Gegenständen aus einem der im Hintergrund zu sehenden überschwemmten Häusern. Auch wird hier die Aktualität des Themas Mensch und Umwelt noch einmal deutlich.

Die große Schrift ist für das Lesen gerade lernende Kinder gut geeignet.

  • DNB / Altberliner Verlag / Berlin 1954 / 2. Auflage 1959 / 36 Seiten

© UR – 07.11.2021

Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer und Uwe Rennicke (1)

Der Eisblock

Die Schwarzen Berge waren immer noch mit einer dicken Schneedecke überzogen. Nur an ihren Rändern begann sich der Schnee langsam zurückzuziehen. An einzelnen Flecken zeigte sich bereits das braune Präriegras des letzten Herbstes. In einem Tal, welches durch die dichten Wälder begrenzt wurde, stand ein Zeltdorf. Dreißig Tipis waren es nur, in denen einhundertfünfzig Menschen lebten. Auch diese, immer in der rauen Natur der Prärie lebenden Dakota warteten auf den Frühling, der ihnen neue frische Nahrung und Kleidung geben würde. Im harten Winter lebten sie nun einmal von gepökeltem Fleisch und getrockneten Beeren. Die Jäger brachten zwar auch Jagdbeute in das Dorf, meistens waren dies aber Kleintiere. Die Hundemeute des Dorfes war abgemagert und auch die Mustangs wiesen unter ihrem Winterfell keine dicke wärmende Fettschicht auf. Klein und zäh waren diese Pferde noch, die vor einigen hundert Jahren durch spanische Männer auf diesen Kontinent gebracht wurden, wo sie sich rasch vermehrten und auch verwilderten. Die Prärieindianer lernten erst später die Zucht und setzten sie auch als Transportmittel ein. Doch weiße Männer hatte nur einer der ältesten Männer bereits gesehen. Die kleine Indianergruppe fing die Pferde aus den verwilderten Herden. Im letzten Jahr, nachdem sie im Winter durch Wolfsrudel zu viele Pferde verloren hatten, bauten sie eine Koral. So konnten sie ihre kleine Herde wieder auffüllen.


In der ersten Morgenstunde des Tages trat ein Krieger in sein Zelt. Dieses war eines der größeren Tipis mit achtzehn Zeltstangen. Viele Gäste konnte er in diesem Zelt bewirten. Nach der ersten Büffeljagd würde eine solche Gelegenheit wieder kommen, denn Mattotaupa war ein sehr erfolgreicher Jäger. Ungewöhnlich groß und muskulös ragte er in der Mitte der Männer hervor, die Präriejäger waren eher schmal und sehnig. Vier Bären hatte er vor wenigen Sommern in einem Frühjahr erlegt, daher wurde Matto, der Bär, nun so genannt. Die Große Bärin war seine Ahnin und sie lebte der Legende nach immer noch in der Höhle über dem Tal in den Tse Sapa, den Schwarzen Bergen. Nun war er der Kriegshäuptling der Bärenbande. Im letzen Sommer hatte Mattotaupa nicht viele Kämpfe mit seinen Kriegen, den jungen Hirschen, zu bestehen gehabt. In solchen Zeiten führte die Dorfgemeinschaft der Friedenshäuptling Weißer Büffel an. Viel Freude aber war in sein Zelt gekommen. Neben seinem nun vierjährigen Sohn Harka und seiner erstgeborenen Tochter, daher der Name Uinonah, war ihm ein zweiter Junge geboren wurden. In diesem Winter aber entrann Harpstennah knapp dem Tod. Daher schuldete er Hawandtschita, dem Geheimnismann, Dank. Obwohl, die Pflege und die Kräuter von Untschida, seiner Mutter, waren bestimmt ebenso wichtig gewesen. Vor ihr hatte selbst der alte Medizinmann Achtung, denn sie galt als eine erfahrene weise Frau.


Am Abend vorher berieten die Männer im Ratstipi über den Zug des Dorfes in das Sommerlager. Das Pferdebachtal lag am südlichen Rand der Berge. Hier war ein guter Ausgangspunkt für die Büffeljagd des kommenden Frühjahrs. Hawandtschita legte am Ende der Beratung fest, dass die Büffeltänze in einigen Tagen beginnen sollten. Dann erzählte der Alte von seinen Jugenderlebnissen, selten hörten die Ratsmänner diese Geschichten. Vor über dreißig Sommern kämpfte er mit Tecumseh, dem Berglöwen der Shawnee, im Krieg der Rotröcke gegen die Blauröcke. Daher kannte er auch die hohe Zahl der in das Ostland strömenden Langmesser. Nach dem Tod des Häuptlings in der Schlacht kehrte er zu seinem Stamm zurück. Enttäuscht über die von Tecumseh nicht erreichte Einigkeit der Stämme gelangte Hawandtschita zu der Überzeugung, dass diese Einheit nicht erreicht werden konnte. Die Krieger der Bärenbande folgten ihm darin, waren die knappen Erzählungen doch die einzigen Berichte über die Watschitschun und ihre Mazawaken, Geheimniseisen, in Ländern wo die Sonne aufgeht.


Mattotaupas Blick ging zu seiner Frau, an ihrer Brust schlief der Kleine endlich wieder ruhig und tief atmend. Gleich daneben ruhte auch die vor zwei Sommern geborene Uinonah, an Untschida geschmiegt.


In drei Stunden würde Mattotaupa seinen Sohn wecken. Der Junge hatte den Vater darum gebeten. Es galt, dem älteren Freund einen Streich zu spielen. Tschetan, der Falke, war der Anführer des Knabenbundes, der jungen Hunde. Ein solcher wollte auch Harka unbedingt einmal werden. Der Knabenanführer brachte Harka schon eine Menge bei. Am liebsten setzte er den Jungen auf ein Pony, denn Indianerjungen lernten schon mit vier Jahren reiten. Der Häuptling musste leise lachen, als er an den gestrigen Morgen dachte.


In der fünften Morgenstunde schob sich nämlich der schlanke Knabenkörper Tschetans in das Tipi. Mattotaupa erkannte ihn sofort, blieb aber still und beobachtete das Geschehen. Tschetan riss plötzlich den vier Sommer und Winter jüngeren Freund aus den Fellen, warf ihn sich über die Schultern und verschwand wieder. Langsam setzte sich der Vater in Bewegung. Tschetan rannte zum Bach. Inzwischen trommelte der Kleine mit aller Kraft auf den Rücken des Freundes, was ihm aber nichts nützte. Am Bach angelangt, sprang Tschetan mit Harka in das eisige Wasser und tauchte den Jungen zweimal kurz unter. Harka machte in erstauntes Gesicht, aber jetzt zu schreien, fiel ihm nicht ein. Nein, er fing sofort an zu spritzen, als der Freund ihn nicht mehr fest hielt. Gleich darauf verließen die Jungen den Bach und Tschetan half dem Sohn des Häuptlings, sich mit Bärenfett einzureiben. Harka lief den Tag angestrengt nachdenkend zwischen den Tipis auf und ab. Doch dann hatte er eine Idee. Bevor der Vater das Zelt verließ, um zu der Beratung zu gehen, bat der Kleine ihn stumm, sprechen zu dürfen. Der Vater nickte und dann erzählte Harka, was er vor habe. Mattotaupa versprach ihm, bei seiner „Rache“ zu helfen. Bis dahin war noch etwas Zeit.


Der Junge wachte ein wenig vor der Zeit auf. Sein Vater hatte ihn seit einigen Augenblicken beobachtet. Nun freute er sich, dass der Vierjährige von allein aufwachte. Nicht jeder Junge in diesem Alter lernte so schnell. Die Kinder der Dakota, wurden nicht in die Zelte zum Schlafen geschickt. Sie merkten selbst, wenn die Zeit dazu gekommen war. Schnell wickelte sich der Häuptlingssohn aus den Fellen. Der Vater gab ihm eine Hand voll getrockneter Beeren. Nur Frauen und Kinder nahmen morgens etwas Nahrung zu sich. Dann verließen beide das Tipi. Sogleich bewegte sich der Junge, auf den Ballen auf das Tipi des Freundes seines Vaters, Sonnenregen, zu. Er musste feststellen, ob Tschetan noch im Zelt schlief. Der Vater zeigte ihm dabei noch einmal ohne zu sprechen, wie sich ein Dakota ohne Laut bewegt. Langsam lugte Harka in das Tipi. Er kannte den Schlafplatz und Tschetan lag auch noch auf seinem Lager. Harka bedeutete seinem Vater: Alles in Ordnung. Sofort wandten sich die beiden dem eiskalten schmalen Bach zu. Am Ufer fanden sie noch genügend dickes Eis. Für die nächste Aufgabe brauchte Harka die starke Hand des Vaters. Ein richtiger großer Block sollte leise aus dem Eis bebrochen werden. Das tat Mattotaupa und reichte Harka den Block des Eises. Sofort bewegten sie sich leise wieder in Richtung des Tipis. Der Eisblock war so groß, dass der Vater helfen musste. Langsam legten sie den Block vor dem Zelt ab. Was der Junge nicht wusste, Mattotaupa hatte seinen Jugendfreund Sonnenregen während der Beratung gestern Abend gebeten, um diese Zeit die Wachen der Mustangherde zu kontrollieren. Diese Aufgabe übernahmen, wenn keine Gefahr von feindlichen Stammesgruppen drohte, die Burschen. Vierzehn bis Sechzehnjährige, die sich auf der Jagd bereits bewährten und in den Bund der Roten Federn aufgenommen waren.


Nun half Mattotaupa seinem Sohn, die Plane am Eingang geräuschlos anzuheben. Harke spähte hinein und kroch ganz langsam und leise in das Tipi. Nun reichte der Vater ihm den Block. Den Rest musste der Junge schon allein erledigen. Vor dem Zelt trat Sonnenregen zu seinem Häuptling. Den nun folgenden Spaß wollten sich beide nicht entgehen lassen. Auch Sonnenregen hoffte, dass der kleine Harka die sich selbst gestellte Aufgabe lösen würde, ohne dass der Freund vorher erwachte. Denn das übten die Indianerknaben schon sehr zeitig. Deshalb spielten sie sich auch solche Streiche, die zeigten, wer am besten schleichen und spähen konnte oder die anderen zuerst bemerkte.


Der Eisblock war schwer. Trotzdem musste der Junge ihn zum Lager Tschetans tragen und durfte dabei kein Geräusch verursachen. Langsam und gleichmäßig atmend stand er nun über seinem Freund, der immer noch schlief. In den Zelten ist es auch im Winter nicht so bitter kalt, so dass die an die raue Natur gewöhnten Prärieindianer nicht viele Decken benötigten. Tschetan lag also mit freiem Oberkörper auf dem Rücken. Nun musste sich Harka etwas beeilen, der eisige Brocken war doch sehr schwer. Langsam legte er ihn auf Tschetans Brust ab.


Mit einem Schrei fuhr der Anführer der Jungen Hunde aus dem Schlaf. Sofort aber griff er sich den stehengebliebenen Häuptlingssohn und warf ihn auf die Felle am Boden. Er knuffte und stieß ihn derb in die Seiten, aber Harka wehrte sich mit Leibeskräften und gab dabei keinen Mucks von sich. Den Kampf konnte er noch nicht gewinnen. Tschetan war kurz außer sich: Was sollten die Knaben von ihm denken? Doch dann ließ er den jüngeren Gefährten los. Der Falke musste plötzlich an Gestern denken. Das war also die Rache für das Bad im Bach. Da fing er an zu lachen, auch die beiden Männer betraten jetzt das Zelt und lachten mit. Alle freuten sich über das Geschick des kleinen Häuptlingssohnes. Die Geschichte würden sich nun nicht nur die Knaben sondern auch die Burschen und jungen Krieger erzählen. Sonnenregen bedeutete seinem Freund, dass er stolz auf den zukünftigen Krieger der Oglala –Dakota sein konnte.


Es war ein kleiner Schreibwettbewerb im April 2010 in einer kleinen Gruppe literaturbegeisterter Vielleser, die sich Buchgesichter nannten. Die Geschichte DER EISBLOCK beruht auf einer Episode in der der Harka – Stein mit Hörnern, der Häuptlingssohn, an ein Ereignis in seiner frühen Kindheit denkt. (Die Söhne der Großen Bärin – Band 5 – Heimkehr zu den Dakota)

Uwe Rennicke

Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & Kerstin Groeper

Liselotte und ich

Gedanken zum 120 Geburtstag einer tollen Autorin

Kerstin Groeper

Sie gehen mir nie aus dem Kopf: Die Geschichten um Harka – Inyan-he-yukan – Tokei-Itho und sein Volk. Was habe ich diese Bücher geliebt! Als Kind war ich stets „Uinonah“, wenn wir Indianer gespielt haben. Neben unserer Neubausiedlung gab es ein paar Felder und mitten drin ein paar hohe Laubbäume, unter denen wir immer unser Lager aufschlugen. Heute steht dort die Feuerwache München-Obermenzing. Aber damals gruben wir Kartoffeln aus, pflückten Maiskolben und verbrachten den ganzen Sommer unter diesen Bäumen, um „Harka“ zu spielen – am liebsten die Geschichte, in der er als junger Häuptling über den Missouri flüchtet. Die Soldaten stellten wir uns vor – und gingen vor eingebildeten Kugeln in Deckung. Manchmal durfte einer der Jungen der Schwarzfußhäuptling Donner-vom-Berge sein, den wir dann gefangen nahmen. Selbstverständlich wechselte er auf unsere Seite und unterstützte uns im Kampf gegen die Soldaten. Manchmal heiratete ich ihn auch und meine Puppe – in eine selbstgebastelte indianische Wiege gebettet – war unser Baby. Ich war überhaupt recht geschickt, wenn es darum ging, meine Stammesmitglieder mit fantasievoller Kleidung auszustatten. Stirnbänder wurden gehäkelt, Lendenschurze aus rotem Stoff geschnitten und Mokassins aus Lederresten genäht. Sie hielten nur nie recht lange. Doch an den Geschmack der Kartoffeln, die wir im Feuer garten, erinnere mich heute noch. An meine Verletzung am Arm, die ich erhielt, als Donner-am-Berge doch mal die Flucht gelang, erinnere ich mich auch. Wir hatten Harald, den Sohn des Hausmeisters, gefangengenommen, als er unser Lager ausspähte, und meine Stammesbrüder hatten vergessen, ihm das Messer abzunehmen. Nachdem wir nicht so viele Kinder waren, musste ich auf ihn aufpassen – war aber auch mit dem Feuerhüten beschäftigt. Als ich ein Geräusch hinter mir hörte, wirbelte ich herum – und bekam das Messer in den Arm. Donner-am-Berge wollte eigentlich an mir vorbeistechen – und hatte nicht mit meiner schnellen Bewegung gerechnet. Was tun? Das schöne Spiel unterbrechen und nach Hause gehen? Das kam gar nicht in Frage! Harald versorgte meine Wunde mit einem Taschentuch und einem Stück Schnur – wurde von den Männern meines Stammes wieder überwältigt, als sie von der „Jagd“ zurückkehrten, und schließlich als „Blutsbruder“ aufgenommen, weil er nicht geflohen, sondern mir geholfen hatte. Die Blutsbrüderschaft wurde tatsächlich mit einem Messer vollzogen.

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Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & Antje Babendererde

Antje Babendererde / Foto: Alexander Stertzik

Am 15. September 2021 jährt sich Liselotte Welskopf-Henrichs Geburtstag zum 120. Mal. Zeit, um einen Moment innezuhalten und der Schriftstellerin zu gedenken, die meine persönliche Entwicklung so entscheidend geprägt hat.

Das Leben der nordamerikanischen Indianer (ja, ich verwende den Begriff noch, solange die Indianer selbst es tun …) hat mich interessiert, seit ich lesen kann. Mein Vater ist mit mir durch den Wald gestreift, mein Opa hat mir die ersten Indianerbücher geschenkt. Und ich wollte mehr von allem: mehr Wald, mehr Indianer-Lesestoff.

Also verschlang ich Die Söhne der großen Bärin und mein Interesse an den Ureinwohnern Amerikas war geweckt, der Grundstein für das, was einmal aus mir werden sollte, gelegt.

Nun wollte ich alles über Indianer lesen, und wurde fündig bei James Fenimore Cooper, bei Anna Jürgen und natürlich auch bei Karl May. Für „Winnetou“ quälte ich mich durch einen zerflederten Band in Frakturschrift und die Wahrheit ist: Ich war schlichtweg begeistert.

Mittlerweile, ich war 14, hatte ich sämtliche DEFA-Indianerfilme mit meinem Helden Gojko Mitic gesehen, doch die „Winnetou“-Verfilmungen waren mir bis dahin verwehrt geblieben, da sie im ZDF ausgestrahlt wurden, und wir auf unserem Fernseher mit Holzverkleidung damals nur ARD empfangen konnten.

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Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & Rudolf Welskopf

Liselotte Welskopf-Henrich – eine erfolgreiche Schriftstellerin und geliebte Mutter

Liselotte Welskopf-Henrich und Rudolf Welskopf

Diese Geschichte beginnt, als ich noch Teenager war. Meine Mutter, Liselotte Welskopf-Henrich, war schon mit den Buch „Die Söhne der großen Bärin“ erfolgreich. Das war aber „nur“ ihr leidenschaftliches Hobby – oder ihr Nebenberuf. Hauptberuflich war sie Altertums­wissenschaftlerin, Dozentin und später Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Spezialgebiet waren die altgriechischen Stadtstaaten, die Poleis. Sklavenhaltergesellschaften, aber zugleich demokratisch – „natürlich“ nur für die Freien und die Sklavenhalter.

Ich aber war in diesem Alter mehr interessiert an den Abenteuern im wilden Westen. „Die Söhne der großen Bärin“ reichten mir bald nicht mehr als Lektüre, ich griff nach allem, was sich bot. Die „Lederstrumpf“-Romane von Cooper waren selbstverständlich erste Wahl, und dann kam ich auch an die Geschichten von Karl May. Meine Mutter hatte nichts dagegen, besorgte auch den einen oder anderen Band. Sie vertraute darauf, dass ich diese Geschichten schon irgendwie richtig einordnen würde. Der große weiße Held, Old Shatterhand, dem immer alles gelingt, der war für mich nach anfänglicher Faszination denn doch ein paar Nummern zu übertrieben – Beispiel: „Ich packte ihn beim Gürtel und schwang ihn mir einige Male um den Kopf“. Trotzdem las ich weiter, ein Abenteuer reihte sich an das andere, man konnte süchtig werden. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass darin eben auch das Manko von Karl Mays Werken liegt – eine Aufreihung gekonnt beschriebener Abenteuer, aber keine Entwicklung der Hauptpersonen. Sie kommen so gut oder schlecht heraus, wie sie hineingegangen sind.

Wichtig ist mir gerade heute aber dazu auch die Feststellung, dass Karl May Rassismus fern lag. Kein Volk ist bei ihm besser oder schlechter als andere dargestellt – überall gibt es gute und schlechte Menschen, und – abgesehen von den Superkräften des Old Shatterhand oder Kara ben nemsi – begegnet man sich auf Augenhöhe. An dieser Stelle ist vielleicht ein Anmerkung zum Begriff „Indianer“ angebracht. Völlig klar, dass diese Bezeichnung ein Irrtum der Europäer ist. Allerdings haben sich bis in die 90er Jahre die native americans selbst so bezeichnet. Und in der Zeit, um die es hier in meinen Erinnerungen geht, war die Bezeichnung „Indianer“ absolut gebräuchlich; auch ihre Emanzipationsbewegung nannte und nennt sich „American Indian Movement“.

Für mich war Karl May allerdings der Anlass, meine Mutter überreden zu wollen, noch mehr „Indianerbücher“ zu schreiben. „Da könnte es doch noch viel mehr Abenteuer geben…??“ Im Grunde bedurfte jedoch es gar nicht meiner Überredung. Sie hatte die Rohfassung der ganzen Vorgeschichte der „Söhne“ schon längst in der Schublade! Dabei hatte sie große Mühe gehabt, die „Die Söhne der großen Bärin“ überhaupt erst einmal Anfang der 50er Jahre in der DDR veröffentlichen zu lassen (das klingt heute unglaublich…). Die Nachfrage war immens gewachsen und überstieg das Papierkontingent des kleinen privaten Altberliner Verlages von Lucie Groszer um das Mehrfache. Aber Frau Groszer war mit ihr ins Risiko gegangen, und sie blieben sich treu, solange sie lebten.

Meine Mutter hatte sich mittlerweile habilitiert, und Beruf und Berufung unter einen Hut zu bringen, war immer wieder herausfordernd für Sie. Eine Haushaltshilfe und eine Sekretärin halfen ihr, eine besondere wissenschaftliche und parallel dazu die schriftstellerische Produk­tivi­tät zu erreichen. Und organisieren konnte sie (auch „organisieren“ im DDR-Sprach­gebrauch).

Nun holte sie das Manuskript dieser ersten Bände hervor, die Geschichte des Jungen Harka, der seinem Vater nach einer Intrige des Medizinmannes in die Verbannung folgt und nach vielen Abenteuern den Weg zurück zu seinem Stamm, zu den „Söhnen der großen Bärin“ findet. Ein klassischer Romanaufbau: „top – down – top“, wie man heute sagt. Absatz für Absatz, Seite für Seite arbeitete sie sich nach Jahrzehnten des Entwurfs wieder durch das Manuskript, alles per Hand. Kein Satz, kein Wort blieb ungeprüft. Und ich durfte ihr erster Leser, Zuhörer und Kritiker sein! Halt – ich glaube, den „Kritiker“ muss ich zurücknehmen. Ich war in diesem Alter doch eher der Fan, war fasziniert von ihren Einfällen, von den Wendungen der Geschichte. Tatsächlich passiert im Verlauf der Bände und der Entwicklung Harka-Tokei-ihtos der ganze „wilde Westen“ jener Zeit Revue; Goldsucher, Posträuber, Abenteurer, ehrenhafte und karrieresüchtige Offiziere, Farmer, arme entwurzelte Teufel auf der einen; Indianerstämme und -gruppen im Kampf um ihr Überleben, aber auch untereinander verfeindet, vorübergehend durch Sitting Bull geeint und durch Tashunka Witko „Crazy Horse“ in siegreiche Schlachten geführt, aber letztlich geschlagen und verfolgt, auf der anderen Seite.

© UR – Bärensöhne Stapel

Alle die Bände, die damals entstanden, haben einen stringenten „roten“ Handlungs­faden, alles ist logisch und folgerichtig. Die Schicksale der Akteure sind durch die historischen Ereignisse vorgezeichnet. Aber sie können entscheiden, auf welche Seite sie sich stellen. Sie kommen aus den Konflikten anders heraus, als sie hineingegangen sind. Und übrigens ist es auch historisch belegt, dass eine Gruppe der Lakota dem Gefängnis der Reservation entkam und in Kanada sich ein neues Leben als Rancher aufgebaut hat. Als meine Mutter Ende der 60er Jahre die Möglichkeit hatte, Nordamerika zu bereisen, konnte sie deren Nachfahren besuchen. Aus diesen Eindrücken dieser Reisen entstand die Roman-Pentalogie „Das Blut des Adlers“ mit den Bänden „Nacht über der Prärie“ usw. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Alle diese von ihr verfassten Bücher faszinieren auch heute viele junge und ältere LeserInnen, und das ist gut so – denn es ist wirklich gute Literatur, gut geschriebene Abenteuerliteratur im besten Sinne, historisch und geografisch genau, psychologisch stimmig und voller spannender Konflikte und Kämpfe. Die anschaulichen Landschafts- und Naturbeschreibungen – man denke nur an die ersten Seiten von „Harka“ – auf die sie als sehr naturverbundener Mensch besonderen Wert legte, wusste ich erst später zu würdigen.

Rudolf Welskopf (31.08.2021)

Interview mit Dr. Rudolf Welskopf

Interview mit Dr. Rudolf Welskopf

Liselotte Welskopf-Henrich und Rudolf Welskopf

Ein Interview des Literaturblogs Litterae-Artesque mit Dr. Rudolf Welskopf.

Als DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN erstmals veröffentlicht wurden, waren Sie ungefähr drei Jahre alt. Ab wann trat die Geschichte in Ihre Kindheit?

Ich kannte meine Mutter, seit ich mich an sie erinnern kann, als eine viel arbeitende Frau, im Beruf (Humboldt-Uni) und auch zu Hause. An mehreren Tagen in der Woche war eine private Sekretärin da, die sauber abschrieb, Korrespondenz und Ablage erledigte. Was die „Söhne…“ betrifft, beeindruckte mich zuerst der Schutzumschlag mit dem heldischen Tokei-ihto. Vorgelesen hat meine Mutter mir daraus nicht, vermutlich hielt sie mich im Vorschulalter noch nicht reif genug dafür. Aber sobald ich lesen konnte, habe ich natürlich darin geschmökert, etwa ab 6-7 Jahre.

Liselotte Welskopf-Henrich hat später das Märchen vom Steinknaben veröffentlicht. DIE LIEDER DER ALTEN DAKOTA muss sie gekannt haben. Hat sie Ihnen diese Geschichten erzählt?

Daran kann ich mich nicht erinnern. 

Auf den Wunsch vieler Leser hat Frau Welskopf-Henrich die Geschichte der Bärensöhne „fortgeschrieben“. Das heist, sie hat die Vorgeschichte erzählt. Hatten Sie vielleicht einen gewissen Einfluss darauf?

Sie hat berichtet, dass die „Vorgeschichte“ schon lange roh fertig war, aber auf Grund der Schwierigkeiten, überhaupt dieses Thema zu veröffentlichen, hat sie es nur mit dem 3. Band (nach damaliger Zählung) ernsthaft versucht. Irgendwann „nervte“ ich sie aber mit dem Wunsch nach mehr Abenteuergeschichten. Da hatte ich schon einige Karl-May-Bände gelesen und wollte auch von Harka/Tokei-ihto mehr erfahren. Da die „Söhne…“ nun schon ein Bestseller geworden waren, war es kein Problem mehr, die Geschichte von Harkas Kindheit an zu publizieren. Da begann sie mir auch aus dem Manuskript, dass sie für die Veröffentlichung überarbeitete, vorzulesen.

In Erik Lorenz´ Biografie kann man lesen, dass ihr die filmische Umsetzung der Bärensöhne nicht sehr gefallen hat. Haben sie im Kreis der Familie über den Film diskutiert? Sie selbst waren da ja bereits 20 Jahre alt.

Meine Mutter war von der DEFA tief enttäuscht. Die hatten ja leider von der Materie keine Ahnung. Nach dem Drehbuch ließen sie bei der Umsetzung meine Mutter außen vor. Das Ergebnis stellte sie überhaupt nicht zufrieden. Sie zog ihren Namen als Drehbuch(mit-)Autorin zurück, so dass es nur noch hieß „Nach Motiven des Romans…“ . Außerdem führte sie ihre Gallenerkrankung auf den Ärger mit der DEFA zurück. Die Mitarbeit an weiteren Indianerfilmen bzw. die Verfilmung weiterer ihrer Romane lehnte sie strikt ab. Rückblickend würde ich sagen, dass die Erwartungen an die DEFA sicherlich zu hoch waren. Selbst in den USA gab es ja zu der Zeit erst wenige gute Filme dieses Genres. Gojko Mitic war zu der Zeit wohl auch noch mehr Stuntman und kein erfahrener Schauspieler, er hat sich seitdem sehr weiterentwickelt.

Prof. Dr. Liselotte Welskopf-Henrich hatte ja auch wissenschaftlich ein umfangreiches Werk zu bewältigen. Wann schrieb sie denn ihre Romane? Mussten Sie dann vielleicht besonders auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer schleichen?

Ja. … Die Schriftstellerei war Nebenberuf; ihren „Hauptberuf“ nahm sie sehr ernst. Die Alte Geschichte war wie viele akademische Disziplinen damals noch eine Männerdomäne, in der sie sich durchsetzen musste. Aber nach eigenen Worten war sie „unglaublich hartnäckig“. Wenn sie die Romane schrieb, geschah das vorwiegend nachts. In den 50ern, als vieles gleichzeitig lief, aß sie sogar Kaffeesatz, um sich wach zu halten. 
Nachdem meine Mutter sich als Althistorikerin etabliert hatte, hat sie einer ganzen Reihe von fleißigen und wissenschaftlich begabten jungen Frauen (nicht nur) den Weg geebnet. Als es dann einmal vorübergehend keine adäquaten Einstellungsmöglichkeiten an Universität oder Akademie gab, hat sie sie sogar privat beschäftigt mit Zuarbeiten für ein großes internationales wissenschaftliches Werk („Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt“). Ohne Computer war das mit viel „Handarbeit“ verbunden. Da kam sogar einmal das Finanzamt zur Prüfung, ob sie von den MitarbeiterInnen sich die Indianerbücher schreiben ließe. Eine wahre Anekdote, die das Leben so schrieb.

Ab 1963 durfte Ihre Mutter mehrfach in die USA und nach Kanada reisen. Haben diese Reisen ihr eigenes Bild von den Indianergruppen, die sie beschrieb, geändert?

Ich glaube schon. So differenziert, auch in dem Sinne von Korruption und Mord und Totschlag, aber eben auch von Aufbegehren und Widerstand, konnte man das vorher und von Außen wohl nicht sehen. Ender der 60er und Anfang der 70er war ja in den Staaten überhaupt eine sehr aufgeregte Zeit. Kennedy war ermordet worden, Studenten protestierten, Black Panther… Sie war ja offiziell zu Gast an Universitäten (Reisen im Hauptberuf), ging auch zu Studenten-Demos. Ein Redner rief auf: „Ihr müsst euch alle Guns kaufen!“. Da verkrümelte sie sich lieber…

Wie hat sie von den Reisen berichtet? Tat sie dies vielleicht auch öffentlich?

Ja auf Lesungen, bei der/den Interessengemeinschaft(en) für Indianistik in der DDR, auch gelegentlich in Pressebeiträgen.

Die ersten drei Bücher der Pentalogie DAS BLUT DES ADLERS entstanden bereits zwischen 1966 und 1969. Hatte sie vor den Reisen schon den Gedanken an eine Fortsetzung der BÄRENSÖHNE? 

Meine Mutter hatte diese Romane nicht geplant. Sie war einfach neugierig darauf, wie die Indianer zu der Zeit lebten. Ihre Eindrücke und Erlebnisse bewegten sie nach den Reisen zur „Verarbeitung“ in den Romanen.

Heute sind Sie der Botschafter der Geschichten von Frau Liselotte Welskopf-Henrich. Was oder welches Thema liegt Ihnen dabei besonders am Herzen? 

Da ich – nicht zuletzt erfreulicherweise für neue Auflagen und Ausgaben, demnächst auch als ebook – immer wieder häufig und gründlich die Bücher lese, zu allererst eines: Die Romane sind große Literatur, sie sind Epen. Meine Mutter ist bei den alten Griechen, ich scheue mich nicht zu sagen, bei Homer, in die Lehre gegangen. Sie konnte ja auch die ersten Verse der Ilias auswendig hersagen. Harka – Tokei-ihto: vom Jungen zum Mann, vom Mann zu Helden. Dass dabei etwas überhöht wird, seine Kräfte manchmal übermenschlich erscheinen, das gehört dazu. Es ist ja keine Reportage, wohlgemerkt kein Tatsachenroman, aber auf Tatsachen basierend. Das ist das erste; das zweite: hört den Indianern selbst zu, lasst sie selbst ihre Geschichten erzählen und auch verfilmen. Das dritte: die USA, dieser Vorreiter der Menschenrechte, sind geboren aus einem Genozid, der bis vor 50 Jahren andauerte. Man denke an die Sterilisationen…

In einem Interview haben Sie auf die Frage: „Wie war ihre Mutter als Mutter?“ mal gesagt: „Je, wenn sie Zeit hatte und für den Sohn da war, war sie eine sehr intensive Mutter.“ Vielleicht können Sie dies noch ein wenig umreißen?

Ja, wenn sie Zeit hatte, und auch im gemeinsamen Urlaub, ließ sie sich ganz auf mich ein, wir spielten, wir fantasierten Geschichten zusammen… Zur Zeit meiner Kindheit dachte sie sich auch für mich Märchen aus und schrieb sie dann nieder für die Veröffentlichung. Nicht nur den Steinknaben, auch die Weltreise der „Drei Wassertropfen“ und andere.

Zum Schluss: Kennen Ihre Kinder (?) und Enkel (?) die Bücher? Lesen diese sie auch?

Mein Sohn kennt sie natürlich, er betreibt auch die facebook-Seite „Liselotte Welskopf-Henrich“. Der Enkel ist gerade erst 2 Jahre alt.

Und ganz zum Schluss: Haben Sie als Kind Indianer gespielt?
Nein, eigentlich nicht. Das Thema war irgendwie zu ernst. Habe natürlich mit Spielkameraden irgendwelche Bandenkriege gespielt, aber nicht in den Rollen Cowboy/Indianer.

© UR (NZ, 09.05.2021)

Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & Dr. Uli Otto (1)

Sehr gerne habe ich einer Bitte von Uwe Rennicke entsprochen, meinen persönlichen Beitrag zum Relaunch der Webseite von Liselotte Welskopf-Henrich zu liefern. Diese freundliche Einladung Rennickes fiel dabei mit aktuellen eigenen Bestrebungen zusammen, dem in diesem Jahr anfallenden 120. Geburtstag von Liselotte Welskopf-Henrich (*15.09.1901 München – + 16.06.1979 Garmisch-Partenkirchen) auf irgendeine Weise zu gedenken und dabei auch an die Ersterscheinung von „Die Söhne der Großen Bärin“ zu erinnern, die sich ebenso, aber zum 70 Mal jährt. Dabei kam diesem Projekt des Verfassers auch die zeitweise durch die gegenwärtige Corona-Pandemie erzwungene Isolation entgegen. 

Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer

In ihrem ersten Roman „Die Söhne der Großen Bärin“, welcher die DDR-Autorin auch in der Bundesrepublik bekannt und populär machte,  schildert Liselotte Welskopf-Henrich das letzte vergebliche Aufbäumen der Sioux, die in den 1870er Jahren endgültig von den Armeen der Weißen geschlagen wurden. Der Bärenbande, einer kleinen Gruppe gelingt unter der Führung ihre Häuptlings Tokei-ihto die Flucht aus der Reservation nach Kanada, wo sie zusammen mit einigen ihnen wohlgesonnenen Weißen sowie Freunden anderer Indianer, die ihr Schicksal teilen, eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollen. In fünf später verfassten Bänden schildert Welskopf-Henrich die Vorgeschichte der Protagonisten dieses sechsbändigen Romanzyklus, wobei sie ihre Geschichte Anfang der 1860er Jahre beginnen lässt, als sich die weiße Dominanz und Unersättlichkeit auch im Westen der USA abzuzeichnen beginnt. Den Kampf der Nachfahren der Söhne der Großen Bärin bzw. ihrer in der US-Reservation verbliebener Verwandten 100 Jahre später, das heißt in den 1960er und 1970er Jahren, um ihre Rechte als Bürger einer freien indianischen Nation bzw. um die Einhaltung der von ihnen mit der US-Regierung geschlossenen Verträge hat Liselotte Welskopf-Henrich  sodann in ihrer Pentalogie „Das Blut des Adlers“ – die 5 Bände erschienen erstmals in den Jahren 1966, 1967, 1968, 1972 sowie posthum 1980 – thematisiert. Wie schon „Die Söhne der Großen Bärin“ ist dabei auch „Das Blut des Adlers“ keine bloße Fiktion, sondern beruht ebenfalls weitgehend auf von Welskopf-Henrich genau recherchierten Tatsachen, wenn die Autorin natürlich auch hier ihren „subjektiven Personenkreis“ zu Handlungsträgern gemacht hat.  

Liselotte Welskopf-Henrich zusammen mit Dennis Banks und Vernon Bellacour, zwei Führern des American-Indian Movement (AIM), die sie Anfang der 1970er Jahre zu Hause in Berlin-Treptow besuchten. Kontakt hatte sie aber auch zu Russel Means, den sie anlässlich eines ihrer USA-Besuche ebenfalls kennengelernt hatte.

Liselotte Welskopf-Henrich war dabei keine bloße „Schreibtischgelehrte“, deren Wissen ausschließlich aus Büchern und sonstigen schriftlichen Quellen herrührte, sondern sie führte während ihrer vier USA-sowie Kanada-Besuche zahlreiche Gespräche mit Nachkommen der ehemals aus der USA-amerikanischen Reservation entflohenen Dakota-Oglala-Indianer sowie sonstigen AIM-Aktivisten. Sie weilte längere Zeit in der Pine Ridge Reservation, der ehemaligen Red Cloud Reservation, und nahm regen Anteil an den dortigen Unruhen Anfang der 1970er Jahre. So erfolgte in dieser Zeit auch ihr solidarischer Besuch der widerständigen 89 Native Americans  und deren Anhänger, die vom 20. November 1969 bis zum 11. Juni 1971 aus Protest gegen die Indianerpolitik der USA die vormalige Gefängnisinsel Alcatraz besetzt hielten, bis diese  Aktion seitens des FBI mit Waffengewalt beendet wurde. Außerdem verbrachte sie auch mehrere Wochen in der Hopi- und Navajo-Reservation, um sich mit den Lebensumständen auch deren Bewohner vertraut zu machen. 

Vor diesem Hintergrund und mit diesem Rüstzeug versehen stellte Lieselotte Welskopf Henrich einen großen Teil ihres publizistischen Schaffens engagiert in den Dienst der bis heute immer noch ein oftmals elendes Leben in den USA fristenden Prärieindianer, trat vehement für eine Verbesserung deren Lebensbedingungen ein und focht für ihre politische und ökonomische Emanzipation. 

Kennzeichnend ist bei Welskopf-Henrichs Büchern, dass sie sich dabei bei all ihrer offenkundigen Sympathie für die indigene Bevölkerung der USA keiner Schwarz-Weiß-Malerei schuldig mache und auch jegliche Klischees vermied. Sie selbst schrieb als Geleitwort ihres sechsbändigen Epos: „Gewidmet jenen tapferen Männern, Frauen und Kindern der Dakota-Oglala, die nach vielen Leiden unter den schwierigsten Voraussetzungen ihr neues Leben aufbauen. Es wird mir immer eine Ehre sein, von ihrer Stammesgemeinschaft den Namen ‚Lakota Tashina‘ empfangen zu haben, und ich möchte mich dessen würdig erweisen“.  

Liselotte Welskopf-Henrich, die Indianer & ich

Was meine Person anbelangt, kam ich, seit jeher ein absoluter „Bücherwurm“, erstmals als 10-Jähriger mit Liselotte Welskopf in Berührung, als mir ein Buch mit dem Titel „Die Söhne der Großen Bärin“ in die Hände fiel, dessen bunte Umschlagsillustration den Wanderzug einer Schar von Indianern in voller Kriegsmontur zeigte.

Im Vordergrund war ein kühner Krieger abgebildet, der als Zeichen seiner Häuptlingswürde drei Adlerfedern trug, und dessen Name, wie ich dann bei der Lektüre erfuhr, Tokei-ihto („Geht als Erster voran“) lautete. Diese Buch hatte mein älterer Bruder von unseren Großeltern zur Kommunion geschenkt bekommen, vermutlich auf Empfehlung unserer Großmutter, die zum einen schon vor dem Ersten Weltkrieg Sympathien für die Sozialdemokratie entwickelt hatte und zum anderen als eine begeisterte Karl May-Leserin bekannt war, und dies zu einer Zeit, als May gerade in breiten Kreisen verfemt war. Es folgten dann Tage unaufhörlichen begierigen Lesens, in welchem ich aufregende Einzelheiten des Schicksals des jungen Sioux-Häuptlings und der Flucht der von ihm geführten Bärenbande aus der Reservation am Niobrara hin zum Mini-Sose, dem Missouri und von dort über die kanadische Grenze ins „Land der großen Mutter“ erfuhr. Ermutigend empfand ich damals vor allem den positiven Schluss dieses Buches, entwarf die Autorin hier doch, wie ich es später auszudrücken wusste, das hoffnungsvolle Bild eines Mikrokosmos einer klassenlosen, auf der Solidarität und auf Gleichheit aller Menschen, egal welcher Herkunft, welcher Hautfarbe und Religion, beruhenden Gesellschaft… Obwohl das Buch dann irgendwie verloren ging, hat die Erinnerung an das Schicksal der tapferen Männer, Frauen und Kinder der Bärenbande vom Stamm der Teton-Oglala in den 1870er Jahren mich auch später niemals ganz verlassen. Vielmehr haben mich die „Söhne der Großen Bärin“ weitgehend gegen andere Indianerbücher à la Karl May immunisiert, wo es de facto niemals eigentlich um das Schicksal der Native Americans ging, sondern irgendwelche „deutsche Helden“ die immer wieder gleichen Abenteuer erlebten und ihre Überlegenheit nicht nur über die Indianer sondern auch über Weiße anderer Nationen sowie anderer „Rassen“ unter Beweis stellen konnten. 

Während meines Germanistikstudiums beschäftigte ich mich, der ich inzwischen das Stadium des naiven Lesens natürlich schon altersbedingt längst hinter mir gelassen hatte, Mitte der 1970er Jahre dann zunächst vor allem aus pragmatischen Gründen zur Vorbereitung eines Spezialgebietsthemas für die mündliche Staatsexamensprüfung erneut mit den „Söhnen der Großen Bärin“ („Deutsche Indianerliteratur am Beispiel der Romane von Karl May, Fritz Steuben, Lieselotte Welskopf-Henrich und Herbert Kranz“), da ich mich in diesem Themenbereich bereits einigermaßen auszukennen glaubte.  

Dr. Uli Otto

Mitte der 1980er Jahre machte ich mich sodann erneut an eine, diesmal gründlichere Lektüre des inzwischen um fünf Bände mit der Vorgeschichte der Protagonisten erweiterten Romanzyklus, dies vor allem auch, um für mich selbst herauszufinden, ob meine ursprüngliche Faszination bzgl. der „Söhne der Großen Bärin“ angehalten habe. Außerdem stellte ich damals auch erstmals konkretere Überlegungen darüber an, welche Kinder- und Jugendbücher ich für unsere 1980 und 1982 geborenen Kinder für empfehlenswert fände, wenn sie das passende Lesealter erreicht hätten, war ich doch der Überzeugung, dass kein Medium den Bedürfnissen eines Kindes oder Jugendlichen so sehr entgegenzukommen vermag wie ein gutes Buch, das dem Idealtyp von Literatur nahekommt, die zum einen unterhalten, zum anderen aber auch belehren möchte, wie dies für Liselotte Welskopf-Henrichs Jugendromane in hohem Maß zutrifft. (Siehe hierzu den ersten Titel der am Ende befindlichen Publikationsliste aus dem Jahr 1986).In der Folge habe ich mich in den 1980er Jahren dann außerdem auch nur zu gern der Mühe unterzogen, mir die wichtigsten geschichtlichen Abhandlungen zu den Indianerkriegen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu besorgen, um mich in die Geschichte des Endkampfes der nordamerikanischen Indianer gegen die eindringenden Weißen einzulesen. Dabei ging es mir in erster Linie darum, für mich selber fundiertes Wissen und Sachkompetenz in einem mir bis dahin weitgehend unbekannten Fachgebiet zu gewinnen, um für meine eigenen und eventuell andere interessierte Kinder und Jugendlichen als einigermaßen sachkundiger Gesprächspartner fungieren zu können. Übrigens erfolgte in dieser Zeit auch eine weitere Weichenstellung zur Erarbeitung eines neben der „Liedforschung“ für mich sehr wichtigen Spezialgebietes (Deutsche Auswanderungen sowie Kolonialgeschichte Deutschlands), in das ich mich einarbeiten wollte. In den 1990er Jahren sowie zu Beginn des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre konnte ich in der Folge als freiberuflicher Dozent im Bereich Volkskunde/ Kulturwissenschaften und Germanistik im Rahmen der Vorbereitung verschiedener Seminare („Geschichte der Massenlesestoffe in Deutschland“, „Deutschsprachige Kinder- und Jugendbücher“, „Geschichte der deutschen Abenteuerliteratur für Kinder- und Jugendliche“) mein diesbezügliches Wissen weiter vertiefen und erweitern. Im Jahr 2000 kam es zur Planung eines Buches „Auf den Spuren der Söhne der Großen Bärin.“ Untersuchung zum historischen und kulturgeschichtlichen Hintergrund der Jugendbücher „Die Söhne der Großen Bärin“ von Liselotte Welskopf-Henrich, Regensburg 2001, wobei mir im Vorfeld hierzu klar geworden dass, dass am Untergang der Native Americans der USA zu einem nicht geringen Maß eben auch Auswanderer aus Mitteleuropa, sprich dem heutigen Deutschland, verantwortlich beigetragen hatten, dass dieser Teil der „indianischen Geschichte“ somit eng mit der deutschen Historie verbunden ist. Dabei folgten in den darauffolgenden Jahren mehrere Lexikonartikel in verschiedenen Fachzeitschriften, die diese Sichtweise beinhalteten. (Siehe hierzu die Bibliographie  am Ende unserer Ausführungen). 

Dr. Uli Otto & Till Otto

Dr. Uli Otto ist ein Kulturwissenschaftler aus Regensburg und freiberuflicher Dozent im Bereich Volkskunde und Kulturwissenschaften. Einer seiner Schwerpunkte ist Liedforschung, dies umfasst Volkslieder, historisch-politisches Lied, sowie irische und deutsche Folklore. Außerdem widmete er sich der Erzählforschung, Geschichte der Massenlesestoffe, wozu die „Bärensöhne“ natürlich gehören. Otto begab sich auch „auf die Spuren“ von Herbert Kranz, einem Jugendbuch-Autoren und dessen Reihe Ubique Terrarum, sowie Auf die Spuren des fliegenden Klassenzimmers von Erich Kästner.

Im Teil 2 dieses Beitrages beschäftigt er sich mit der (Kultur)historischen Einordnung von Deutschen und Native Americans, Eckpunkten der (indianisch-nordamerikanischen) Geschichte, die Liselotte Welskopf-Henrich die Grundlage für bestimmte Darstellungen in ihrer Pentalogie sind.

Im dritten Teil wird es seine Einschätzung der Romane von Liselotte Welskopf-Henrich gehen, um Politik gegenüber der indigenen Völker in der heutigen Zeit.

Der Weg in die Verbannung (Bärensöhne 2)

Verschiedene Ausgaben Band II: Der Weg in die Verbannung

Harka ist seinem Vater, dem einstigen Häuptling der Bärenbande, heimlich in die Verbannung gefolgt. Vater und Sohn kämpfen nun in der Prärie und im Dickicht des Waldes ums Überleben. Sie wissen, dass sie nur im Sommer auf sich allein gestellt in der Wildnis existieren können. Für einige Monate suchen sie Schutz in den Städten der Weißen. Sie werden von einem Wanderzirkus aufgenommen. Sie finden Freunde unter den Weißen, lernen ihre Sprache und Schrift. Aber dauerhaft in dieser Welt zu leben ist ihnen unvorstellbar. Ihr Rückweg in die Freiheit der Prärien und Wälder ist mit dramatischen Ereignissen verbunden.

Palisander – Verlag

Die Handlung

Der Rote Jim. Der Leser erwartet nach HARKA zu lesen, wie es mit dem Jungen und seinem verbannten Vater weitergeht. Der Kriegshäuptling Mattotaupa war unter dem Vorwurf, diesem rothaarigen Weißen etwas vom Goldschatz seiner Väter verraten zu haben, verbannt wurden. Der Junge entschloss sich, den Vater zu begleiten.

Nun wird es aber Zeit, dass Liselotte Welskopf-Henrich etwas zu diesem Charaktere verlautbart, der abwechseln Red Jim, der Rote, Red Fox oder Fred Clarke genannt wird. Ungefähr zweiundzwanzig Jahre ist er alt: Waisenjunge, vom Pflegevater verprügelt, Postkutschenräuber, Kundschafter sowohl bei den Nordstaaten als auch den Südstaaten im Bürgerkrieg; obwohl er sich mit Raub über Wasser halten konnte, reich ist er nicht geworden. Gold müsste man finden…

Harka und Mattotaupa in den Bergen. Vater und Sohn müssen sich einrichten. Jagen, Vorräte für den Winter anlegen, Waffen herstellen, Harka lernt unmittelbar von seinem Vater. Dann treffen sie auf eine Gruppe Pani (Pawnee), die vermutlich gehört haben, dass die verhasste Bärenbande bei den Dakota ihren berühmten Anführer verloren hat. Sie wollen sie angreifen. Mattotaupa will das verhindern, um wieder in Ehren aufgenommen zu werden. Harka schleicht sich ins Dorf und warnt die Schwester Uinonah. Der Kampf wird gewonnen, doch weisen ihn die Krieger und Häuptlinge von sich. Alte Antilope, der in Mattotaupas Tipi auch dem Feuerwasser des Red Fox erlegen war, zieht die Rache des ehemaligen Häuptlings auf sich…

Erstmals im Blockhaus. Vater und Sohn entschließen sich, die Welt der weißen Männer kennenzulernen. Bald treffen sie welche, die sie in der Prärie aus einem Sandsturm führen müssen. Harka bekommt einen ersten Eindruck und lernt den Hahnenkampf-Bill und den Indianer Tobias kennen, die noch mehrmals in den Büchern vorkommen. Im Blockhaus am Niobrara treffen sie später wieder auf den Maler Morris und dessen Begleiter Langspeer.

Als der Maler beraubt werden soll, versuchen sie ihm zu helfen, was nicht gelingt, sie verlieren den Kampf. Der Junge macht erstmals Bekanntschaft mit dem Wasserloch im Haus, in das er gestoßen wird und welches einen Zugang zum Fluss ermöglicht. [1]

Doch erst als Red Fox, der wieder versucht hatte, in der Höhle Gold zu finden, ankommt, kommt Mattotaupa frei.
Das ist nicht das Leben, welches sich der Häuptlingssohn vorstellt. So reift der Plan, zu den Siksikau zu reiten und bei diesen „Feinden der Dakota“ die Proben zum Krieger abzulegen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Vorher will Mattotaupa aber mit eigenen Augen sehen, wo die Weißen wohnen und wie sie leben. Daher ziehen sie mit Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab und Langspeer sowie Fred Clarke los. Nach Omaha.

Im Zirkus. Die Gruppe um Morris, Langspeer, Fred Clarke und den beiden Indianern besuchen einen Zirkus und der Junge gewinnt einen Showteil, worauf sie gebeten werden, sich dem Zirkus anzuschließen. Harka arbeitet mit dem Clown zusammen, der ihm Karten von den USA zeigt und ihm Schreiben und Lesen beibringt. [2] Im Zirkus tritt eine Gruppe von Indianern (Dakota aus dem Raum Minnesota) und Cowboys auf, geführt von einem Mann namens Buffalo Bill, der Vater und Sohn gern in die Showgruppe einbauen will, die beiden lehnen allerdings die geforderte absolute Unterordnung ab. Harka arbeitet mit dem Clown an einer separaten Nummer.

Während der letzten Vorstellung besucht ein Major Smith der US-Armee mit seiner Tochter Kate die Zirkusvorstellung. Smith erkundigt sich bei der Dakotagruppe nach den Kampf auf der Farm seiner Mutter während des Minnesota-Aufstandes [3], an dem wohl einige der Krieger beteiligt waren. Kate bewundert den Indianerjungen und seine Reiterkunststücke. [4]

Als die Dakota in ihre Heimat zurück wollen, führt Mattotaupa die letzte „Zirkusnummer“, wobei er den sadistischen Inspizienten erschießt. Nun beschließen die beiden „Bärensöhne“ den Weg zu den Siksikau (Blackfeet) einzuschlagen. Die Männer der Dakotagruppe laden Vater und Sohn ein, mit ihnen zu kommen. Doch Mattotaupa lehnt ab mit den Worten: „Wir können nicht mit euch kommen. Ihr seid Dakota.“

Harka hat genug von den Weißen, er möchte zurück zum gewohnten Leben in der Prärie, Mattotaupa allerdings hat erneut zu Alkohol gegriffen. Er bezeichnet den roten Jim als Freund, etwas, was sein Sohn nicht mehr teilt, dem die kriminelle Seite des Red Fox aufgefallen war.

Zum Hintergrund

Liselotte Welskopf Henrich hat ihrem Helden nicht allzu viel Zeit gelassen, in der Wohlbehütetheit des Stammes aufzuwachsen. Der Bruch ist hart und bleibt nun Thema der Folgebände.
Schwerpunkt ist der Aufenthalt der Zirkus und dem Blick in eine neue Welt für den Sohn des ehemalige geachteten Kriegshäuptling. Harka beobachtet die Verhaltensweisen der Watschitschun genau und lernt zu unterscheiden, dass diese sehr unterschiedlich denken und handeln. Der Umgang des Leiters der Indianergruppe mit den Angehörigen dieser schreckt Harka ab, ein weiterer Grund für das Ziel, wieder in die freie Prärie zu freien Gruppen der Prärieindianer zu reiten. Zudem hofft Harka, dass es möglich sein wird, die Unschuld des Vaters gegenüber der Bärenbande zu beweisen.

Welskopf-Henrich bedient sich mit dem Thema Zirkus eines Kunstgriffes. Sie führt eine bekannte Figur der USA-Geschichte ein: Frederick William Cody, genannt Buffalo Bill. (1846 – 1917) Den Namen bekam er, weil er als Jäger und Scout für die Eisenbahnbauer Fleisch beschaffte und dabei eine Unmenge Büffel erlegte. [5] Buffalo Bill selbst ist damit allerdings nicht die Ursache für das spätere Abschlachten riesiger Bisonherden um den Plainsindianern die Existenzgrundlage zu nehmen, was fälschlicherweise oft erklärt wurde.

Zirkus – Plakat (Abb 2)
Buffalo Bill & Tatanka Iyotake (Abb 1)

Jedoch geht Cody zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Showtätigkeit nach. Dies ist erst ab den achtziger Jahren der Fall. [6] Zu Beginn war der bekannte Geheimnismann Tatanka-Yotanka (Tatanka Iyotake) eine Zeitlang mit dabei, der hoffte, für die Sioux-Stämme in Washington und beim Büro für indianische Angelegenheiten sprechen zu können. Da dies keine Wirkung zeigte, wandte sich der Hunkpapa- Sioux wieder ab vom Zirkus.

Die Wild West Shows kamen ab 1887 auch nach Europa. Tatanka Iyotake war nicht Teil dieser Shows. [7] Die Shows fanden sowohl auf großen Freigelände, z.B. 1890 auf der Münchener Theresienwiese, also auch in Zirkusmanegen statt. [5]

Liselotte Welskopf Henrich könnte in ihrer Kindheit die „Völkerschauen“ besucht haben, in denen u.a. Angehörige von Völkern aus Afrika und Amerika „vorgestellt“ wurden. Derartige Ausstellungen wurden im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert in verschiedenen Ländern Europas gezeigt. [8] Berühmtheit erlangte mit solchen Darstellungen, die spätestens nach dem ersten Weltkrieg richtigerweise als rassistisch angesehen wurden, zum Beispiel Carl Hagenbeck im Zoo Hamburg. [9] Möglicherweise entwickelte sie hier bereits erste Vorstellungen zu den Lebensumständen indigener Völker, in Teilen beschrieb sie dies in ihrem Text Meine Mutter, die Indianer und ich.

Auf die Wild-West-Show des William Cody dürfte sie nicht gestoßen sein, die letzte in Deutschland fand vermutlich im Jahre 1906 statt. Ab 1913 war das Unternehmen insolvent. Sie erzählte in der Familie aber einmal, dass sie eine Zirkusshow mit Indianern aus Kind oder junges Mädchen besucht hatte.[10] Von den Zirkus-Nummern mit indigenen Artisten berichtete ein anderer Zirkus-Artist, der eine gewisse Berühmtheit erlangte, denn er wohnte in der „Villa Bärenfett“ in Radebeul. Ernst Tobis (1876 – 1959), genannt Patty Frank [11] hatte als Dreizehnjähriger die Show von William Cody in Frankfurt am Main gesehen. Als Artist kam er nach Nordamerika und sammelte indianische Ethnografika. In wirtschaftlicher Not übereignete er seine Sammlung (540 Stücke) an Klara May (die Witwe des bekannten Schriftstellers) und bekam dafür lebenslanges Wohnrecht in Radebeul. Er wurde Verwalter und Museumsführer im 1928 eröffneten Karl-May-Museum[12] . Dort erzählte er von seinen Reisen, vom Zirkus und sicher auch von Buffalo Bill.

Liselotte Welskopf-Henrich, die ihren Karl May gelesen hatte, auch wenn sie gänzlich andere „Indianer-Geschichten“ verfasste, könnt also aus eigenem Erleben und aus diesen Erzählungen die Idee vom Zirkus in Omaha entwickelt haben.

Für die Entwicklung des Dakota-Jungen Harka Steinhart Nachtauge sind die Zirkus – Erfahrungen von hoher Bedeutung. Mit dem Maler Morris und dem vermeintlichen Freund des Vaters, Red Fox, dem der Junge zunehmend misstraut, sowie der Gruppe von Weißen am Niobrara hatte er sehr unterschiedliche weiße Männer kennengelernt. Die Zirkuswelt und die große Stadt Omaha machen ihm klar, was mit der weißen amerikanischen Bevölkerung für eine gewaltige Welle in Richtung Felsengebirge rollt. Einen großen Anteil daran hat auch Old Bob, der Clown, welcher ihm zeigt, dass aus Europa unzählige weitere weiße Frauen und Männer nach Nordamerika kommen. Die Bedeutung von Gold für diese kannte Harka zwar, verstand dies aber erst jetzt, als das Geld hinzukam. Die gefährlichen Anstrengungen, die der Tiger-Dompteur auch mit Hilfe des unerschrockenen „Harry“ (Harka) unternimmt, um weiteren Zirkus-Agenten zu gefallen, verdeutlichen dies nur zu genau.

Doch jetzt dürfen Mattotaupa und Harka noch einmal zurück in die Prärie um das zu sein, was sie sind: Reiter und Büffeljäger.

  • 1) Das Wasserloch zum Niobrara wird im Laufe der folgenden Jahre mehrfach genutzt werden.
  • 2) Inya-he-yukan erzählt 100 Jahre später auf der Reservation Pine Ridge, dass er von einem Zirkusclown Lesen und Schreiben lernte. LWH in „Nacht über der Prärie“ (1. Band der Pentalogie „Das Blut des Adlers)
  • 3) Der Aufstand wird auch als Dakota-Krieg von 1862 bezeichnet. Damit begann eine Kette von Kämpfen zwischen den Sioux und der US-Armee, die letztlich in Wounded Knee ihr Ende fand. https://de.wikipedia.org/wiki/Sioux-Aufstand
  • 4) Major Smith wird Jahre später das Fort am Niobrara führen, wohin auch die nunmehr erwachsene Kate reisen wird. In „Der junge Häuptling“ wird sie wieder auf den „Zirkusjungen“ treffen. Diese Episode wurde in einem Heft mit dem Titel „Kate in der Prärie“ veröffentlicht.
  • 5) vgl. Buffalo Bill – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Buffalo_Bill
  • 6) Vgl. Dazu Beitrag von Dietmar Kuegler: Chief Iron Tail – Der Büffeljäger und Zirkus-Showman Cody hat sich im Laufe seines Lebens zu einem Freund der Dakota bzw. Lakota gewandelt, die ihn auch später und rückwirkend als Freund betrachteten, der sich dür die Stammensgruppen in den Reservationen einsetzte und gelegentlich auch half.
  • 7) Vgl. Ebenda zu Iron Tail
  • 8) Vgl. Seite „Völkerschau“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. April 2021, 10:52 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=V%C3%B6lkerschau&oldid=210503270 (Abgerufen: 5. April 2021, 13:43 UTC)
  • 9) Seite „Carl Hagenbeck“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 19. Januar 2021, 14:52 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Carl_Hagenbeck&oldid=207836792 (Abgerufen: 5. April 2021, 13:45 UTC)
  • 10) Rudolf Welskopf am 06.04.2021
  • 11) Vgl. Karl-May-Wiki https://www.karl-may-wiki.de/index.php/Patty_Frank
  • 12) Vgl. Sächsische Biografien https://saebi.isgv.de/biografie/Patty_Frank_(1876-1959)
  • Abb 1: Von D. F. Barry – Dieses Bild ist unter der digitalen ID cph.3a22279 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar. Diese Markierung zeigt nicht den Urheberrechtsstatus des zugehörigen Werks an. Es ist in jedem Falle zusätzlich eine normale Lizenzvorlage erforderlich. Siehe Commons:Lizenzen für weitere Informationen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2037885
  • Abb 2: Von Johannes Starcke (Eisenacher Hofbuchhändler) – Zeitungsinserat in der Eisenacher Zeitung, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6062829

© UR (aktualisiert: 07.11.2022)

Dietmar Kuegler: Chief Iron Tail

Der Lakota-Häuptling von Buffalo Bill’s Wild West

Die Zeit des „Wilden Westens“ war noch nicht vorbei, da wurde sie bereits zum Unterhaltungselement. In den Wüsten Arizonas kämpften noch immer Armee und Apachen gegeneinander. In den Weiten Wyomings standen sich Rinder- und Schafzüchter mit schussbereiten Waffen gegenüber. In Oklahoma ritten falkenäugige US Marshals auf der Fährte der letzten Banditen der Pionierzeit. Aber ab Mitte der 1870er Jahre standen einige Protagonisten der Wildnisregionen auf Theaterbühnen des amerikanischen Ostens und führten einem staunenden Publikum Faustrecht und Abenteuer in den Plains und Rocky Mountains vor. Nur wenige Jahre später eröffnete in Nebraska ein Mann ein Showunternehmen, das binnen kurzem zur Weltsensation werden sollte.

Am 17. Mai 1883 zeigte William Cody in der kleinen Stadt North Platte erstmals „Buffalo Bill’s Wild West“. Er dramatisierte das, was er im Laufe seines Lebens gesehen und erlebt hatte und was sich in der Realität noch immer in den westlichen Gebieten Nordamerikas abspielte, als Showspektakel. Der Erfolg war so überwältigend, dass er sich entschloss, ein umfassendes Programm zu entwerfen, dass alle Elemente der amerikanischen Pionierzeit – die zu jener Zeit noch gar nicht abgeschlossen war – enthielt: Goldrausch, Rindertreiben, Indianerkriege, Landnahme, Postkutschenüberfälle. Er heuerte echte Cowboys an, die ihre reiterlichen Fähigkeiten in der Manege vorführten. Er erwarb eine kleine Bisonherde, und er engagierte Indianer von den Reservationen im Nordwesten, die dem Publikum Teile ihrer Kultur demonstrierten. Nach kleinen Tourneen durch Staaten des amerikanischen Ostens und Südens, ging er mit seiner Show nach Kanada, und schließlich brach er nach Europa auf und trug die Interpretation der amerikanischen Besiedelung in die Alte Welt.

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Cody wurde in den Augen eines globalen Publikums zur Personifizierung der amerikanischen Pionierzeit. Der Sohn einer armen Siedlerfamilie, dessen Vater von einem fanatischen Südstaatler erstochen worden war, weil er sich öffentlich gegen die Sklavenhaltung engagiert hatte, war an allem, was die sogenannte „Frontier“ in Nordamerika ausgemacht hatte, beteiligt gewesen. Er war Frachtwagenlenker auf den Trails in die Wildnis gewesen, Pony Express Reiter, Fleischjäger für Eisenbahnbautrupps, Scout der Armee, „Indianerkämpfer“ – kurz, er war ein Abenteurer aus einer anderen Welt, die dem Amerika der Oststaaten ebenso wie den Menschen in Europa so fern war wie ein anderer Planet.

William Cody gilt im Allgemeinen als der Erfinder der „Wild West Show“ und das Jahr 1883 als die Geburt dieser Darstellung. Das zeigt, wie sehr seine Persönlichkeit die öffentliche Meinung dominierte.

Zirkushistorisch gesehen, stimmte das auch, tatsächlich aber war die Präsentation von Ereignissen der amerikanischen Pionierzeit wesentlich älter. Die Regionen westlich des Missouri, die im 19. Jahrhundert eine enorme Anziehungskraft ausübten, faszinierten das bürgerliche Amerika ebenso wie die Alte Welt bereits zu einer Zeit, als es die die „Grenze“ zwischen Zivilisation und Wildnis noch gab.

Schon vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg erschienen abenteuerliche Geschichten von blutrünstigen Indianern und heldenhaften Trappern und Pionieren, von Goldsuchern und Planwagenzügen. Nach Ende des Krieges setzte sich dieser Trend fort. Elemente wie der Eisenbahnbau und die Rindertrails von Texas nach Kansas kamen ebenso hinzu, wie die Geschichten von Bisonjägern, und natürlich von Straßenräubern und Revolvermännern. Es wurden erste Theaterstücke mit diesen Themen geschrieben.

Im Dezember 1869 erschien die Geschichte „Buffalo Bill, King of Border Men“ aus der Feder eines der eifrigsten Autoren dieser Literatur, Ned Buntline. Dessen richtiger Name lautete Ed Judson, und er war eine höchst zwielichtige Person, der allerdings eine Nase für sensationelle Themen hatte. Er war durch den Westen gereist, um „wahre Helden“ zu finden, die er an ein sensationshungriges Publikum im amerikanischen Osten verkaufen konnte.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen, mit Männern wie „Wild Bill“ Hickok und dem bekannten Armeescout Frank North ins Gespräch zu kommen, stieß er auf William Cody, der Buntline nicht ganz ernst nahm, mit ihm ein kurzes Gespräch führte und ihn dann wieder vergaß.

Buntlines Werk über „Buffalo Bill“ wurde ein Sensationserfolg und machte den Mann aus dem Westen mit einem Schlag populär. Als Cody nach langem Zögern endlich in den Osten reiste, um auf Einladung Buntlines öffentlich aufzutreten, wurde er von seiner eigenen Berühmtheit überrascht. Die Eisenbahnstation, auf der er aus dem Zug stieg, wurde von Schaulustigen regelrecht überrannt.

Buntline schrieb 1872 auf der Grundlage seines Buches ein Theaterstück unter dem Titel „The Scouts of the Prairie“ und überredete Cody, mit ihm und „Texas Jack“ Omohundro, einem anderen echten „Westmann“, auf die Bühne zu gehen.

Die Protagonisten mussten nicht viel sagen – allein ihr Erscheinen löste hysterische Massenaufläufe aus.

Sie tourten zwei Jahre lang durch die USA, bis Cody klar wurde, dass Buntline ihn schamlos betrog. Von da an organisierte er seine öffentlichen Auftritte selbst.1877 machte auch Jack Omohundro sich selbständig, und hier und da gab es bereits Freiluftveranstaltungen, in denen Kunstschützen, Lassowerfer und Indianer auftraten. Das alles waren aber eher kleine Unternehmen, die nur regionale Bedeutung hatten. Zweifellos wurde Cody von seinen Erfahrungen auf der Theaterbühne angeregt, die gesamte Pionierzeit darzustellen. Eine Kombination aus Theater, Zirkus und Varieté.

Wer hätte diese Idee glaubwürdiger und spektakulärer vertreten können als er?

Die Männer in der Manege waren echte Cowboys, die auf den endlosen Weiden des Westens gearbeitet und Tausende von knochigen Longhornrindern von Texas bis zu den Bahnstationen in den Ebenen von Kansas getrieben hatten. Die „Deadwood Stage“, die Postkutsche, die während der Show überfallen wurde, war das Original, das tatsächlich auf staubigen Wegen zu den Goldrauschstädten in den Black Hills gefahren war.

Echte Bisons stürmten an den Zuschauern vorbei. Und dann kamen die Indianer: Drahtige, dunkelhäutige Gestalten, die auf dem blanken Rücken ihrer Pferde dahingaloppierten. Majestätisch wehten die großen Federhauben. Ihre gutturalen Schreie ließen die Luft erbeben und jagten dem Publikum Schauer über den Rücken. Einige dieser Männer hattenwirklich noch an blutigen Kämpfen mit den weißen Pionieren und der Armee teilgenommen. Viele von ihnen hatten sogar am Little Bighorn gekämpft, wo sie die 7. US-Kavallerie vernichtet hatten.

Sie waren keine Fantasiegestalten, aber sie kamen aus einer anderen Welt, die von Abenteuer und Romantik verklärt war.

Die Anziehungskraft dieser Vorführungen war unbeschreiblich. Der amerikanische Osten geriet in Aufruhr. In Kanada strömten die Menschen herbei, um den „wahren Wilden Westen“ zu sehen. Und erst in Europa: Ab 1887 tourte Cody mit seiner Show durch die Alte Welt. Acht Tourneen führte Cody bis 1906 durch. Staatsoberhäupter, Könige und sogar der Papst gehörten zu seinem Publikum. Queen Victoria war begeistert von den wilden Männern und Frauen aus dem amerikanischen Westen – während der ersten Englandtour wurden nicht weniger als 2,5 Millionen Eintrittskarten verkauft.

William Cody hatte die Ideen und Visionen, er hatte die Persönlichkeit und das Charisma, das Publikum zu begeistern. Aber er benötigte natürlich Geldgeber, und mit dem Journalisten John Burke aus Arizona hatte er einen genialen Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. Plakate, Prospekte, Pressekonferenzen, Sponsoren, Souvenirs – alles, was mithalf, die Show mit den Mitteln der damaligen Zeit zu vermarkten, wurde von Burke geschaffen, der auch völlig neue Promotion-Methoden entwickelte, die zum Vorbild für andere Unternehmen werden sollten. Wer Buffalo Bill’s Wild West untersucht, entdeckt Ursprünge von modernem, bis heute gültigem „Merchandising“, perfekte Medienpromotion, Marketing auf allen Ebenen, Franchising, Markenlizensierung, wobei alle in jener Zeit möglichen Techniken genutzt wurden, bis hin zu frühen Filmaufnahmen.

Erst weltweite Wirtschaftskrisen brachten das Imperium William Codys, zu dem die Show herangewachsen war, ins Wanken. Die teuren Eintrittskarten waren für viele Menschen nicht mehr erschwinglich. Unwetter in den Südstaaten der USA, die viele Pflanzer ruinierten, Krankheiten der Showpferde – wie die berüchtigte „Rotz-Krankheit“ (Malleus), die auf einer Tournee in Frankreich seine Herde vernichtete –, steigende Preise für den Unterhalt der vielen Menschen und Tiere, und nicht zu vergessen der exzentrische Lebensstil Codys wurden zu ernsten Problemen. 1913 war das Unternehmen bankrott.

Bis dahin aber hatte William Cody den Traum von der amerikanischen Pionierzeit in Millionen von Herzen und Köpfen gepflanzt. Die Indianer, die in seiner Show auftraten, hatten der Welt Elemente ihrer Kultur gezeigt und vor allem belegt, dass sie noch existierten, dass sie nicht untergegangen waren.

Bis zum heutigen Tag halten die Völker, die mit Cody arbeiteten, die Erinnerung an ihn in Ehren; denn er erwirkte in zähen Kämpfen mit dem US-Innenministerium Sondergenehmigungen, dass sie ihre Reservationen verlassen durften. Er bezahlte nach damaligen Standards so gut, dass sie ihre Familien daheim versorgen konnten, und er behandelte sie mit Respekt, so dass noch ihre Nachkommen darüber berichteten.

Als Cody starb, trat der Stammesrat der Lakota zusammen und veröffentlichte einen ehrenden Nachruf.

Der Großvater von Ken Woody, dem Chief Ranger des Nationalpark Service am Little Bighorn, war einer dieser Indianer. Ken Woody ist, wie sein Großvater, Mohawk-Indianer. Zwar ritten tatsächlich viele Angehörige von Plains- und Prärievölkern mit „Buffalo Bill’s Wild West“, aber es wurden auch östliche Waldlandindianer engagiert, die mit Plains-Regalia ausgestattet wurden.

Ken Woody berichtete: „Als ich Kind war, fand ich die Ausrüstung meines Großvaters, die er getragen hatte, als er für Buffalo Bill geritten war. Das weckte mein eigenes Interesse an den Plainskulturen. Mein Großvater hatte über diese Zeit nie geredet. Als ich ihn fragte, erzählte er mir von den Tourneen und berichtete, dass diese Zeit zu den besten Erfahrungen seines Lebens gehörte. Cody behandelte die Indianer mit Freundlichkeit, und er hatte einen Angestellten, der sich nur um die indianischen Teilnehmer kümmerte, der dafür sorgte, dass sie mit dem Essen versorgt wurden, das sie sich wünschten, der auf ihre Gesundheit achtete, der die Kontakte zu ihren Familien aufrechterhielt und die Zahlungen an ihre Familien abwickelte.“

Diese Menschen, die bis dahin in ihren abgelegenen Reservationen dem Vergessen anheimgefallen waren, konnten sich der Welt präsentieren, und Europa nahm Anteil. Es wurde ein Interesse am Schicksal der nordamerikanischen Indianer geweckt, das bis heute nicht erloschen ist.

Cody forderte damit die Regierungsbehörden und Indianeragenten heraus, die im ausgehenden 19. Jahrhundert versuchten, die indianischen Kulturen auszumerzen. Sprache, Rituale, Tänze, religiöse Zeremonien – alles, was Ausdruck der eingeborenen Kulturen war, sollte verschwinden. Cody bestärkte die Indianer genau darin, diese Elemente zu erhalten. Er wollte, dass sie in ihrer Sprache redeten, dass sie ihre Tänze zeigten, dass sie über ihre Lebensweise erzählten.

Es gab gar eine regierungsamtliche Ermittlung gegen Cody, weil er die Umerziehung der Indianer behinderte – sie wurde letztlich niedergeschlagen.

Als er am 10. Januar 1917 starb, trat zwei Tage später der Stammesrat der Oglala-Lakota auf Pine Ridge zusammen und schickte dieses Telegramm an Codys Kinder:

„Pine Ridge, South Dakota, 12. Januar 1917

Die Oglala Sioux Indianer von Pine Ridge, South Dakota, die sich zum Rat versammelt haben, drücken im Namen aller Oglalas ihr tiefstes Mitgefühl gegenüber der Ehefrau, den Verwandten und Freunden des verstorbenen William F. Cody für den Verlust aus, den sie erlitten haben. Wir erklären, dass wir Oglala in Buffalo Bill einen warmherzigen und treuen Freund gefunden haben. Unsere Herzen sind schwer vor Trauer wegen seines Dahinscheidens. Uns erleichtert nur der Glaube, dass wir ihn vor Wakan Tanka in den Ewigen Jagdgründen wiedersehen werden.

Chief Jack Red Cloud.“

Wenn die Indianer der Buffalo Bill Show in die Manege galoppierten oder in den Städten, in denen sie gastierten, auf den Straßen paradierten, ritt an ihrer Spitze meistens ein Mann, dessen Erscheinung bei den Zuschauern die blanke Ehrfurcht auslöste.

Eine hochgewachsene, kräftige Gestalt mit einem Gesicht, wie kein Schriftsteller es markanter beschreiben konnte. Er war der fleischgewordene Traum vom edlen Krieger, von allem, was die Vorstellungskraft der Welt beim Gedanken an nordamerikanische Indianer erzeugte.

Sinte Maza, besser bekannt als Iron Tail, war für viele Jahre der unumstrittene Star von „Buffalo Bill’s Wild West“. Er blickte von unzähligen Plakaten. Postkarten mit seinem Portrait waren begehrt. Er repräsentierte den Plainsindianer schlechthin, was letztlich dazu führte, dass über ihn viele übertriebene oder völlig falsche Geschichten im Umlauf waren.

Seine eindrucksvolle Erscheinung korrespondierte mit seinem Charakter und seinem Benehmen. Nicht umsonst sagte William Cody über ihn: „Iron Tail ist ohne jede Einschränkung der beste Mann, den ich kenne.“

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Als Sinte Maza 1842 geboren wurde, waren die Oglala Lakota noch die uneingeschränkten Herren der Great Plains in Regionen, die später Nebraska, South Dakota und Wyoming heißen sollten. Er kam in einem Bisonhaut-Tipi zur Welt. Das Lager seiner Gruppe war in Bewegung. Die Krieger folgten einer Bisonherde. Seine Mutter sah von einem Hügel aus zu, wie die Männer die Herde jagten. Die Schwänze der Bisons standen hoch wie metallene Stangen, als sie in Stampede davonstürmten. Das gab ihr den Gedanken, ihren Sohn „Iron Tail“ zu nennen.

Er wuchs mit den Werten und den Lehren eines indianischen Jungen jener Zeit heran. Aber als er das Alter erreichte, auf den Kriegspfad ziehen zu können, hatte seine Gruppe bereits Frieden mit dem weißen Mann geschlossen.

Menschen, die ihm später begegneten und ihn nach seiner Jugend befragten, erfuhren, dass er keine bemerkenswerten Kriegstaten vorzuweisen hatte. Tatsächlich wurde er von Reportern häufig mit Chief Iron Hail verwechselt – die Namen klangen ähnlich –, der tatsächlich am Little Bighorn gegen die 7. US-Kavallerie kämpfte. Iron Tail war nicht am Little Bighorn, und seine Familie wurde auch nicht – wie einige andere Berichte es behaupteten – am Wounded Knee getötet.

Ein Zeitgenosse, Major Israel McCreight, schrieb über ihn: „Iron Tail war weder ein Kriegshäuptling, noch ein großer Kämpfer. Er war kein Medizinmann oder Schamane, aber er war ein kluger Ratgeber und Diplomat, stets voller Würde und Ruhe, niemals großsprecherisch. Er redete nicht viel und gab nicht viel auf prunkvolle Kleidung; er glich dem berühmten Häuptling Crazy Horse. Immer hatte er ein Lächeln auf den Lippen und liebte Kinder, Pferde und Freunde.“ (McCreight, The Wigwam: Puffs from the Peace Pipe. 1943.)

Seit den 1890er Jahren ritt Iron Tail mit „Buffalo Bill“ Cody. Er wurde neben Annie Oakley, der legendären Kunstschützin, zur absoluten Attraktion der Show und blieb bei Cody bis 1913, als das Unternehmen aufgelöst werden musste.

Danach wurde er von der „101 Real Wild West“-Show in Ponca City (Oklahoma) angeheuert.

Iron Tail war bereits ein internationaler Star, als er von dem Künstler James Earle Fraser als einer von drei Indianern ausgesucht wurde, für das Portrait auf der Rückseite einer neuen 5-Cents-Münze Modell zu stehen, für den sogenannten „Buffalo Nickel“ (auf der Vorderseite war ein Bison abgebildet).

Wo immer Iron Tail auftrat, beeindruckte er durch seine natürliche Souveränität und Würde. Er stand neben William Cody vor Staatspräsidenten und gekrönten Häuptern in Europa. Cody nahm ihn mit zu Jagdausflügen.

Aber natürlich war es sein markantes Aussehen, dass stark zu seinem Ruhm und seiner Ausnahmestellung beitrug, und es war eine bemerkenswerte Frau, die das öffentliche Bild von Iron Tail prägte. Im April 1898 besuchte die Fotografien Gertrude Käsebier den Auftritt Codys in New York. Zuvor hatte sie schon die Parade der Mitwirkenden auf der 5th Avenue gesehen.

Gertrude Käsebier gehörte zu den ersten in ganz Amerika bekannten Fotografinnen, als dieser Beruf immer noch männlich geprägt war. Sie war im Westen am Rande der Großen Ebenen aufgewachsen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Indianerdörfern.

Käsebier nahm Kontakt mit William Cody auf und erhielt von ihm die Genehmigung, die Indianer seiner Truppe zu fotografieren. Da sie den Umgang mit Indianern gewöhnt war, hatte sie keine Probleme, von ihnen akzeptiert zu werden. Sie nahm diese Fotos nicht aus geschäftlichen Gründen auf. Ihr ging es nur um Ästhetik. Keines ihrer Fotos erschien jemals im Druck der Werbebroschüren der Show.

Iron Tail wurde ihr Lieblingsmotiv – denn der Lakota erschien zu den Aufnahmen ohne irgendwelche Showkleidung. Er war einfach er selbst, ließ sich aber schließlich überreden, seine Federhaube aufzusetzen. Gertrude Käsebier war begeistert von der Bescheidenheit des Auftretens, weil Iron Tail damit genau das demonstrierte, was sie fotografieren wollte – Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. 1901 erschien eines ihrer Iron-Tail-Portraits auf dem Titelblatt des „Everybody’s Magazine“. Er wurde als Vertreter einer neuen Generation Indianer gefeiert, traditionell und zugleich der modernen Zeit zugewandt, stark und stolz.

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Iron Tail war 74 Jahre alt, als er mit der „101 Wild West Show“ im amerikanischen Osten unterwegs war. William Cody trat ebenfalls als Angestellter der Show auf.

Im Mai 1916, als die „101 Ranch“ in Philadelphia (Pennsylvania) gastierte, erkrankte Iron Tail an Lungenentzündung. Er wurde ins St. Lukes Hospital der Stadt eingeliefert. Cody war gezwungen, seinen Freund zurückzulassen, da er einige Tage später in Baltimore auftreten musste. Einer von Codys Freunden, der auch mit Iron Tail befreundete Colonel McCreight in DuBois (Pennsylvania) erfuhr von der Erkrankung Iron Tails und telegrafierte an das Krankenhaus, den Chief zu ihm zu transportieren, wo er gepflegt werden sollte.

Das Telegramm erreichte nie sein Ziel. Stattdessen wurde Iron Tail in einen Zug gesetzt, der ihn nach Hause in die Black Hills bringen sollte.

Am Morgen des 28. Mai 1916 fand der Schaffner den alten Häuptling tot in seinem Schlafwagenabteil vor, als der Zug in South Bend (Indiana) hielt. Sein Leichnam wurde weiter in die Pine Ridge Reservation befördert. Hier wurde er am 3. Juni 1915 auf dem Friedhof der Holy Rosary Mission beerdigt.

Als William Cody vom Tod Iron Tails erfuhr, versprach er, für einen Grabstein zu sorgen. Aber dazu kam es nicht mehr – nur sechs Monate später starb auch „Buffalo Bill“ Cody in Denver.

So kam es, dass das Grab von Iron Tail keinen Stein erhielt – und es ist seither nicht mehr auffindbar.

  • Mit freundlicher Genehmigung von Dietmar Kügler.
  • aus Magazin für Amerikanistik – Zeitschrift für amerikanische Geschichte Heft 4 / 2018 und Heft 1 / 2019.
  • Bilder oben aus Heft 1/2019
  • Bild unten rechts: Montage U.R.

Quellen

  • Armstrong, Craven, et al., 200 Years of American Sculpture. 1976.
  • Augherton, Tom, Chief Iron Tail: Buffalo Bill Codys Lakota Ambassador was Immortalized in Nickel. In: True West, December 2014.
  • Barbara L. Michaels, Gertrude Käsebier, The Photographer and Her Photographs. 1992.
  • Delaney, Michelle, Buffalo Bill’s Wild West Warriors: A Photographic History by Gertrude Käsebier. Smithsonian, 2007.
  • Freundlich, A.L.The Sculptures of James Earle Fraser. 2001.
  • McCreight, Major (1943), The Wigwam: Puffs from the Peace Pipe. 1943.
  • Richard Green, I Dream of the Elk: Iron Tail’s Muslin dance shield. In “Whispering Wind”, March–April, 2009
  • Wilson, R. L./Greg Martin, Buffalo Bill’s Wild West: An American Legend. 1998.
  • Woody, Ken, Chief Ranger Little Bighorn Battlefield. Persönliches Gespräch, Juni 2014.
  • Prof. Dr. Ken Tankersley (Cherokee), berichtete über das Verhältnis zwischen William Cody und den Indianern. Er wies mich als erster auf den Stammesratsbeschluss der Oglala-Lakota nach Codys Tod hin. Eine Kopie des Original-Dokuments befindet sich im „Buffalo Bill Museum“ auf Lookout Mountain in Golden, Colorado, neben Codys Grab. Persönl. Gespräch im Juli 2006.
  • Bei mehreren Besuchen auf dem Friedhof der Holy Rosary Mission konnte ich das Grab von Iron Tail trotz intensiver Suche nicht mehr lokalisieren. Es ist auch in den Friedhofspapieren, die ich im „Museum of the Fur Trade“ in Chadron (Nebraska) einsehen konnte, nicht mehr gelistet. Vermutlich wurde es irgendwann eingeebnet, weil keine Angehörigen mehr vorhanden waren.